Rum und Ruinen

Kurzprosa | Frank Nihil: Essay oder Stirb

›Essay oder Stirb. Geschichten, Gedanken, Gedichte‹ heißt der Erstling des Karlsruher Musikers und Gelegenheitspublizisten Thomas Hauf, der unter dem Pseudonym Frank Nihil eine schonungslose Seismographie der eigenen, weitgehend als sinnlos empfundenen Existenz zu geben versucht. ALBERT EIBL über Schilderungen des Lebens.

Essay oder StirbIn knapp 50 Einträgen, die wild durcheinandergewürfelt zwischen Essay, Denktagebuch und Bierdeckelpoesie changieren, versucht uns der Autor vor allem eins näherzubringen: sich selbst. Genauer, die ihn ständig von den „wichtigen Dingen“ ablenkende Tretmühle seines Denkens. Dieses Denken ist oft von einer dermaßen durchtriebenen Kaltschnäuzigkeit, von einer so konsequent durchgezogenen Scheißegalhaltung gegenüber allem und jedem, dass es Liebhabern abseitiger Misanthropie zumindest auf den ersten zwanzig Seiten unweigerlich das ein oder andre Schmunzeln entlockt. Dass Nihil dem Leser aber partout keine Lichtblicke in seinem in verschiedensten Grautönen gezeichneten Alltag gönnen will, ist im Ganzen unbefriedigend.

Frank schreibt »um die Situation besser verstehen zu können, um mich besser verstehen zu können, und um es dann in die weite Welt hinaus zu tragen«. Dabei zweifelt er öfters daran, dass es überhaupt irgendwen draußen in der viel zu weit gewordenen Welt interessieren könnte, was ein nicht mehr ganz junger, von der allgewaltigen Sinnlosigkeit des Daseins überwältigter Jünger Bukowskis so aus dem Nähkästchen zu plaudern hat, wenn »der gute alte Muse-Motor« mal wieder am Laufen ist.

Diese Frage stellt sich leider spätestens ab der Hälfte des knapp 90 Seiten langen Büchleins auch der Leser, der den stellenweise recht amüsant versprühten Kulturpessimismus Nihils gern goutieren würde, würde ihm auf der anderen Seite auch ein wenig Stoff aus dem echten, prallen Leben gereicht werden. Das ist es ja, was den Naturalismus Charles Bukowskis und den nonchalanten Erotomanizismus Henry Millers, trotz aller obsessiven Egomanie, so attraktiv macht: Die Schilderung des Lebens in all seiner mannigfachen Gegensätzlichkeit, die in einer unbedingten Bejahung desselben gipfelt.

Der mäßig erfolgreiche Musiker, der an Wochenenden ab und zu Konzerte gibt und seinen nervtötenden Fulltime-Job als Mechaniker in stoischer Dienst-Nach-Vorschrift-Manier absolviert, schreibt, wie er sich selbst eingesteht, »um die Zeit zu vergessen, zu überbrücken«. Sein Schreiben, das das spontane, schnoddrig-unaufbereitete Loslabern zur alleinigen Textethik erhebt, gleicht denn auch einer permanenten Flucht vor den Herausforderungen des Alltags, des Berufs, und nicht zuletzt vor den zwischenmenschlichen Beziehungen des Autors und Protagonisten, von denen wir bis zur letzten Seite so gut wie nichts erfahren. Nach überstandenem Arbeitstag kreist Franks Leben einzig um zwei feste Pole: dem durchgelegenen Sofa in seinem Wohnzimmer und dem Tresen seiner Lieblingsbar.

Getragen von einer tief sitzenden Unzufriedenheit mit sich selbst, den Menschen um ihn herum, kurz, der furchtbaren Banalität der medial verseuchten Gegenwart, gelingen ihm manchmal recht eindrückliche Beobachtungen, so zum Beispiel, wenn er noch völlig verkatert vom Vorabend die neuesten Posts seiner Freunde auf Facebook rauf und runter scrollt, um zu verstehen, warum die meisten nur »Bullshit« zu sagen haben und warum er, Frank, nichts »Beschisseneres« zu tun hat »als die Scheiße durchzulesen«: »weil Langeweile und keine wirklichen Freunde einfach super harmonieren.«

Nihils böse Abrechnungen mit der Massenkultur sind natürlich berechtigt, stoßen aber in ein Horn, das andere Autoren unserer Tage wie Michel Houellebecq oder Rainald Goetz weit virtuoser zu spielen verstehen. Erst im Vergleich mit solchen Größen des schonungslosen Realismus wird deutlich, was Nihils Schreiben fehlt: Die Einsicht, dass das Leben – trotz zunehmender Oberflächlichkeit und entnervender Routine, die ihm oftmals einen schalen Beigeschmack geben – etwas ganz Tolles ist, wenn man nur die Kraft aufbringt, sich einmal aufzuraffen, die Flaschen in die Tonne zu treten und nach Oasen der Schönheit zu suchen. Denn die gibt es, ständig, überall.

| ALBERT EIBL

Titelangaben
Frank Nihil: Essay oder Stirb
Books on Demand: 2014
92 Seiten, 7 Euro

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Gedenken

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gedenken

Höchste Zeit, sagte Anne, höchste Zeit auch für eine feministische Kultur des Gedenkens.

Tilman beugte sich vor.

Unser Blick auf die Gegebenheiten hat zu wenig Struktur, sagte Anne, wir gedenken der Opfer des Terrorismus, der Opfer der Mafia, der Opfer von chemischen Waffen, der Opfer von Flucht und Vertreibung, wir etablieren einen Olympia-Tag, einen Tag des Jazz, einen Europa-Tag, das alles ist wichtig nebst vielem darüber hinaus.

Tilman schenkte Tee nach.

Doch bleiben diese Themen nicht letztlich beliebig?, fragte Anne.

Er stellte die Teekanne zurück auf das schlicht weiße, zierliche Stövchen.

Und? Was fehlt?, fragte er.

Nahstoll

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Nahstoll

Er habe ihn im Zentrum gesehen, sagte Setzweyn, von woher kommt jetzt Setzweyn, man stelle sich das vor: Setzweyn am Salzmeer, hunderttausend Höllenhunde, er wird ein erbärmliches Durcheinander anzetteln, Hagel und Granaten, und ja, ergänzte Setzweyn, doch, Farb habe sich einige Tage auf der Dachterrasse aufgehalten, die Aufregung um den Suizid im ›Moriah Gardens‹ habe ihm sehr zugesetzt, er sei die dritte Woche am Salzmeer, da hinterlasse die Hitze deutliche Spuren, niemand bleibe verschont, man werde dünnhäutig und stecke so etwas nicht locker weg.

Er werde trinken, vermutete Maurice.

Tambora

Textfeld | Wolf Senff: Tambora Nein, nicht ich, sagte der Ausguck, ich war nicht dabei. Thimbleman lachte. Du warst noch gar nicht auf der Welt, stimmt’s? Meine Eltern erzählten davon. Sie sagen, es sei schrecklich gewesen. Ich weiß, Gramner erwähnte den Ausbruch. Das Ende der Welt, sagt Gramner. Der Tambora befindet sich auf Sumbawa, einer Insel des Sundabogens östlich von Java. Weit, weit weg von unserer idyllischen Lagune, sagte der Ausguck Endlos weit. Und dennoch – ein nie dagewesener Ausbruch zu Beginn unseres Jahrhunderts, sagt er, folgenschwer wie der des Krakatau, als schon das Jahrhundert zu Ende ging, Jahrzehnte nach

PETM

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: PETM

Auch der Einbruch der Eiszeit habe die Anzahl der Lebewesen drastisch reduziert, sagte Anne, immer wieder gebe es Brüche, die die Dinge durcheinanderwerfen, daß man nichts wiedererkenne.

Das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum müsse ein extrem tiefgreifender Bruch gewesen sein, sagte Tilman, es werde von der Forschung auf etwa 55,8 Millionen Jahre vor unserer Zeit datiert, habe sich über rund zweihunderttausend Jahre hingezogen und sei, gemessen an der Erdgeschichte, dennoch eine flüchtige Phase gewesen, die man ignorieren könnte, wären ihre Auswirkungen nicht so verheerend gewesen.

Für den Menschen sind zweihunderttausend Jahre eine endlos lange Zeit, sagte Anne und lächelte. Sie legte sich eine Pflaumenschnitte auf und schenkte Tee nach.

Tilman nahm einen Löffel Schlagsahne, es war ein angenehmer Sommmertag.

Kein Ausweg

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Kein Ausweg Auf Dauer fällt es schwer, ihm zuzuhören, findest du nicht, Thimbleman? Schon, ja. Auch wenn er ja recht hat. Daß er nur Katastrophen heraufbeschwört, kannst du aber auch nicht behaupten, Ausguck. Nein, nicht. Und wenn es nun einmal so ist – was kann man tun?