Das Erbe der Bilderhefte

Comic | Meter/Raidt: Böse Geister

Billige Gruselcomics sind nicht totzukriegen. Immer wieder strecken sie ihre untoten Finger aus den Grüften der 50er, 70er und 80er Jahre in unsere Gegenwart und bringen neue Comicreihen wie Malcom Max hervor – oder die wehmütige, nostalgische Reminiszenz Böse Geister von Peer Meter und Gerda Raidt. Letztere ist eine Milieustudie deutscher Nachkriegsbefindlichkeit im Gewand einer kleinen modernen Gruselgeschichte. BORIS KUNZ hat sich mit den Geistern der Vergangenheit auseinandergesetzt.

Böse Geister
Der deutsche Comicautor Peer Meter hat sich in seinen bisherigen Graphic Novels (Gift, Haarmann, Vasmers Bruder) hauptsächlich mit real existierenden deutschen Serienmördern beschäftigt. Seine erste rein fiktionale Comicgeschichte wirft dagegen die Frage auf, ob sie wirklich rein fiktional ist – oder ob die Hauptfigur Harry Wallmann so etwas wie ein Alter Ego des Autors ist. Das würde nämlich dessen Vorliebe für düstere und morbide Themen erklären. Harry war schließlich in seinen Kindertagen in den 60er Jahren ein Fan und Sammler von gruseligen Gespenstercomics. Heute kehrt er, als sechzigjähriger Mann, nach Bremen in das Viertel seiner Kindheit zurück, um einen letzten Blick auf das Haus zu werfen, in dem er damals mit seiner Mutter gewohnt hat, bevor dieses endgültig der Abrissbirne zum Opfer fällt. Doch ganz so leer scheint das Haus gar nicht zu sein: Nicht nur ein ganzer Haufen Erinnerungen spukt zwischen den heruntergekommenen Wänden und verstaubten Möbeln herum – auch die Stimme des alten Buchhändlers Geffe dringt noch vom Dachboden in den ehemaligen Verkaufsraum herunter.

Das Recht auf Schmutz im Land der Saubermänner

Damals hatte der Mann im Erdgeschoss des Wohnhauses einen Laden Namens »Geffes Bücherbörse« (die es tatsächlich gegeben hat). Er war aber weniger auf Bücher, sondern mehr auf Romanhefte spezialisiert. Geffe kaufte an, sortierte und verkaufte wieder. Und er schien jeden Kunden, der seinen Laden betrat, mit Namen zu kennen und über dessen Vorlieben bescheid zu wissen. Er war freundlich und gutherzig, und wenn der kleine »Gespenster-Harry« ihm ab und an etwas beim Sortieren der Ankäufe half, bekam er dafür die ihm fehlenden Exemplare von Geschichten des Grauens (die es wiederum in dieser Form zu dieser Zeit so in Deutschland noch nicht gegeben hat) zugesteckt. Geffe war so etwas wie der nette Onkel von Harry: Ein Freund, wie man als Kind unter Erwachsenen nur selten einen findet. Er war somit der komplette Gegenpol zum Antagonisten der Geschichte: zu Herrn Müller-Naujoks, dem strengen Schuldirektor von Harry, einem erzkonservativen Mathematiklehrer mit einer Prothese an der linken Hand.

Den Dualismus zwischen diesen beiden Figuren sowie das Spannungsfeld, in dem sich der kleine Harry in dieser Geschichte befindet, macht Peer Meter vor allem daran klar, wie Geffe und Müller-Naujoks sich in dem Comic zu Harrys Vorliebe für Gruselcomics verhalten. Während Geffe ihm bedenkenlos zu einer kompletten Sammlung verhilft, hält Müller-Naujoks diese Hefte für den letzten Schund und fühlt sich daher bemüßigt, auch außerhalb des Schulgeländes tatkräftig einzuschreiten, wenn er einen seiner Schüler mit so einem Schmutz erwischt.

Man muss nicht der Generation von Harry Wallmann oder Peer Meter angehören, um sich als Comicleser in diesem Spannungsfeld selbst wiederzuentdecken. Auch wenn derart übergriffige Pädagogen wie Müller-Naujoks, die ihren eigenen Anspruch als Sittenwächter höher einschätzen als das Recht ihrer Schüler auf ein Privatleben, inzwischen hoffentlich ausgestorben sind: jeder, der schon einmal ein Gespenster-Geschichten-Heft oder einen Clever & Smart-Band vor dem elterlichen Blick unter der Matratze versteckt hat, kann sich mit Harry Wallmann identifizieren. In einer Zeit jedoch, als Comics noch »Bilderhefte« genannt wurden, die Veröffentlichung der Mumins in der Kinderzeitschrift Rasselbande böse Leserbriefe zur Folge hatte und selbst ein kluger Humorist wie Manfred Schmidt sich bemüßigt fühlte, gegen die Hirnlosigkeit von Superheldencomics ins Feld zu ziehen (und damit ironischerweise mit Nick Knatterton einen Meilenstein deutscher Comic-Geschichte schuf), muss das Leben als unbedarfter jugendlicher Comicleser noch viel härter gewesen sein.

Seltsam aber wahr?

Das ganz konkrete Unglück, das Harry Wallmann nach dem Unfalltod des Vaters und durch seine Liebe zu Gespenstercomics widerfährt, und an das er sich nun stückchenweise wieder erinnert, während er durch das abrissreife Haus seiner Jugend schleicht, kann man jedoch nicht noch eingehender schildern, ohne zu viel zu verraten. Eigentlich ist sie auch in nur wenigen Szenen erzählt. Von Peer Meter und Gerda Raidt wird sie jedoch mit liebevoller Ausführlichkeit geschildert. Dieser Ausführlichkeit verdankt es die eher überschaubare Kurzgeschichte (die durchaus das Potenzial gehabt hätte, sie zum großen Drama auszuwalzen), dass sie es schafft, den Leser in ihren Bann zu ziehen.

Gerda Raidts Zeichnungen sind komplett mit dem Bleistift ausgeführt, sodass sie stets als Zeichnungen erfahrbar bleiben. Das erinnert an die Illustrationen von Isabel Kreitz zu Meters Haarmann, doch Raidts Strich ist ein wenig grober und kantiger und nicht so detailversessen, dass noch der letzte Pflasterstein komplett ausschattiert werden muss. Die Seiten sind fast durchgängig in drei gleich große Panels eingeteilt. In längeren Dialogmomenten wird es etwas kleinteiliger, und in ausgesuchten Augenblicken – vor allem dann, wenn es in den unheimlichen Speicher des Hauses geht – unterbricht Raidt den gleichmäßigen, ruhigen Erzählfluss mit großformatigen Panels. Diese versprühen eine erschreckende Lebendigkeit: man meint beinahe, nur vom Ansehen der Bilder das raue Holz der Dachbalken spüren oder die abgestandene Luft riechen zu können. Und auch wenn die Figuren manchmal etwas steif wirken: Die Settings entwickeln einen ungeheuren Realismus, der eventuell daher kommt, dass vermutlich jeder von uns einmal in einem solchen Haus, in einem solchen Speicher gewesen ist.

So wirkt Böse Geister alles in allem so wirklichkeitsnah und lebendig, dass man es Peer Meter einfach glauben würde, wenn er dieses kleine Drama mit den Worten »Nach einer wahren Begebenheit« eingeleitet hätte. Der Geisterspuk in dieser Geschichte vollzieht sich äußert subtil und auf eine Art, die vermutlich auch der eine oder andere in seiner Kindheit erlebt zu haben meint. Natürlich lässt sich der Band auch als besonders niveauvoller Gruselcomic lesen. Als solcher funktioniert er aber eigentlich nur mit einem Augenzwinkern – aber das hätte er ja mit den großen Klassikern des Horrorcomics gemein.
Bilder: Reprodukt

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Peer Meter (Text), Gerda Raidt (Zeichnungen): Böse Geister
Berlin: Reprodukt 2013
104 Seiten, 20 Euro

Reinschauen
Homepage von Peer Meter
Homepage von Gerda Raidt

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