F wie …

Roman | Daniel Kehlmann: F

Daniel Kehlmann: F – eine Frage steht zugleich am Anfang im Raum. Wofür steht das »F«? Der Autor selbst bietet verschiedene Vorschläge in seinem Roman an: Familie Friedland. Finanzkrise. Fatum. Fälschung. Mit der Vermessung der Welt (2005) wurde Kehlmann weltweit bekannt, an diesen Erfolg anzuknüpfen, ist alles andere als leicht. Ist dem Autor mit F nun der nächste große Wurf gelungen? Von TANJA LINDAUER

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F wie… Fatum, wie Schicksal? In Kehlmanns jüngstem Roman F wird die Geschichte der Familie Friedland erzählt. Arthur Friedland, ein nicht sonderlich ehrgeiziger Autor und Gelegenheitsphilosoph, besucht mit seinen drei Söhnen in den Achtzigerjahren eine Hypnoseshow. Arthur belächelt dabei die Show mehr oder minder, denn er ist der Überzeugung, dass er von einem Hypnotiseur nicht beeinflusst werden kann. Doch dieser Besuch wird sein Leben und auch das seiner Familie komplett ändern.

Schon auf der Heimfahrt beginnt die Veränderung. Denn Arthur lässt seine Familie prompt sitzen und macht sich aus dem Staub. Seine Söhne (von zwei Frauen) erfahren nur aus den Nachrichten, was mit ihrem Vater geschehen ist: Er ist nun ein gefeierter Bestsellerautor. Seinen größten Erfolg hat er mit »Mein Name sei Niemand«, in dem es um einen Protagonisten namens »F« geht und sogar eine Selbstmordwelle bei den Lesern auslöst – Goethe lässt grüßen.

Im Laufe des Romans werden nun die Lebensläufe seiner Söhne geschildert. Der fettleibige Martin, der älteste Sohn, möchte Priester werden, doch fehlt ihm so recht der Glaube an Gott. Seine beiden Halbbrüder verfolgen eine völlig andere Laufbahn: Iwan, einer der Zwillinge, schlägt eine künstlerische Richtung ein und möchte Maler werden. Doch er endet als Galerist und Biograf und fälscht die Bilder seines Gefährten Heinrich Eulenböck.

Sein Zwillingsbruder Eric hingegen bekommt die Finanzkrise im vollen Ausmaße zu spüren. Er lebt auf großem Fuß, doch die Krise stürzt ihn beinahe in den Abgrund und rettet ihn schließlich. Das Geld seines wichtigsten Klienten hat er schon längst durchgebracht und so er hält diesen immer wieder mit Ausflüchten hin. Auch privat befindet er sich auf einer Talfahrt: Tochter, Ehefrau und Geliebte wachsen ihm über den Kopf. Und auch sein Verstand scheint sich immer mehr im Wohlgefallen aufzulösen.

Sie alle sind Heuchler: Martin tut nur so, als glaube er an Gott, Iwan fälscht ein Bild nach dem anderen und Eric verprasst Geld, das ihm nicht gehört. Doch die Strafe folgt – wenn auch nicht für jeden. Und anders, als man erwartet.

Kehlmanns Tafelrunde

Anspielungen sind in diesem Roman zuhauf zu finden. So sind die Namen Arthur und die seiner Zwillingssöhne Iwan und Eric offenkundig Anspielungen auf Arthurs Tafelrunde. Doch ritterlich sind sie alle ganz und gar nicht.  Die Tugenden der Tafelrunde sucht man vergebens. Der Romananfang hingegen erinnert an Thomas Manns Mario und der Zauberer. Und auch aktuelle Anspielungen auf die Finanzkrise, die Kritik an katholische Priester oder auch auf den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi verarbeitet Kehlmann in seinem Roman.

Die drei Brüder erzählen dabei in verschiedenen Abschnitten des Romans von ihren Leben und ihrer Sichtweisen auf die Welt. Durch die Ich-Perspektiven bleibt der Leser somit weiter im Ungewissen: Können die Figuren tatsächlich nicht anders handeln? Ist ihr aller Leben wirklich vorbestimmt? Können sie ihrem Schicksal – das mitunter tragisch ist – nicht entkommen? Sind Zufall und Schicksal gleichzusetzen? »Aber der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war. Irgendein Zufallsschicksal. So etwas passiert schnell.«

Bereits in Ruhm hat der Autor von der undurchschaubaren Welt erzählt, was er nun in F weiter auf die Spitze treibt. Ein für die Brüder entscheidender Tag in ihrem Leben wird dabei von allen drei wiedergegeben. Das liest sich, wie bei dem Autor zu erwarten, zwar eingängig, doch scheint er in diesem Roman dennoch etwas von seiner Leichtfüßigkeit, wie man sie aus Die Vermessung der Welt (2005) kennt, eingebüßt zu haben.

Und so scheint auch F wie Fluch durchaus auf den Titel zuzutreffen, denn den Fluch des Vergleichs konnte Kehlmann mit seinem neuesten Roman nicht durchbrechen. Doch ist F sowohl geistreich, intelligent als auch äußerst unterhaltsam, bissig und die (mehrmalige) Lektüre mehr als lohnenswert.

| TANJA LINDAUER

Titelangaben
Daniel Kehlmann: F
Berlin: Rowohlt 2013
384 Seiten. 22,95 Euro

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Leseprobe
Daniel Kehlmann in TITEL-Kulturmagazin

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