Morgen früh auf dem Heldenplatz

Roman | Elisabeth De Waal: Donnerstags bei Kanakis

Der Roman Donnerstags bei Kanakis wurde zu Lebzeiten der Autorin Elisabeth De Waal nie publiziert, gelangte jedoch nach ihrem Tod als vergilbtes Typoskript in die Hände ihres Enkels. Nun wurde das ausdrucksvolle zeitgeschichtliche Porträt der Wiener Nachkriegszeit erstmals veröffentlicht. Von INGEBORG JAISER

KanakisWien 1954. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Stadt von den alliierten Siegermächten in Besatzungszonen aufgeteilt worden. Noch sind viele Gebäude zerstört, es herrscht Mangel an Wohnraum und Waren. Doch das gesellschaftliche Leben wird – wenn auch mit geänderten Vorzeichen – wieder aufgenommen.

In dieses Wien des Wiederaufbaus kehrt Theophil Kanakis zurück, ein schöngeistiger Dandy und homosexueller Hedonist, der im amerikanischen Exil zu immensem Reichtum gelangt ist. Zahlungskräftig erwirbt er einen alten Rokokopavillon, den er in eine zeitgemäße Art von Lustschlösschen umbauen lässt.

Hier hält er immer donnerstags seinen illustren Jour Fixe ab und empfängt einen ausgewählten Kreis von Künstlern, Wissenschaftlern und jugendlichen Nachfahren verarmter Adelsfamilien. Kurz: Menschen mit »Lettern vor oder hinter dem Namen«. Von hier aus werden die Fäden gesponnen, zu Irrungen und Wirrungen, zu einem fast Schnitzler´schem Reigen und zu den wechselvollen Schicksalen wenig glücklicher Remigranten.

Männer mit Eigenschaften

Denn nicht jedem Exilanten ist eine so glanzvolle Rückkehr wie Kanakis vergönnt. Professor Kuno Adler zum Beispiel lässt seine Ehefrau Melanie samt florierendem Unterwäschegeschäft in New York zurück, um, von Heimweh und der Hoffnung auf Restitution getrieben, seine wissenschaftliche Laufbahn wieder aufzunehmen. »Laut Reparationsgesetz würde jeder Rückkehrwillige in dieselbe oder eine vergleichbare Stellung eingesetzt, die er ehedem innegehabt hatte, falls nachzuweisen war, dass er aufgrund seiner politischen Ansichten oder aus rassischen oder religiösen Gründen entlassen oder zum Rücktritt gezwungen worden war.«

Doch Adler wird keineswegs mit offenen Armen empfangen, stößt eher auf unterschwelligen Widerstand und kaum unterdrückte Ressentiments. An seiner Stelle hat nun ein reueloser Nazi die Institutsleitung inne, der aus seiner Vergangenheit mit medizinischen Menschenversuchen keinen Hehl macht. Bleibt Adler lediglich der Posten eines Assistenten. Schließlich war er nach Amerika emigriert, eh man ihm gekündigt hatte. Hätte er auf seine Deportation warten sollen?

Im Reigen der Schicksale tauchen ebenfalls auf: das amerikanische Mädchen Marie-Theres, die von den ratlosen Eltern zur österreichischen Verwandtschaft geschickt wird, um etwas mehr Bodenständigkeit zur erwerben. Oder der allzu hübsche Fürst Lorenzo Grein-Lauterbach, der von Kanakis wie ein »junger Faun« angehimmelt wird. Dazu jede Menge verarmter Geldadel und aufstrebende Neureiche, alte Seilschaften und undurchdringbare Konventionen. Eine unglückliche Mischung, die letztendlich in einem tragischen Suizid mündet.

Sehnsuchtsort Wien

Die autobiographischen Züge dieses Romans werden jedem Leser von Der Hase mit den Bernsteinaugen offensichtlich sein. Schon dort hat Edmund De Waal das Schicksal seiner Großmutter Elisabeth aufgearbeitet, einer hochgebildeten, mehrsprachig kommunizierenden Frau aus jüdischem Adelsgeschlecht, die ein wechselvolles Leben »im Transit zwischen Staaten« verbracht hatte, in einer »fragilen Kombination aus Geld und Status«.

Letztendlich hat sie das meiste davon verloren, trotz ihres mutigen Kampfes um die Rückerstattung des 1938 durch den »Anschluss« Österreichs enteigneten Familienbesitzes. Auch als Schriftstellerin war ihr nicht immer Erfolg gegönnt, blieben doch alle ihrer fünf Romane (drei auf Englisch, zwei auf Deutsch verfasst) Zeit ihres Lebens unveröffentlicht. Umso bemerkenswerter, dass nun ihr Enkel das vergilbte Typoskript gerettet und Donnerstags bei Kanakis wiederbelebt hat.

Es ist ein wehmütiger, feinfühliger Roman über die Verlogenheiten der Nachkriegszeit, der Zerrissenheit zurückkehrender Emigranten und nicht zuletzt über den Sehnsuchtsort Wien, mit seiner Topographie, seinen Gerüchen, seiner Sprache. Wie sehr Elisabeth De Waal die schmerzliche Vergangenheit umzuwidmen versucht, zeigt die Abschiedsformel eines Liebespaares auf historisch vermintem Gelände: »Morgen früh auf dem Heldenplatz«.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Elisabeth De Waal: Donnerstags bei Kanakis
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
Wien: Zsolnay 2014
336 Seiten. 19,90 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Gleiches Recht auf Liebe

Nächster Artikel

Ready to Rumble/ Ready to Read!

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Hardcore-Hype in der Kulturhauptstadt

Roman | Krimi | Massimo Carlotto: Die Marseille Connection Am Ende des Actionkinos French Connection (1975) fährt der Drogenboss Alain Charnier auf seiner Jacht die schier endlose Ausfahrt des alten Hafens von Marseille entlang, während ihn der New Yorker Cop Jimmy »Popeye« Doyle alias Gene Hackman an der Kaimauer nachjagt. Dieser Dreh bezieht minutenlang die einmalige Stadtkulisse Marseilles um den Vieux Port mit ein. Eine cineastische Glanzleistung. Ganz im Gegensatz dazu vermeidet der italienische Erfolgsautor Massimo Carlotto in seinem neuesten Krimi Die Marseille Connection jegliche Anspielung auf das Lokalkolorit der europäischen Kulturhauptstadt von 2013. Über die Gründe kann HUBERT HOLZMANN

Literatur – ein Spiel

Roman | Hartmuth Malorny: Begegnung in Turin In Hartmuth Malornys neuem Roman Begegnung in Turin tut sich eine recht tiefgründige – vielleicht sogar abgründig zu nennende – Szenerie auf, die zunächst sehr harmlos angelegt ist und sogar beinahe romantisch. Zwei Menschen beginnen hier ein völlig harmloses »Duett«. Aus sicherer zeitlicher Distanz erzählt uns der Autor dabei ein durchaus glaubwürdiges Erlebnis aus seinem Leben, von seiner Liebe zu Italien, dem dolce far niente und eben – wie könnte es in einem Roman anders sein – von einer Frau. Gelesen von HUBERT HOLZMANN

Ein bisschen Glanz in finsteren Zeiten

Jugendbuch | Lucy Adlington: Das rote Band der Hoffnung

Aus Geschichte werden Geschichten. Das birgt immer ein Risiko in sich, ganz besonders wenn es um das 3. Reich und Konzentrationslager geht, findet ANDREA WANNER

Glänzend und durchsichtig wie Glas

Roman | Peter Stamm: In einer dunkelblauen Stunde

Ein gescheitertes Filmprojekt, eine verlorene Jugendliebe und die Geheimnisse des schriftstellerischen Schaffens verwebt Peter Stamm mit luftiger Leichtigkeit zu den Themen seines neuen Romans. In einer dunkelblauen Stunde verschwimmen die klaren Konturen, verschwinden gar ins Nichts, wie es die titelgebenden Zeilen das Gottfried Benn-Gedichts erahnen lassen – »in einer blauen, dunkelblauen Stunde/ und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war«. Von INGEBORG JAISER

Vögel mit gebrochenen Flügeln

Roman | Katya Apekina: Je tiefer das Wasser

Hinter dem Ringen um künstlerisches Schaffen und zurückgewiesene Liebe verbirgt sich ein Familiendrama von den Ausmaßen einer griechischen Tragödie. Katya Apekinas Debüt Je tiefer das Wasser kann gleichermaßen als Coming-of-Age-Roman wie Psychogramm ungesunder Beziehungen gelesen werden. Spannend wie ein Krimi ist es ohnehin. Von INGEBORG JAISER