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Roman | Junot Díaz: Und so verlierst du sie

Junot Díaz hat mit seinem Roman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao (2012), einem erstaunlich kuriosen Debüt, überrascht. Jetzt legt er einen neuen Roman in 9 Storys ›Und so verlierst du sie‹ vor. Wieder geht es um einen jungen Latino, diesmal heißt der Ich-Erzähler Yunior, der manchmal peinlich naiv und ehrlich, dann wieder voll Selbstironie und kritischer Distanz über sein Leben plaudert. Ein erstes Geständnis verändert dabei nur scheinbar sein Leben. ›Und so verlierst du sie‹ ist absolut kein Entwicklungsroman. Oder doch? – fragt sich HUBERT HOLZMANN

DiazJunot Díaz’ Erzähler Yunior ist das Alter Ego des Autors. Dieser stammt wie auch sein Held aus San Domingo, ist jedoch bereits mit jungen Jahren in die USA emigriert. Im Buch erfährt man, dass Yuniors Vater schon mal vorab in die Staaten gegangen ist, um dort beruflich Fuß zu fassen. Erst einige Zeit später holt er die Familie nach, für die er eine einfache Wohnung in einer eher furchtbaren Lage Manhattans angemietet hat. Yuniors Mutter, die dort als soziale Außenseiterin lebt, spürt jedoch recht schnell, dass ihr Mann innerlich längst über alle Berge ist. Mit einer anderen wird dieser später ein Haus kaufen, eine Familie gründen und ein Kind zeugen. So weit der durchaus tragisch-melancholische Background der Story.

Am Beginn des Romans Und so verlierst du sie hat sich Sohn Yunior in New York etabliert, ist an der Columbia University für Literatur eingeschrieben und vögelt sich mehr oder weniger selbstverliebt durch die verschiedenen Betten. Dass da schon mal eine Beziehung in die Brüche geht, rechnet er wohl als Kollateralschaden ein. Doch mit Magda scheint es etwas Ernsteres zu sein. Denn er liebt sie. Aber irgendwann muss er ihr gestehen, dass er sie mit einer anderen in einem »speziellen Anfall von Blödheit« betrogen hat. Doch von Wiedergutmachung keine Spur. Eher kommt die Verteidigung: »Ich bin kein schlechter Mensch. Das klingt wie eine Ausrede, irgendwie gewissenlos, ich weiß, aber es stimmt: schwach, voller Fehler, aber im Grunde gut.«

Dulcinea und der Macho

Damit beginnt Junot Díaz, Jahrgang 1968 seine Geschichte von Yunior, einem »Macho« von der traurigen Gestalt, der auszieht, um seine geliebte Dulcinea zurückzuerobern. Magda selbst sieht die Sachlage recht rational und hakt die Beziehung ab, denn: Er ist ein typisches »sucio, ein Arschloch«. Zwar lässt sie sich kurzzeitig noch einmal von Yunior um den Finger wickeln, versucht es noch einmal mit ihm, das Ende ist jedoch abzusehen.

Auch eine Urlaubsreise in die Dom-Rep kann da nichts mehr ungeschehen machen. Das Rad der Zeit läuft gnadenlos weiter. Und Yunior kämpft gegen die berühmte Windmühle. Er kann nicht anders. In allen Lebenslagen wird seine Schwäche für das andere Geschlecht deutlich. Von Magda, die im Urlaub genug von seiner Aufdringlichkeit hat, wandert sein Blick sofort zur Nächstbesten, die sich an der Bar herumtreibt: »Hammer, ganz klar. Eine trigueña mit der krassesten Dauerwelle diesseits der Dyckman. Sie heißt Lucy.«

Yunior ist hin- und hergerissen. Vielleicht erliegt Yunior selbst aber am meisten seinem eigenen Charme. Er sieht sich – der durchaus narzisstisch veranlagt ist – nach seinem Schuldeingeständnis weiterhin als grandiosen Verführer und lenkt ab von seiner Unsicherheit, von der es an vielen Stellen der Geschichte natürlich nur so wimmelt. Er versteht es, die Angelegenheit herunterzuspielen. Er kann sich wieder in die Augenschauen, die Schuld haben andere. Gelegentlich beginnt er sogar, leicht verächtlich zu werden. So nimmt er den Rat seiner Kumpel, »schieß die Schlampe ab«, durchaus ernst: »aber wenn ich es versuchte, konnte ich es nie«. Junot Díaz’ Held ist also ein typisch unreifer Zeitgenosse, und kein ganz unsympathischer. Das merkt man spätestens, als er sich durchaus liebevoll um seinen sterbenskranken Bruder Rafa kümmert, dessen Freundin Nilda tröstet und auch für seine Mutter da ist.

Bekenntnisse eines Hochstaplers

Die Story erscheint also zunächst ganz simpel. Doch was Junot Díaz’ Roman aber so ungemein unter die Haut gehen lässt, ist die sehr persönliche Erzählperspektive: Yunior erzählt nämlich hier selbst. Von seiner Kindheit in sehr ärmlichen Verhältnissen, von seinen geheimen Affären. Und alles in Form eines großen inneren Monologs, eines endlosen Bekenntnisses. Dabei wird Yunior alias Junot Díaz nie langatmig. Er springt in der Geschichte vor und zurück, wie er es braucht, lässt die Geschichte vom Vater und der Neuen einfließen. Dann wieder prahlt er von seinen Fähigkeiten – und nimmt sich doch eigentlich gar nicht so wichtig. Es ist diese ironische Distanz, die uns schmunzeln lässt. Denn ein andermal nimmt er großspurig die Rolle des Beraters ein, zumal wenn es um Beziehungsfragen geht: »Habe Magda auch nichts davon erzählt. Ihr kennt das ja. So einen stinkenden Knochen vergräbt man besser weit hinten im Garten seines Lebens.«

Und als wieder einmal eine Geschichte auffliegt, weil sein Tagebuch offen herumliegt, hat er für seine Leidensgenossen den Tipp parat: »Du wirfst einen Blick auf die anstößigen Stellen. Dann siehst du sie an mit einem Lächeln, das dein Heuchlergesicht nie vergessen wird, solange du lebst. Süße, sagst du, Süße, das gehört zu meinem Roman.« Erst der Nachsatz »Und so verlierst du sie« spricht von einer gesunden Portion Lebenserfahrung. Junot Díaz besticht in diesen 9 Geschichten also mit einem zutiefst ironischen und selbstreflexiven Grundton.

Einer boxt sich durch

Diese einzelnen Kapitel erzählen alle davon, wie Yunior sein Leben als Dominikaner mit amerikanischer Staatsbürgerschaft meistert, wie er sich als sozialer »Underdog« in der amerikanischen Gesellschaft durchschlägt, sich gegen Fremdenfeindlichkeit behauptet und doch wohl am meisten mit sich selbst ringt. Seine ganze Jugend und Studentenzeit durchzieht die Faszination des »Weiblichen«, ist quasi sein Lebenselixier und Motor, auch wenn dieser so manches Mal ganz schöne Kapriolen schlägt. Nicht alle diese Frauen lassen sich jedoch auf Yunior ein – eine Studentin bricht den Kontakt zu ihm bereits nach einer deftigen Anmache ab, eine andere geht nur als One-night-stand in sein Tagebuch ein. Eine Jurastudentin hingegen erweist sich als ziemlich hartnäckig, halst ihm sogar einmal ungewollt ein Kind auf. Doch auch hier schafft er es, wie immer zum Teufel gejagt zu werden.

So trivial und komisch, vielleicht sogar unreif und banal diese Erlebnisse von Yunior dabei auf den ersten Blick erscheinen, so lässt sich auch Tiefgang und eine gewisse Tragik in einigen seiner Geschichten nicht leugnen: Sein Vater wendet sich in den USA von der Familie ab. Sein Bruder Rafa stirbt an Krebs. Ihn selbst plagen depressive Selbstzweifel. Und eigentlich hat Yunior in den ganzen fünf Jahren, nachdem ihn Magda verlassen hat, nur einen Wunsch: Sie soll zurückkommen. Aber wie soll das gehen in seiner »Fremdgängerzeit«?

Junot Díaz Roman Und so verlierst du sie liegt in einer grandiosen Übersetzung von Eva Kemper bei S. Fischer vor. Eva Kemper schafft es, die Gedankenwelt Yuniors in seinem lebhaften, ungebremsten Manhattan-Jargon ins Deutsche zu übertragen, nicht nur wenn es um das andere Geschlecht geht. Besonders die Dialogpartien, die Yunior bewegt für uns nachspielt, haben einen ungeheuren energetischen Drive, eine kuriose, anspielungsreiche Dynamik.

So wiederholt er für sich die Gedanken seines Freundes: »Elvis redet dir gut zu, du sollst es mit Yoga probieren, diesem Bikram-Yoga für Anfänger, das man unten am Central Square lernen kann. Hammergeile Weiber da, sagt er. Tonnenweise Weiber. Zwar ist dir im Moment nicht nach Weibern, aber du willst auch nicht die Kondition verlieren…  Eine kleine blanquita versucht dich anzumachen. Es scheint sie zu beeindrucken, dass du als einziger Typ im Kurs nie dein Shirt ausziehst, aber du nimmt vor ihrem tumben Grinsen Reißaus. Was zum Teufel sollst du mit einer blanquita?« – Yunior, der Mann mit Prinzipien und mit einer Erkenntnis am Schluss: »Die Halbwertszeit der Liebe beträgt ewig.« Eine durchweg melancholisch-poetische Erkenntnis. Nicht die einzige am Ende des Romans von Junot Díaz. Aber mehr soll nicht verraten werden.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Junot Díaz: Und so verlierst du sie
Aus dem Amerikanischen von Eva Kemper
Frankfurt/M.: S. Fischer 2014
272 Seiten. 16,99 Euro

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