//

Durchgeknallte Freundeskreise

Film | TV: Tatort – Todesspiel (SWR), 19. Januar

Eine Clique um die Dreißig, Konstanzer Boheme, bunt zusammengewürfelt; wer auf sich hält, ist dabei: Vom steinreichen Privatier über Boutiquenbesitzerin und Hedgefondsmanager zum Superstarwettbewerbszweitplatzierten bis zur traumatisierten, abgelegten Ex in der Klinik – sortiert von einer Kommissarin Blum (Eva Mattes), die zielstrebig und unbeirrbar ermittelt wie eine, Kompliment, Miss Marple at her best. Auf so tragfähigem Fundament wurde TATORT seit gefühlten Ewigkeiten nicht gedreht. Man vergisst zu schnell. Von WOLF SENFF
www350
Der Millionenerbe Benjamin Wolters (Michael Pink) liegt erschossen in seiner Villa. Zwei Kopfschüsse aus kurzer Distanz, von einem Einbruch keine Spur. Wolters war ein Zyniker, der provozierte, sich auf Kosten anderer amüsierte und sie von sich abhängig machte – über eine zu geringe Zahl an Feinden konnte er nicht klagen, auch die Kumpel in der Clique kommen als Täter infrage.

Strikt genrekompatibel

Dieser Freundeskreis ist zu Beginn ein übersichtliches Sortiment von Verdächtigen, das abgearbeitet wird. Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) leistet kurzzeitig Undercover-Arbeit und trägt zum Unterhaltungswert bei. Die Kommissarin geht dem Verdacht gegen einen Polizeibeamten nach, es ist die Rede von einem Unbekannten namens Boris – Todesspiel eröffnet forsch und lebhaft seine Handlungsfelder, die zuvor ordnungsgemäß angelegt wurden. Die Zusammenhänge sind überzeugend konstruiert (Buch: Leo P. Ard) und werden ohne Hektik, Sensation und Alarm spannend umgesetzt (Regie: Jürgen Bretzinger).

Originelle Szenenwechsel beschleunigen, forsche Schnittdramaturgie (Sabine Dietrich-Jany) fällt angenehm auf. Dieser TATORT gewinnt eine für Konstanzer Verhältnisse, mit Verlaub, bisher kaum bekannte Schnelligkeit und Lebendigkeit.

Angesichts der zurzeit durch grenzwertige Experimente unübersichtlich und diffus gewordenen TATORT-Identität muss man den »Mut« anerkennen, einen Film nach herkömmlichem Strickmuster vorzulegen. Einen Krimi halt. Wozu dienen die letzten zehn Minuten im Kriminalfilm? Genau. Der enttarnte Täter wird verfolgt und gestellt. Anschließend werden einige Details, die man fast vergessen hätte, sorgfältig zurechtgerückt. Gefühlt lief seit Monaten kein so genrekompatibler TATORT in unseren Wohnzimmern.

Solche Leute gibt’s real

Klassisch in anderer Hinsicht ist leider die Clique, die aus berufenem Munde »eine dekadente und durchgeknallte Truppe« genannt wird. Das lässt sich abstreiten? Nein, kein Klischee. Es gibt diese oberflächlichen, seelenlosen Dreißigjährigen in beunruhigender Größenordnung außerhalb der Flachbildschirme. Jeder ist sich selbst der Nächste. Dem Zuschauer wird ein niederschmetterndes Panoptikum ambitionierter, moderner junger Männer und Frauen vorgeführt – Konstanz, Bodensee, wir erinnern uns, zählt sich zu den Inseln der Reichen und der Schönen.

Sie sind erfolgshungrig, inhaltsleer, von eitlem Glanz regiert und von Mammon, gefühlsarm, fehlgeleitet – nein, vermutlich ganz und gar nicht so, wie ihre Eltern sie sich gewünscht hätten, im Gegenteil (Eltern treten mit Ausnahme des erwähnten Polizisten nicht auf). Das gibt Stoff zum Nachdenken, so wünschen wir den TATORT, und womöglich hat Günther Jauch anschließend illustre Gäste parat, Banker vielleicht, Steuerhinterzieher, Finanz- und Miethaie, einen Bischof, Immobilienspekulanten, um darüber zu plaudern, wie sehr Geld den Charakter verdirbt und weshalb. Herr Jauch kann gewiss Erhellendes zur Diskussion beitragen. Wär‘ auch mal ein nettes Wochenthema.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Todesspiel (SWR)
Regie: Jürgen Bretzinger
Ermittler: Eva Mattes, Sebastian Bezzel
So., 19.01.14, ARD, 20:15 Uhr

Reinschauen
Alle Sendetermine und Online-Abruf auf DasErste.de
Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon (eBook)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Lesen lindert Leiden

Nächster Artikel

Some Tunes To Help Fight Those January Blues!

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Die vierte Gewalt

Film | Im Kino: Die Verlegerin Journalisten, die trotz Verbots der Regierung eine Story veröffentlichen wollen, die den US-Präsidenten in Bedrängnis bringen würde – der Film ›Die Verlegerin‹ erzählt eine wahre Geschichte. Steven Spielberg auf dem Regiestuhl, Meryl Streep und Tom Hanks in den Hauptrollen. Das klingt nach großem Kino – und zudem sehr zeitgemäß. »Ist es das auch?«, möchte FELIX TSCHON wissen.

Die Ausrichtung der Bretter vor unseren Köpfen

Film | Ab 10.Oktober im Kino: Aus dem Leben eines Schrottsammlers Dieser Film gibt uns Aufschluss über unsere eigenen Sehgewohnheiten. Oder, anders formuliert: Er hilft uns, die Ausrichtung der Bretter vor dem eigenen Kopf wahrzunehmen. All das strahlend neofeudale Auftreten, das sich die heimischen Hollywood-Blaupausen längst zueigen gemacht haben bzw. in europäisierter Version kredenzen, geht diesem Film ab. Wie angenehm. Von WOLF SENFF

Der Tod, der ihm das Lächeln zurückgab

Film | Helium(*) Ein Film von Eché Janga 1953 wurde es gegründet, seit 1994 ist es mit Heidelberg verbunden, das aufgrund seiner stargetöse- und mainstreamfreien Atmosphäre überaus wohltuende Filmfestival in Mannheim. Michael Kötz, seit 1992 künstlerischer Direktor, begrüßt das Kinopublikum in der Regel launig, durchaus erheiternd, Helium avisierte er über das Genre Gangster und Ganoven. Über die Geschichte, die Handlung, meint er am Ende seiner Anmoderation, möge man besser erst gar nicht weiter nachdenken, entscheidend sei die Atmosphäre. Von DIDIER CALME

Radikal innovativ

Film | Im TV: ›TATORT‹ 924 – Die Feigheit des Löwen (NDR), 30. Nov Diesmal wird in deutsch-syrischen Zusammenhängen ermittelt, es geht zunächst um illegale Immigranten und um einen Schleuserring, der in einen Todesfall verwickelt ist, gefälschte Pässe, die Bundespolizei fahndet. Von WOLF SENFF

»Blasen, die die Welt befreien«

Film | Thank you for the Rain Kenianische Dokumentarfilme wie ›Thank you for the Rain‹ zeigen eine afrikanische Perspektive. Übermütig und wild entschlossen sind sie Vorkämpfer für sozialen Wandel und Klimaschutz. SABINE MATTHES im Interview mit Peter M. Mudamba, Programmdirektor von DOCUBOX – dem ›East African Documentary Film Fund‹ – in Nairobi, Kenia.