/

Egotrip mit Kulissen

Menschen | Andreas Altmann: Verdammtes Land

Palästina und die Palästinenser erleben augenblicklich einen Boom. Zahlreiche Bücher und Medienberichte sprechen plötzlich aus, was zumindest in Deutschland und auf Deutsch lange Zeit tabu gewesen war. So wichtig und begrüßenswert das ist, so liegt doch ebenso auf der Hand, dass nicht alle Resultate eines Booms befriedigend ausfallen. Gerade hat der bekannte Reisejournalist Andreas Altmann seine Sicht der Dinge unter dem Titel ›Verdammtes Land‹ veröffentlicht. Von PETER BLASTENBREI

Andreas Altmann: Verdammtes LandDeutsche Journalisten sind berühmt dafür, dass persönliche Befindlichkeiten oft einen übermäßigen Raum in ihren Berichten einnehmen. Unser Autor wiederum ist seit langem dafür bekannt, dass sein Hauptthema immer und auf allen Kontinenten er selbst ist. Altmann über Altmann, also. So auch hier, obwohl er 2012 die Brennpunkte des Palästinakonfliktes wirklich gesehen hat, Nazaret, Ramallah, Hebron, Nablus, Jericho, Jerusalem, und in Israel Bnei Brak, Haifa und Netanja. Er war bei der Zerstörung eines palästinensischen Wohnhauses wie bei Demonstrationen dabei und saß sogar für etwa fünf Minuten in israelischer Haft.

Holy shit

Was er zu berichten weiß, hat man allerdings schon oft und oft genug besser, informativer, einsichtvoller gelesen, gesehen und gehört. Dafür aber noch nicht, wie er im nahöstlichen Klima schwitzt und dann Badewannen schätzt. Oder sich vom Tagesstress mit französischen Büchern entspannt. Altmann eben.

Das könnte man auf sich beruhen lassen, wenn sich im ganzen Buch nicht ein so unendlich simples Weltbild offenbaren würde, das tatsächlich jede Sicht auf Palästina verstellt. Der Gipfel allen Übels ist nach Altmann die Religion, jede Religion. Religion ist sexfeindlich, also lebensfeindlich. Und weil Argumente so gar nicht seine Sache sind, beschimpft er alles, was auch nur entfernt nach Religion riecht.

Ihre Anhänger sind – im Sparvokabular des Autors – abwechselnd »Betonköpfe«, »hirnlos« oder »vernagelt«, Allah ist der »Allesbesserwisser«, und fromme Jüdinnen dürfen sich schon einmal »schnelle Brüter« (S. 291) nennen lassen. Das in einer tour de force über 300 Seiten (und geschätzte 40 Prozent des Textvolumens) kann eingefleischte Atheisten bekehren. Unbemerkt vom Autor sind ihm dabei aber auch ein paar humoristische Passagen gelungen. Denn merkwürdigerweise schlugen alle seine Versuche fehl, mit blutjungen Palästinenserinnen anzubandeln. Immer in letzter Minute, und der damals 61jährige Altmann vermutet Sabotage der unheilbar traditionalistischen Familien. Klar, was sonst.

Weniger spaßig, aber folgerichtig ist, wenn er den gesamten Palästinakonflikt als Religionskonflikt versteht. Wie anders, denn solche absolut säkularen Ideologien wie Nationalismus, Rassismus oder Imperialismus kommen in Altmanns Kosmos nicht vor. Ebenso konsequent tappt er gleich in die nächste Falle: der Zionismus war anfangs eine ganz vernünftige Angelegenheit mit nachvollziehbaren Zielen, »von irdischen Idealen geleitet« (S.125), bis fanatisch religiöse Juden alles kaputtmachten. Unwissen oder demonstrative Naivität?

Holzhammer-Recherchen

Parallel zur undifferenzierten Beschimpfung Andersdenkender steht Altmanns Zudringlichkeit, die sich als unverzichtbare journalistische Wahrheitssuche ausgibt. Nach eigenem Bekunden verabscheut Altmann offizielle Interviews (was er auch immer darunter versteht), er will »überrumpeln« (S. 74). Eben das tut er bei Munib al-Masri in Nablus. Weil zum Überrumpeln aber auch Verzicht auf Vorbereitung und Gesprächstechnik gehören, bekommt er von diesem bedeutendsten palästinensischen Unternehmer nur ein paar nichtssagende Sätze hingeworfen. Immerhin spontan.

Zeigt sich ein Gesprächspartner religiös, arten Gespräche regelmäßig in eine Art Inquisitionsverhör aus, in dem Altmanns Gegenüber gefälligst seine Irrtümer zuzugeben hat. Aber ohnehin hat ja halb Palästina nichts besseres zu tun, als beim Autor zur Beichte zu erscheinen: ein Muslim in Nazaret gibt sich als Atheist zu erkennen, der Kellner im Hotel als Homosexueller, ein Mönch im Qarantania-Kloster lässt sich beim Fernsehen beobachten und der Hohepriester der Samaritaner gesteht seine Zweifel ein. Man muss das gewiss nicht alles glauben, denn bei keinem dieser Geständnisse waren Zeugen dabei. Aufschlussreich ist aber die Haltung des Autors, der wie ein Beichtvater gnädig alle Sünden vergibt, sowie er gehört hat, was er hören wollte (besonders S.78-79).

Keine Falle ausgelassen

Ich habe selten ein uninformierteres und uninformativeres Buch über den Nahen Osten gelesen. Gesprächspartner sind zufällig ausgewählt, unwissend und unvorbereitet, wie der Autor ist, weiß er regelmäßig nichts mit ihnen anzufangen (außer wenn er seinen Religionstick bedient) und ist völlig vom jeweils zuletzt Gesehenen und Gehörten abhängig. Umso stärker ist sein Drang, den überlegenen Reporter herauszukehren. Man muss lange suchen, um ein Buch zu finden, das noch derartig aus dem Geist einer unreflektierten eurozentrischen Moderne lebt.

Nicht einmal seine Haltung zu Israel und den Juden ist reflektiert. Immer, wenn er Zeuge eines besonders wüsten Übergriffs der israelischen Armee auf der Westbank war, folgt eine wortreiche, oft seitenlange Erklärung, dass er deswegen aber keineswegs »die Juden« hasst. Das ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit. Auf der Basis seines aus nationaler und familiärer Herkunft gespeisten schlechten Gewissens versteht Altmann die Angst der Israelis vor den Palästinensern voll und ganz, bloß dass sie ihnen ihr Land wegnehmen »ist jammerschade und unheimlich schwer zu verstehen« (S. 59).
So im Jahr 2013!

| PETER BLASTENBREI

Titelangaben
Andreas Altmann: Verdammtes Land. Eine Reise nach Palästina
München: Piper 2014
303 Seiten. 19,99 Euro

Andreas Altmann liest aus »Verdammtes Land«

Am Freitag, 04. April 2014 in München
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Kunstforum Arabellapark der Stadtbibliothek MVHS, Rosenkavalierplatz 16, 81925 München

Am Samstag, 05. April 2014 in Straubing
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG., Theresienstraße 51, 94315 Straubing

Am Montag, 07. April 2014 in Salzburg
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23 / HC Artmannplatz, A-5020 Salzburg

Am Dienstag, 08. April 2014 in Graz
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, A-8010 Graz

Am Donnerstag, 10. April 2014 in Köln
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Gloria Theater, Apostelnstraße 11, 50667 Köln

Am Freitag, 11. April 2014 in Freiburg
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Bettenhaus Stiegeler, Gerberau 36, 79098 Freiburg

Am Montag, 14. April 2014 in Radolfzell
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Buch Greuter, Schützenstraße 11, 78315 Radolfzell

Am Dienstag, 15. April 2014 in Basel
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Thalia Basel, Freie Strasse 32, CH-4001 Basel

Am Mittwoch, 16. April 2014 in Bern
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Buchhandlung Stauffacher, Neuengasse 25–37, CH 3011 Bern

Am Donnerstag, 17. April 2014 in Zürich
Zeit: 20:30 Uhr
Ort: IG Rote Fabrik, Seestr. 395, CH-8038 Zürich

Am Montag, 13. Oktober 2014 in Duisburg
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Zentralbibliothek Duisburg, Düsseldorfer Str. 5-7, 47051 Duisburg
Reservierung unter stadtbibliothek-duisburg.de

Am Dienstag, 14. Oktober 2014 in Stuttgart
Zeit: 20:15 Uhr
Ort: Theaterhaus Stuttgart e.V., Siemensstr. 11, 70469 Stuttgart
Reservierung unter theaterhaus.com und Buchhandlung Wittwer 0711-2507-0

Am Mittwoch, 15. Oktober 2014 in München
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Buch & Cafe Lentner, Balanstraße 14, 81669 München
Reservierungen unter 089-18910096

Am Donnerstag, 16. Oktober 2014 in München
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Geobuch GmbH, Rosental 6, 80331 München
Reservierung unter 089-265030

Am Freitag, 17. Oktober 2014 in Landshut
Zeit: 20:15 Uhr
Ort: Bücher Pustet, Altstadt 28, 84028 Landshut
Reservierungen unter 0871-965855-0

Am Montag, 20. Oktober 2014 in Mühlhausen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Stadtbibliothek Mühlhausen, Westthüringer Kultursalon, Sankt Jakobi 1, 99974 Mühlhausen

Am Dienstag, 21. Oktober 2014 in Erfurt
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Buchhandlung Peterknecht, Anger 28 , 99084 Erfurt
Reservierungen unter 0361-2-44-06-0

Am Mittwoch, 22. Oktober 2014 in Berlin
Zeit: 20:00 Uhr
Ort: Clinker-Lounge in der Backfabrik, Saarbrücker Straße 36a, 10405 Berlin
Reservierung unter buchboxberlin.de

Am Donnerstag, 23. Oktober 2014 in Recklinghausen
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: VHS Recklinghausen, Willy-Brandt-Haus, Herzogswall 17, 45657 Recklinghausen
Reservierungen unter 02361-181249 bei Buchhandlung Musial

Am Freitag, 24. Oktober 2014 in Mühlheim an der Ruhr
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Stadtbibliothek Mühlheim an der Ruhr, Synagogenplatz 3, 45468 Mühlheim an der Ruhr

Am Dienstag, 04. November 2014 in Berlin
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Urania Berlin e.V., An der Urania 17, 10787 Berlin
Reservierungen unter urania-berlin.de

Am Samstag, 15. November 2014 in München
„Best of Altmann“ – Lesung
Zeit: 14:00 Uhr
Ort: CINEMAXX / direkt neben Globetrotter Ausrüstung, Isartorplatz 8-10, 80331 München
Reservierungen unter 089-4445557-0 und bei globetrotter.de/filialen/muenchen

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Verkehrssystem im Eiltempo

Nächster Artikel

Geschichte neu schreiben

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Zur Buchpremiere gab es die Nationalhymne

Menschen | Der Schriftsteller Gabriel García Márquez ist tot »Ich habe einfach aufgehört zu schreiben. Das Jahr 2005 war das erste in meinem Leben, in dem ich nicht eine Zeile zu Papier gebracht habe«, bekannte der kolumbianische Autor in einem Interview mit der chilenischen Tageszeitung La Tercera. Seine Agentin Carmen Balcells hatte damals schon erkannt: »Ich glaube, García Márquez wird nie mehr schreiben.« Der Nobelpreisträger Gabriel García Márquez ist mit 87 Jahren gestorben. Von PETER MOHR

»Bin ein tieftrauriger Mensch«

Menschen | Vor 150 Jahren wurde die Dichterin Else Lasker-Schüler geboren »Ich bin keine Zionistin, keine Jüdin, keine Christin, ich glaube aber ein Mensch, ein sehr tieftrauriger Mensch«, schrieb die Dichterin Else Lasker-Schüler 1940 in einem Brief an den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Dieser Zwiespalt durchzieht sowohl die Vita als auch das literarische Werk wie ein roter Faden. Ein Porträt von PETER MOHR

Revolutionäre Landkarte

Menschen | Georg Schweisfurth: Die Bio-Revolution Georg Schweisfurth, Mitinitiator der Herrmannsdorfer Landwerkstätten und der basic AG, macht sich auf die Suche nach dem guten Geschmack. Auf den Spuren der ›Bio-Revolution‹ reist er zu einundzwanzig Bio-Betrieben in Europa, um heraus zu finden, wie ökologisch nachhaltige Landwirtschaft wirklich funktionieren kann. ›Die erfolgreichsten Bio-Pioniere Europas‹ liefern ein beeindruckendes Zeugnis dafür, wie die landwirtschaftliche Zukunft aussehen könnte. VIOLA STOCKER ließ sich aufklären.

Dem Traum folgen

Menschen | Film | Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen Spektakulär wie der Film ›Fitzcarraldo‹ ist auch das Tagebuch von seinen Dreharbeiten 1981. Über zwanzig Jahre später hat es Werner Herzog ruhen lassen und nun erst veröffentlicht: eine Selbsterfahrungstrip, ein Expeditionsbericht von einem Dschungelabenteuer an der Seite des tobsüchtigen Klaus Kinski. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Freunde fürs Leben

Gesellschaft | Bettina Flitner: Väter & Töchter

18 Porträts, 18 mal Väter mit ihren Töchtern, 18 mal ganz unterschiedliche Geschichten über eine besondere Beziehung. Interviews, Texte, Bilder. Ein Buch zum Blättern und wunderbar geeignet, einmal zu überlegen, wie war es doch bei einem selbst? Welche Rolle spielte der Vater? Oder, was bedeutet mir meine Tochter? BARBARA WEGMANN hat sich die Porträts angeschaut.