//

Ein barockes Panorama

Film | TV: TATORT – Adams Alptraum (SR), 26. Januar

Im Grunde genommen sträubt sich die Feder, diesen TATORT zu rezensieren, man mag sich das nicht antun. Weshalb? Weil ein Fall von Kindesmissbrauch beteiligt ist, und mittlerweile entsteht leider der Eindruck, dass Kindesmissbrauch, weil quotenträchtig, gezielt mit Blick auf die Quote eingesetzt wird. Wer auf das vergangene TATORT-Jahr zurückblickt, findet zahlreiche Fälle von Kindesentführung, von sexuellem Missbrauch. Doch sehen wir erst einmal auf den Film, auch wenn’s schwerfällt. Von WOLF SENFF
Krimi
Sven Haasberger (Markus Hoffmann), mit Leib und Seele Schwimmtrainer, nimmt auf einer öffentlichen Veranstaltung einen Scheck für seinen Verein entgegen und wird wenige Minuten später in einer Seitenstraße von einer Horde vermummter Gestalten krankenhausreif geprügelt. Eine hochgradig alarmistische Eröffnung. Schmierereien weisen auf Kindesmissbrauch hin, und es stellt sich heraus, dass Haasberger sich per Internet und unter Pseudonym an Kinder wandte.

Die Damen, wie es scheint, haben alles im Griff

So einfach bleibt es nicht, Barbara Seitz-Ehrmann (Mélanie Fouché), Staatssekretärin des Inneren, setzt, da es nun auch um ihren Sohn geht, den Dienstweg zur Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach) in Gang, und die schneidigen Damen zeigen, dass sie die Hebel der Herrschaft routiniert und genüsslich bedienen. Kurz darauf erleben wir allerdings wieder, dass die stets lasziv auftretende Staatsanwältin in Gegenwart des Kommissars dahinschmilzt – »Stör‘ ich?«, erkundigt sich Horst Jordan (Hartmut Volle), Leiter der Spusi, bevor er das Büro betritt.

Überhaupt herrscht im Büro eine entspannte Atmosphäre. Doch Polizeiarbeit ist, wie wir freundlicherweise erfahren dürfen, nicht Inspiration, sondern harte Arbeit, nämlich Transpiration. Es gibt unmissverständliche Anweisungen: »So, stopp – lass uns mal kurz nachdenken«, und Jens Stellbrink (Devid Striesow) beweist unstrittig Format beim Verhör der Staatssekretärin.

Margot Müller ist wieder da

Die Handlung ist dicht sortiert (Regie: Hannu Salonen). Sie balanciert souverän zwischen »Abschalten« aufgrund einer Patientenverfügung, öffentlich geschürter Hysterie um »Kinderschänder«, einer Tochter mit alkoholisierter Mutter, per Internet mobilisiertem Flashmob, einem Kind mit Down-Syndrom, zwei Brüdern, die sich in eine Datsche bei Homburg/Saar zurückziehen, einer aufgelösten Staatssekretärin sowie dem unerwarteten Auftauchen der resoluten und seit Melinda unvergessenen Margot Müller (Silvia Bervingas) – ein barockes Panorama menschlicher Charaktere und Verhältnisse (Buch: Lars Montag, Dirk Kämper).

Nicht fröhlich, nein, keineswegs, aber leichtfüßig und nicht ohne Eleganz arrangiert, und zum Schluss wird eine Schleife Spannung zusätzlich draufgebunden. Nein, es gibt keinen Anlass, über diesen TATORT zu klagen, und das anfangs irritierende Kinderschändermotiv sieht sich, sofern man nur aufmerksam hinschaut, durch das Geschehen auf raffinierte Weise ausgehebelt. Schön.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Adams Alptraum (Saarländischer Rundfunk)
Regie: Hannu Salonen
Ermittler: Devid Striesow, Elisabeth Brück
So., 26. 01., ARD, 20:15 Uhr

Reinschauen
Alle Sendetermine und Online-Abruf auf DasErste.de
Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon (eBook)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

The MFS Trip into the History of Trance!

Nächster Artikel

Köpfchen muss man haben!

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Die Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin

Film | DVD: Alban Berg – Lulu Nur zwei Jahrzehnte liegen zwischen der Entstehung des Rosenkavaliers und der Fragment gebliebenen Lulu. Was aber bei der Oper von Richard Strauss irritiert (und manche Fans gerade begeistert), dass Hugo von Hofmannsthal ein völlig anachronistisches Libretto beigesteuert hat, trifft auf Alban Bergs zweite Oper nicht zu: Hier haben mit Wedekinds Stück, das er aus seinem Erdgeist und der Büchse der Pandora kombiniert hat, und der Komposition des Schönberg-Schülers zwei Kunstformen zusammengefunden, die auf der Höhe der Zeit standen und bis heute den Anspruch der Modernität bewahrt haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Der globale Rausch

Interview | Thema: Alkohol

In Andreas Pichlers Dokumentarfilm ›Alkohol - Der globale Rausch‹ entpuppt sich Alkohol als der Blinde Fleck unter den Drogen. Der Film erkundet, warum Alkohol so erfolgreich ist, trotz der massiven volkswirtschaftlichen und gesundheitlichen Schäden. Und wie stark die Industrie Politik und Gesellschaft beeinflusst.

Ein Interview von SABINE MATTHES mit:
Daniel Drepper, Journalist, verfasste mit Sanaz Saleh-Ebrahimi für Correctiv die Recherche ›Wie die Alkoholindustrie uns dazu bringt, immer weiter zu trinken‹,
Andreas Pichler, italienischer Dokumentarfilmemacher und Grimme-Preisträger aus Bozen und
Mariann Skar, Generalsekretärin von Eurocare (European Alcohol Policy Alliance), Brüssel

Viel Aufregung, wenig Spannung

Film | Im TV: Tatort – Wiederkehr (RB), 15. März Rückblick, Aufklärung von längst vergangenem Geschehen, das kommt neuerdings häufiger, und schon sind wir beim ›TATORT‹ aus Bremen. Nein, »schön« wird man die Eingangsszene nicht nennen, aber sie ist ergreifend, weil sie realistisch und glaubhaft Gefühle von Verzweiflung zeigt, und sie erinnert daran, was Krimi leisten kann außer Verbrecher jagen, Tote zählen und mit Wumme ballern. Von WOLF SENFF

Randlage

Film | Im Kino: Am Ende der Milchstraße »Wenn du mal Probleme brauchst, ich bin für dich da«, so lautet gewöhnlich das Motto des Dokumentarfilms. Das ist nicht jedermanns Sache. Man kennt keinen der Schauspieler, weil es keine sind, und die Beschreibung ist wenig reißerisch, halt kein Hollywood. Eigentlich sollte der Streifen Randland heißen, jetzt aber trägt er den Titel Am Ende der Milchstraße. Leopold Grün und Dirk Uhlig haben ein kleines mecklenburgisches 50-Seelen-Dorf besucht, ihnen ist ein berührendes und präzises Zeitbild des Ostens gelungen. Von HARTMUTH MALORNY