/

Müllverbrennung im Abendschein

Kulturbuch | Werner Schwanfelder: Mainfranken entdecken

Der kleine Kulturführer ›Mainfranken entdecken‹ lädt dazu ein, die geschichtsträchtige und durchaus romantische Umgebung Main- und Wein-Frankens kennenzulernen oder wiederzuentdecken. Dabei werden auch weniger touristisch geprägte Sehenswürdigkeiten vorgestellt. Exilkölner JÖRG FUCHS macht sich auf eine Rundreise durch seine zweite Heimat.

Schwanfelder - Mainfranken entdecken»Ich will zur schönen Sommerszeit ins Land der Franken fahren«, lautet es in der inoffiziellen fränkischen Landeshymne. Gerne! Denn nicht nur kulinarisch (die Sulzfelder Meterbratwurst füllt in diesem Buch ein eigenes Kapitel!), auch kulturell hat die Region in der Mitte Deutschlands einiges zu bieten. Vor allem dort, wo man es nicht immer vermutet:

Die Zuckerfabrik in Ochsenfurt fällt einem sicherlich nicht als Erstes ein, wenn man an die touristischen Highlights der Gegend denkt. Warum eigentlich nicht? Der Zweckbau prägt maßgeblich die Stadtansichten der Ochsenfurter Region mit dem malerischen Örtchen Marktbreit (in dem wir das Geburtshaus des berühmten Arztes Alois Alzheimer finden) und dem nicht minder romantischen Segnitz mit seiner einst großen jüdischen Schultradition am gegenüberliegenden Mainufer. Diese Kontraste – und die wirtschaftliche Bedeutung der Raffinerie für die Region – sind für Werner Schwanfelder Gründe genug, das Bauwerk in seinen Kulturführer aufzunehmen. Recht hat er: Denn nicht nur dadurch hebt sich das Buch von den üblichen Reiseführern ab.

Müllverbrennung im Sonnenuntergang

Statt pittoresker Stadtansichten und romantischer Verklärung des Mittelalters (das sich trotz gegenteiliger Selbstdarstellung in Würzburg nur noch rudimentär findet), beschreibt Schwanfelder den »Ist-Zustand« der Touristenregion Mainfranken in knappen, auf je eine Seite beschränkten Porträts der dargestellten Sehenswürdigkeiten.

So darf auch die Würzburger Müllverbrennungsanlage nicht fehlen, die fürwahr wenig malerisch in einem Gewerbegebiet vor den Toren der Stadt liegt und mit ihrer bunten Fassade ein wenig an typische Hundertwasserbauten erinnert, auch wenn die Formgebung dafür zu geometrisch daherkommt. Ein Tipp des Rezensenten: Spektakulär sind die Sonnenuntergänge über der Stadt, wenn die Müllverbrennungsanlage im warmen Abendlicht in allen Farben des Regenbogens funkelt!

Solide Klassiker und überraschende Einsichten

Neben den (wenigen) Klassikern der Reisebeschreibung – wie großen Weingütern, Altarbildern und Burgruinen liegt der Schwerpunkt auf vielen verborgenen Nebenschauplätzen im Schatten der großen Touristenattraktionen wie beispielsweise dem Lügensteinweg in Eibelstadt. Dessen namensgebende Fossilien, allesamt Fälschungen, sorgten im 18. Jahrhundert für einen handfesten überregionalen Wissenschaftsskandal – und boten damit mehr universitäres Drama als die üblichen Plagiatsfälle heutiger Tage.

Dass der fränkische Raum einst ein reiches jüdisches Leben besaß, wird an der großen Anzahl von Friedhöfen und Bauten deutlich, die heute allerdings meist nicht mehr ihre ursprüngliche Funktion besitzen. Die Auswanderungswellen im 19. Jahrhundert – der Erfinder der Jeanshose, Löb »Levi« Strauss, kam im fränkischen Buttenheim zur Welt – sowie die brutale Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten haben das jüdische Gesicht Frankens grundlegend gewandelt. Daher ist es umso erfreulicher, dass Werner Schwanfelder den Stätten jüdischer Kultur einige Abschnitte widmet. Dass das gelobte Juliusspital in Würzburg auf einem jüdischen Friedhof errichtet wurde, der einer der größten Enteignungsaktionen durch Julius Echter (dessen Wertschätzung in der Stadt mittlerweile durchaus kritisch gesehen wird) zum Opfer fiel, erfahren wir nicht. Allerdings wird dieses Thema auch in der offiziellen Geschichtsschreibung der Stadt gerne stiefmütterlich behandelt.

Unaufgeregt aber anregend

Insgesamt eröffnet uns ›Mainfranken entdecken‹ mit seinen 66 vorgestellten Besuchszielen und 11 Winzereien eine mitunter ungewöhnlich gewählte aber ausgewogene Vielfalt an Erlebnis- und Erinnerungsorten. Bikertreffs finden ebenso ihren Platz wie moderne Kunst, moderne Vergnügungstempel stehen in ihren Beschreibungen einträchtig neben Spitälern und Galerien.

Äußerst ansprechend gelungen ist die ästhetische Präsentation der jeweils mit einem Bild geschmückten und stets eine Seite umfassenden Berichte. Dass es bei der Kürze der Texte notwendigerweise zu Verknappung von Informationen kommt, schmälert den Lesegenuss nicht – es macht neugierig auf die Geschichten, die hinter den Texten und Bildern verborgen sind. Das Buch gibt uns zahlreiche Anregungen, unsere Umgebung mit wachen Augen zu durchstreifen, Neues zu finden und bereits Bekanntes wiederzuentdecken.

| JÖRG FUCHS

Titelangaben
Werner Schwanfelder: Mainfranken entdecken
Meßkirch: Gmeiner-Verlag 2014
192 Seiten 14,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Kommunikative Basis Fehlanzeige

Nächster Artikel

Die Alternativen sind kaum vielversprechend

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Gesungenes gelesen

Kulturbuch | Dechen Shak–Dagsay: Mantras. Meine Erfahrungen mit der heilenden Kraft tibetischer Weisheit Dechen Shak–Dagsay wagt mit ihrem Buch über ›Mantras. Meine Erfahrungen mit der heilenden Kraft tibetischer Weisheit‹ einen schwierigen Spagat. Sie will gesungenen tibetischen Dialekt in deutscher Sprache lesbar und zugänglich machen. VIOLA STOCKER findet, dass trotz offensichtlicher akustischer Defizite ein interessanter Einblick in die metaphysische Struktur einer alten buddhistischen Gesellschaft gelungen ist.

Mit Mark Twain ins Heilige Land

Kulturbuch | Mark Twain: Unterwegs mit den Arglosen

Wer weiß, vielleicht fahren Sie in diesem Jahr noch nicht in Urlaub. Aus guten Corona-Gründen. Dann, aber bei Weitem nicht nur dann, sei diese Lektüre wärmstens empfohlen: Gehen sie mit auf eine Reise, die von Amerika ins Heilige Land führt. Ihr Begleiter: Mark Twain. Reisebriefe sind es, geschrieben einst für eine Zeitung, und wer Twain nur als Autor von Tom Sawyer und Huckleberry Finn kennt, der sollte unbedingt sein Wissen um dieses herrliche Buch erweitern, meint BARBARA WEGMANN.

Roh ist das neue Vegan

Kulturbuch | Hochuli: Vegan / De Montalier: Roh Vielleicht darf‘s nach dem großen Schlemmen mal wieder etwas weniger sein? Die Rede vom »Falschen falschen Hasen« – einem veganen Gericht, basierend auf zerkrümelten Reiswaffeln – hielt SUSAN GAMPER bis gestern für eine ›urban legend‹. Nun hat sie 400 Gramm veganes Zwiebelmett im Kühlschrank. Aus zerkrümelten Reiswaffeln.

Spielarten der Gewalt, Deutungen der Gewalt

Kulturbuch | Der Gewalt ins Auge sehen. Mittelweg 36 – Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung Gewalt in den verschiedensten Formen scheint uns zu umgeben. Jugendgewalt gegen Gleichaltrige, Polizeikugeln für junge Farbige in den USA, Gewaltkriminalität, rassistische Übergriffe auf Einwanderer, offener Krieg in der Ukraine, in Syrien, im Jemen und wer weiß wo in Afrika, terroristische Anschläge, strukturelle Gewalt (Galtung, H. Marcuse) in zunehmend ungerechter werdenden neoliberalen Gesellschaften. Der neue Themenband ›Der Gewalt ins Auge sehen‹ der ›Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung‹ (HIS) stellt Facetten des Phänomens vor. Von PETER BLASTENBREI

Über die Entzauberung des Genies

Kulturbuch | Bas Kast: Und plötzlich macht es Klick! Der Psychologe Bas Kast möchte mit ›Und plötzlich macht es Klick! Das Handwerk der Kreativität oder wie die guten Ideen in den Kopf kommen‹ den althergebrachten Nimbus der Genialität entzaubern. Was zeichnet einen kreativen Menschen aus und weshalb gibt es so wenige davon? Bas Kast erläutert Funktionsweisen eines kreativen Gehirns und gibt all denen Hoffnung, die ihr bislang wenig kreatives Leben etwas aufmöbeln möchten. VIOLA STOCKER ging in die Schule der Genies.