Wie die Liebe an zu tiefem Leiden scheitert

Bühne | Gift – Badisches Staatstheater Karlsruhe

Ein Mann sitzt einsam auf einem Stuhl in einer Stuhlreihe, sein verlorener Blick wird durch die Weite des Raumes unterstrichen. Er (Frank Wiegard) wartet hier auf seine Ex-Partnerin, die er geliebt und mit der er zusammen ein Kind verloren hat. Unterstützt wird er bezüglich seiner erwartungsvollen Leere her nur von der Anwesenheit eines Kaffeeautomaten, der rechts in der Ecke im Bühnenbild zu sehen ist. Von JENNIFER WARZECHA

Foto: Felix Grünschloß
Foto: Felix Grünschloß
Dessen Existenz, in der Betonung der »vorzüglichen« Kaffeesorten, ist es auch, die er betont, als endlich sie (Antonia Mohr) im grauen Kleid mit grauer Weste, die ihre Traurigkeit und Leidensfähigkeit, passend zum Thema, vorzüglich unterstreicht, endlich erscheint.

Es geht darum, ihr Kind, das sie vor neun Jahren verloren haben, umzubetten. Unabhängig vom eigentlichen Thema zeichnet Regisseurin Marlene Anna Schäfer, unter der Dramaturgie von Michael Gmaj, ein Liebes- und Leidensbekenntnis, das zugleich eines der Lebensbekenntnisse der Moderne ist. Er hat sie eines Silvesterabends, genau um 19.10 Uhr, daran erinnern sich beide noch ganz genau, verlassen. Hatte einfach die Koffer gepackt und war abgehauen, weil er an ihrer Trauer, die sie mit ihm nicht teilen wollte, schier zerbrochen ist. Das zeigt er im Laufe des Gesprächs, spätestens, als sie sich ihm – liebevoll von der linken Seite her anschmiegend annähert – und ihn fragt: »Bist Du schlauer geworden in all den Jahren?«

Suche nach Nähe mit dem Zugewinn der Distanz

Wahrlich, das ist er. Auf die Frage, warum er gegangen sei, entgegnet er zwar nur: »Was nützt es, wenn man darüber redet?« Er weicht nach dem entscheidenden Wendepunkt des Stückes jedoch nicht von ihr ab. Beide sprechen zunächst ihre Schwächen an: sie als Schokoladenliebhaberin, er als jemand, der sich nicht gesund ernährt, einen entsprechenden Bauch vor sich herträgt und nach ihrer Frage, wer sich denn darum sorgt, kühl sagt: „Meine Frau.“ Sie wird bei diesem Geständnis, dass er eine neue Frau habe, mit der er ein Kind erwarte, prompt bleich, wird wütend und guckt wild umher. Aufgrund ihres abweisendem Verhalten möchte er gehen, sie lehnt es ab und setzt sich zu ihm hin. Er geht trotzdem und kommt wieder – mit einem Korb voller Weinflaschen, die er eigentlich seiner Mutter mitbringen wollte.

Es wird heimelig, beide nähern sich einander an, knabbern Käse und schlürfen Wein. Sie kuschelt sich an ihn. Sie reden über den Verlust ihres Kindes und ihre beiderseitige Trauer. Er fühlt sich dennoch unverstanden. Er merkt, dass sie die Trauer immer noch zu sehr mit sich selbst ausmacht. Schutz gewährend nähert er sich ihr mit tiefem Blick an, legt den Arm um sie und äußert, dass er gern den Abend mit ihr bei ihr zu Hause verbringen würde. Es knistert im Saal.

Annähern, verzeihen und ein Liebesverhältnis dabei beenden

Sie lacht, als er erzählt, dass er über das Singen im Männerchor seine Zufriedenheit wiedergefunden habe. Beide tanzen, Arm in Arm, zu dem Lied ›The fields of Gold‹, das sie einst vereinte – und jetzt doch nicht wieder letztendlich zueinander bringt. Sie geht mit dem Satz »Es ist vorbei«, er wirft Weinflaschen, samt dem Korb in den Papierkorb und ist nur eine der Seelen, die zu spät erkennen, das ein Verlassen nicht immer ein Wiedersehen und noch weniger ein Ewig-Füreinander-Dasein bedeutet.
Sie verlassen ein begeistertes, applaudierendes Publikum, dem genau diese Lebensweisheit in dem Moment gewahr wird.

Fazit

›Gift‹ verbildlicht bereits durch den Titel, wie sehr das einseitige Austragen eines leidvollen Verlustes in der Partnerschaft auch die größte Liebe und gegenseitige Bindung zerstören kann. ›Gift‹ ist somit ein Stück Gesellschaftskritik mit Tiefgang und ein Appell dazu, Glück und Leid in der Partnerschaft gemeinsam zu erleben und zu (er-) tragen. Wenn die Pressevorschau dazu ermahnt, zu sehen, dass »[D] die Mutter versinkt in Schmerz, lässt den Nihilismus des Daseins über sich zusammenschlagen. Und als ihr Mann die Koffer packt und dem Leidenswettkampf daheim entflieht, kommt noch die Bitterkeit der Verlassenen hinzu«, ist genau dies ein ehrenswertes Bekenntnis, womit die Autorin des Stückes, Lot Vekemans, 2010 zu Recht den hoch dotierten ›Taalunie Toneelschrijfprijs‹- Preis erhalten hat. Ebenfalls einfach sehenswert und hochwertig gestaltet von der Dialogführung her!

| JENNIFER WARZECHA

Titelangaben
Gift
Badisches Staatstheater Karlsruhe
Regie: Marlene Anna Schäfer

Termine
| Samstag, 20.12., 19:30-20:45 – STUDIO
| Samstag, 10.01., 19:30-20:45 – STUDIO
| Freitag, 16.01., 20:00-21:15 – STUDIO
   anschließend Publikumsgespräch
| Samstag, 07.02., 19:00-22:00 – STUDIO
   DOPPELVORSTELLUNG mit DAS INTERVIEW
| Freitag, 27.02., 20:00-21:15 – STUDIO
   anschließend Nachgespräch mit Ulrike Hanstein

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Trauma von Abu Ghraib

Nächster Artikel

Schlagabtausch zwischen den Geschlechtern

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Der ganz normale Alltagswahnsinn

Bühne | Badisches Staatstheater Karlsruhe: Der Gott des Gemetzels

Der entsetzte Blick geht schier ins Herz. Verzweiflung, Leere – alles ist in ihm drin. Und nein, dem liegt nicht der Verlust eines lieben Menschen oder ein ähnliches tragisches Ereignis zu Grunde. Die Ehefrau wirft das Smartphone ihres Gatten absichtlich ins Wasser der Blumenvase. In der Gegenwart, in der jeder ständig mit seinem Smartphone beschäftigt ist, sicherlich kein Einzelfall. Gerade in der Aufführung des „Der Gott des Gemetzels“, einer schwarzen Komödie von Yasmina Reza, im Badischen Staatstheater zeigt es, wie mangelnde oder falsche Kommunikation nicht nur das Familienleben beeinträchtigen können. Von JENNIFER WARZECHA

Ein ganz normaler Tag

Bühne | Alltagsmonologe im Theater das Zimmer

Was haben eine deutsch-türkische Haushaltshilfe, Badekugeln und ein Männerwochenende gemeinsam? Den Verwandlungskünstler Dominik Velz. Von MONA KAMPE

Wenn einen die Moral am Genick packt

Bühne | Jugend ohne Gott

Schülerinnen und Schüler, deren Namen nur kurz mittels des ersten Anfangsbuchstabens genannt werden, treffen auf einen Lehrer, der zusammen mit ihnen das System hinterfragt. Welche Begriffe verwenden wir im Alltag: „Neger“ oder „Schwarzer“? Wann gehen Gefühle zu weit und wann werden Bewunderung oder gar Liebe zu Mordabsichten? Und kann das nicht in jeder Situation und Zeit passieren? Von JENNIFER WARZECHA

Utopien einer besseren (Horner) Welt

Bühne | Herman Sörgels ›Atlantropa‹ im Hamburger Theater das Zimmer Afrika und Europa vereinen sich zu ›Atlantropa‹. Herman Sörgel schuf einst eine große Utopie für eine kriegsfreie, wirtschaftsstarke, autarke Gemeinschaft. Kann seine Idee das heutige Europa retten? Von MONA KAMPE

Absurde Klangfundamente und eigenwillige Texte

Bühne | Konzert: Knorkator »Widerstand ist zwecklos«, das neue Album von »Knorkator« ist seit September draußen und man hat den Eindruck, die »meiste Band der Welt« ist auch 25 Jahre nach ihrer Gründung beliebter denn je. So beliebt, dass die Columbiahalle in Berlin kurzerhand im Dezember 2019 in Knorkatorhalle umbenannt wurde. ANNA NOAH ist gespannt auf ihre Bühnenshow.