Kulturbuch | Thomas Blubacher: Wie es einst war
Der Insel Verlag hat wieder ein Händchen für schöne Dinge bewiesen. Im gewohnt liebevollem Outfit der Insel-Reihe widmet sich Thomas Blubacher in ›Wie es einst war. Schönes und Nützliches aus Großmutters Zeiten‹ den Dingen, die wir nicht mehr benennen können, weil sie für unsere Zeit obsolet geworden sind. So fungiert das Buch auch als Maß zur Feststellung des eigenen Alters. Welche Begriffe sind einem noch geläufig und wie alt ist man dann wirklich? VIOLA STOCKER unterzog sich einem Test.
Thomas Blubacher hat ein Lexikon archaischer Begriffe geschaffen, das mit »Aalsuppe« beginnt und mit »Zylinder« endet. Statt dröger Lexikonskost erwarten den Leser allerdings heiter-informative Bemerkungen über vergessene Berufe wie »Ameisler« oder »Harzer«, Artikel zu Etikette und Lebensgewohnheiten unserer Urgroßeltern und Großeltern und so manches erklärende Wort, welches veraltete Begriffe ins rechte Licht rückt. Wer hätte schon gewusst, dass ein »Gigolo« nichts mit dem Beruf Richard Geres im gleichnamigen Film »American Gigolo« zu tun hat, sondern schlicht ein Eintänzer war, dem jeder private Kontakt zu Kundinnen untersagt war?
Dokumentation gesellschaftlicher Veränderung
Vor allem zeigt Blubachers Ansammlung musealer Dinge, wie weit wir schon von jenen Zeiten entfernt sind, denen wir uns dank bereits vorhandener Fotografien und Filmaufnahmen doch so nah fühlen. In den vergangenen hundert Jahren hat die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung viele Gegenstände überflüssig werden lassen, während andere sich in den alltäglichen Sprachgebrauch geschlichen haben, ohne dass wir heute ihren Ursprung benennen könnten. So würde zwar heute niemand mehr einen weiblichen Teenager »Backfisch« nennen, dass sich der Begriff aber tatsächlich vom Fischfang ableitet, wo man zu junge Fische, die sich nur zum Backen eigneten, »Backfisch« nannte, wer weiß es wohl noch?
Bedenklich wird es erst, wenn man beginnt, das eigene Alter anhand der diskutierten Ausdrücke zu messen. Gehört man schon zum alten Eisen, wenn man noch weiß, was eine »Brotsuppe« ist? Auch »Aufgebot« und »Eintopf« und »Blocker« sind zwar vielleicht Phänomene, die nicht im Alltagsgebrauch sind, aber sind sie deswegen schon aus Großmutters Zeiten? Allerdings sind die meisten Begriffe tatsächlich mehr als hundert Jahre alt und man hat das Gefühl, in vergilbten Fotoalben zu blättern, wenn man Blubachers Lexikon in Händen hält.
Ein Besuch im Museum
Blubachers Lexikon ist wie ein wohltuender Besuch im Museum. Man blättert sich durch die Seiten, wie man durch die Altbausäle schlendern würde und liest die Artikel mit dem gleichen Blick, den man auf die Artefakte in den Glaskästen gerichtet hätte. Tatsächlich ähneln sich die Situationen sehr. Weder die Dinge im Museum noch jene in Blubachers Buch sind für unser Leben noch notwendig. Man genießt den Gedanken an die früheren Zeiten in stiller Melancholie und freut sich doch, dass man sie los ist, die alten Zeiten.
Denn so nostalgisch und angenehm die Lektüre ist, so wenig verlockend klingt doch die Aussicht, die eigene komfortable Gegenwart hinter sich lassen zu müssen für eine Vergangenheit mit höheren Sterberaten, anstrengenden Berufen, sozialen Schranken und ohne jede Grundsicherung des eigenen Daseins. Eine Rückkehr in ein solches Leben steht kaum zur Debatte. Doch die Erinnerung daran verbirgt die Mühsal und taucht die Reliquien in ein sanftes Licht. In eben diesem lässt sich gut schmökern und es besteht keine Gefahr, sich ob des Verzehrs von all der veralteten Kost »blümerant« zu fühlen.
| VIOLA STOCKER
Titelangaben
Thomas Blubacher: Wie es einst war. Schönes und Nützliches aus Großmutters Zeiten
Berlin: Insel 2013
236 Seiten. 14 Euro