Als Superaffe Beppo die Welt rettete

Comic | Paul Levitz: The Silver Age of DC Comics

ANDREAS ALT über den zweiten Band der Taschen-Reihe zur Geschichte von DC, der sich mit der wohl spannendsten Phase der Superheldenentwicklung, dem »Silver Age« der 1960er Jahre, beschäftigt.

Paul Levitz: The Silver Age of DC Comics

Die Zukunft begann im Oktober 1956. In dem Comicheft Showcase # 4 stellten Autor Robert Kanigher und Zeichner Carmine Infantino den klassischen Superhelden Flash in neuem Outfit und mit neuem Konzept vor. Der New Yorker Verlag National Periodical Publications, kurz DC, wird zwar bis heute am meisten mit dem 1938 erfundenen Superman in Verbindung gebracht. Aber hätte sich nicht Flash als Verkaufserfolg erwiesen und so das »Silberne Zeitalter« der amerikanischen Comics eingeleitet, würde die populäre Kultur in den USA heute möglicherweise völlig anders aussehen.

Das Rezept lautete Science-Fiction – nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal war hier das Kino Schrittmacher für die Comicentwicklung. Für die Superhelden der ersten Stunde, also des so genannten »Golden Age«, die bevorzugt gegen die Nazis gekämpft hatten, gab es zu dieser Zeit keine rechte Verwendung mehr. Superman blieb zwar beliebt, aber viele andere Helden, die um 1940 in seinem Gefolge erfunden worden waren, starben in den 50er Jahren an Schwindsucht, einschließlich des superpatriotischen Captain America. Mit Flash fanden die Figuren im wissenschaftlichen Zeitalter eine neue Heimat. Er raste durch die Zeit und besuchte utopische Welten. Der zweite Silver Age-Superheld von DC, Green Lantern, kam 1959 sogar mit einer außerirdischen Zivilisation in Berührung, die ihn als Wächter über die Erde einsetzte.

Die neuen Superheldenkonzepte fußten auf einer allgemein akzeptierten Branchenregel, wie DC-Redakteur Julius Schwartz sagte. Kinder lasen nach übereinstimmender Ansicht nur fünf Jahre lang Comics. Nachdem der alte Flash und der alte Green Lantern seit einigen Jahren vom Markt verschwunden waren, ging man von einer neuen Lesergeneration aus, der man die runderneuerten Helden präsentieren konnte, ohne Irritationen auszulösen.

Holpriger Start ins »Silver Age«

Für diesen Einschnitt in der Comicgeschichte feiert sich DC in dem Prachtband The Silver Age of DC Comics 1956 – 1970 gebührend selbst. Auf fast 400 Seiten wird ganz genau hingesehen, wie Redakteure, Autoren und Künstler DC in den 60er Jahren zum Marktführer machten. Man sieht aber, dass der Start des »Silver Age« durchaus holprig verlief. Zuerst waren die Verlagsmanager unsicher, ob Showcase # 4 nicht bloß ein Zufallstreffer war. So erhielt der neue Flash nicht sofort eine eigene Heftserie. Vorgeschickt wurde die vierköpfige Abenteurertruppe Challengers of the Unknown, eine Serie, die ebenfalls Science Fiction-Elemente aufwies, aber ohne Superkräfte und Superheldenkostüme auskam. Flash musste bis März 1959 mit sporadischen Auftritten vorlieb nehmen, bis er endlich im eigenen Heft loslegen konnte.

Es gab großen Bedarf für neue Comicserien. Mitte der 50er Jahre hatte eine Kampagne gegen den angeblich jugendgefährdenden Einfluss von Comics, repräsentiert durch das Buch Seduction of the Innocent des Psychologen Frederic Wertham, vielen Reihen den Garaus gemacht. Härtere Krimi- und Horrorstoffe waren nun in Comics ausgeschlossen, viele an sich sehr erfolgreiche Titel mussten eingestellt werden. Die Verlage wünschten sich, die Superhelden des »Golden Age« wieder aktivieren zu können. Als um 1950 feststand, dass man mit Flash das richtige Rezept gefunden hatte, kehrten sie bei DC in rascher Folge zurück: Aquaman, Green Arrow, Atom oder Hawkman. So konnte auch das reichlich vorhandene alte Material nachgedruckt werden.

Noch immer verdiente Superman die Büromiete

Im ausufernden Bildteil (der fast 90 Prozent des Buchs ausmacht) wird aber auch deutlich: Der Aufbruch ins »Silver Age« war nur ein kleiner Teil des DC-Programms in den 60er Jahren. Ein Großteil der Produktion kreiste um den zuverlässigen Umsatzbringer Superman und war nur wenig innovativ. Superman-Comics waren festen Regeln unterworfen. Sie waren konsequent auf junge, etwa zehnjährige Leser zugeschnitten, naiv, anständig und sehr erzieherisch. DC setzte darauf, seine Comics über das Cover zu verkaufen, auf dem regelmäßig für die Fans unglaubliche Dinge angekündigt wurden: Supermans Geheimidentität wird entdeckt! Superman verliert seine Superkräfte! Superman begegnet seiner zweiten Identität Clark Kent! In der Regel kreierte der Redakteur zuerst das Cover und ließ dann eine dazu passende Story schreiben (in der das Unfassbare dann mit einer einfachen Erklärung aufgelöst wurde).

Superman erlebte in den 60er Jahren auch eine konsequente Ausweitung der Produktpalette: Außer in Action Comics und seiner eigenen Serie trat er auch in Superboy, Supergirl, Superman’s Pal Jimmy Olsen, Supermans Girlfriend Lois Lane und in Teamcomics wie Justice League of America oder Teen Titans auf (wo er allerdings, um eine Kannibalisierung zu verhindern, anfangs nicht aufs Cover durfte). Schließlich wurden sogar Super-Haustiere wie der Superhund Krypto, das Superpferd Comet oder der Superaffe Beppo kreiert, die alle zur Superman-Familie gehörten. Der frühere DC-Redakteur Paul Levitz schreibt in seiner Einführung, der »gute alte Superman«, dem ein Viertel aller DC-Titel gewidmet war, habe auch im »Silver Age« die Büromiete des Verlags gezahlt.

Es gab bei DC allerdings wesentlich mehr als Superhelden-Comics, wie der Prachtband des Taschen Verlags in einem großzügigen Überblick eindrucksvoll vermittelt: Kriegs-Serien wie G. I. Combat oder Sgt. Rock blieben in den 60er Jahren populär, es gab natürlich Westernserien wie Tomahawk oder Bat Lash, Romance-Comics wie Young Love, Science-Fiction-Serien wie Mystery in Space oder Strange Adventures, gemäßigte Horrorserien wie House of Mystery oder Humormagazine wie The wide-wacky World of Stanley and his Monster oder Sugar and Spike. Für jedes Genre verfügte DC über spezialisierte Autoren und Künstler, die in diesen Grenzen teilweise Außerordentliches leisteten, aber ihre Fachgebiete in der Regel nicht verließen.

Nur ein Affe pro Monat

Das großformatige Buch mit Heftabbildungen in mehr als Originalgröße zeigt deutlich, dass der Verlag, als er 1961 bei den Verkaufszahlen den Konkurrenten Dell mit Walt Disney– und vielfältigen Film- und Fernsehserien abhängte, die sicherlich besten Comiczeichner ihrer Zeit beschäftigte. Das gilt sowohl für Infantino und den Green Lantern-Zeichner Gil Kane, die Superhelden in der zweiten Hälfte der 50er Jahre neu definierten, als auch für Könner wie Jack Kirby, Joe Kubert, Alex Toth oder Nick Cardy. Leute wie der langjährige Superman-Zeichner Curt Swan arbeiteten zumindest so präzise und solide, dass es eine Freude ist, ihre Cover oder Splashpages zu betrachten. DC konnte es sich leisten, einen begabten Nachwuchskünstler wie John Romita, der später bei Konkurrent Marvel Comics deren Aushängeschild Spider-Man sein bis heute gültiges Aussehen verlieh, nur bei langweiligen Romance-Comics einzusetzen.

Die Leistungen der Autoren lassen sich durch die Abbildung von Covern und einzelnen Comicseiten nicht so gut nachvollziehen. Aber sie scheinen in vielen Fällen qualitativ gute, aber seelenlose Konfektionsware abgeliefert zu haben. Die Leser wurden von den Machern im Verlag offenbar nicht sehr ernst genommen. Das zeigt sich etwa an den beliebten Affen-Covern: Man wusste bei DC, dass sich ein Comicheft deutlich besser verkauft, wenn ein Affe, möglichst ein Gorilla, auf dem Titel abgebildet ist. Die Redakteure und Autoren hatten also keine Skrupel, in den Serien immer wieder Affen unterzubringen, bis die Regel eingeführt wurde, dass es nur einen Titel pro Monat mit Gorilla auf dem Cover geben durfte.

DC profitierte von den laufenden Bildern nicht weniger als Konkurrent Dell, allerdings auf umgekehrtem Weg: 1966 kam Batman ins Kino: Batman hält die Welt in Atem hieß der von William Dozier für 20th Century Fox produzierte Film, der von einer ABC-Fernsehserie begleitet wurde. Das löste einen Höhenflug der bis dahin nur mäßig erfolgreichen Comicfigur aus, der bis heute anhält. Kinofilm und TV-Serie waren typisch für den selbstironisch-verrückten, bonbonbunten und trashigen 60er-Jahre-Stil. In seinem Gefolge wurden auch die DC-Comics etwas lockerer und experimenteller. Ende der 60er Jahre wurden, wenn auch mit einiger Vorsicht, gesellschaftliche Veränderungen wie die entstandenen Jugend- und Protestkulturen und die Frauenemanzipation aufgegriffen. Ein Problem, wenn auch nicht nur für DC, war die Haltung zum Vietnamkrieg. Der Taschen-Band zeigt, wie Carmine Infantino ab 1967 als Verlagsdirektor einen Wandel durchsetzte, indem er den Zeichnern bei ihren Serien mehr Freiheit gab.

Konkurrent Marvel machte Monster zu Helden

Ein legendärer Zeichner, der in der Ära Infantino zu DC kam, ist Neal Adams. Ein Interview von Paul Levitz mit ihm leitet das DC-Silver-Age-Buch ein. Adams arbeitete in den 60er Jahren zunächst als Werbegrafiker, hätte aber gern schon viel früher Comics gezeichnet. Joe Simon, ein Profi, riet ihm dringend ab. Gegen Ende des Interviews bringt Levitz den großen Konkurrenten Marvel ins Spiel, der heute mit Serien wie The Fantastic Four viel mehr das »Silver Age« repräsentiert als DC. Adams sieht das so: »Alle Figuren bei DC waren aufgrund ihrer Geschichte Amerikaner wie aus dem Ei gepellt – sie strahlten, hatten gute Arbeitsplätze und geheime Identitäten. Bei Marvel überzeugte Jack Kirby Stan Lee von den vier Figuren, die ins Weltall fliegen, von kosmischen Strahlen bombardiert werden und als Monster zurückkehren – machen wir die Monster zu Helden!«

Die Marvel-Helden waren freilich nicht nur Monster, sondern wirklichen Menschen und ihren Problemen näher als die DC-Konkurrenz. Sie lebten in einem vermeintlich realen New York und führten dort ein Leben wie in einer Soap Opera. Davon ist in dem Band allerdings nichts zu sehen oder zu lesen. Sicher – es ist die Party von DC. Das Silver-Age-Buch ist ein erweiterter Teil des gewaltigen, ebenfalls bei Taschen erschienenen Bandes 75 Jahre DC Comics. Trotzdem wäre es interessant gewesen, wie DC in den 60er Jahren auf den Nachzügler Marvel reagierte, der in der Ägide von Stan Lee einmal nicht lediglich die Erfolgsrezepte von DC kopierte, sondern einen neuen, noch erfolgreicheren Superheldentypus kreierte.

Die Geschichte der beiden großen Comicverlage ist nur in ihrer Wechselwirkung zu verstehen. Offensichtlich ist, dass sie sich maßgebliche Künstler immer wieder gegenseitig abwarben. So kehrte Jack Kirby, nachdem er das im großspurigen Verlagsjargon sogenannte »Marvel Age« fast im Alleingang auf die Beine gestellt hatte, 1970 zu DC zurück und erschuf dort eine wiederum neue Art von mythologischen und Endzeitcomics. Selbstverständlich war auch in den 60er Jahren nicht nur Marvel Innovator und DC ewiger Zweiter. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wird der Konkurrent aber ängstlich ausgespart und totgeschwiegen. Trotz aller Opulenz und der großartigen Schauwerte sieht der Leser hier also nur einen Ausschnitt der Entwicklung des Superhelden-Genres. Und das ist schade.

| ANDREAS ALT

Titelangaben
Paul Levitz: The Silver Age of DC Comics
Aus dem Amerikanischen von Thomas J. Kinne
Köln: Taschen Verlag 2013
396 Seiten, 39,99 Euro

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