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Nahöstliche Schrecken

Guido Steinberg: Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror

Bis 2013 schien die arabische Welt noch ganz in Ordnung zu sein: der Irak und sein Öl waren trotz aller Unruhen fest in der Hand der USA, die vom Westen favorisierte Fraktion der Assad-Gegner gewann in Syrien an Boden, in Ägypten und Libyen waren besonders beunruhigende Figuren beseitigt. Das hat sich radikal geändert mit der schnellen Ausbreitung des IS. Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik will in ›Kalifat des Schreckens‹ zeigen, wie es dazu kam. Von PETER BLASTENBREI

KalifatdesschreckensDer Autor erzählt die Geschichte eines anfangs winzigen al-Qaida-Ablegers, der sich 2000 in Afghanistan um den obskuren jordanischen Islamisten Abu Mus‘áb al-Zarqáwi (Sarkáwi) bildete und dann über mehrere Zwischenstufen (und verwirrende Umbenennungen) zu dem mächtigen, staatsartigen Gebilde heranwuchs, das wir heute als IS (Islamischer Staat) kennen.

Die Zarqawi-Gruppe hatte sich anfangs ideologisch und taktisch nicht von al-Qaida unterschieden, wohl aber in ihrer Zusammensetzung. Hier sammelten sich Jordanier, Syrer und Iraker, die bei der Mutterorganisation sonst unterrepräsentiert waren. Seitdem die Truppe nach 2001 in den Irak ausgewichen war und besonders seit der US-Invasion 2003, trat als neues Merkmal die äußerst aggressive Bekämpfung der Schiiten hinzu. Das brachte die Gruppe in Konflikt mit al-Qaida, für die die USA der Erzfeind blieb.

Solche Missgriffe, die brutale Repression durch die Besatzer und ihre schiitischen Helfer und Konflikte mit anderen Aufständischen leiteten den Niedergang der Gruppe ein. Zarqawi fiel 2006 bei einem US-Luftangriff, in den Jahren danach verschwand seine Gruppe fast ganz. Erst nach einem neuerlichen Führungswechsel, zu Abu Bekr al-Bagdadi (der sich seit 2014 Kalif Ibrahim nennt), begann die rasche Ausbreitung des IS, der mittlerweile ein großes Territorium in Nord-Irak und Nord-Syrien mit einer Bevölkerung von sechs bis acht Millionen Menschen beherrscht.

Keine Zweifel

Der historische Teil wird ergänzt von Abschnitten zum inneren Aufbau und den Finanzen des Islamischen Staates, Kurzbiografien führender IS-Aktivisten und Analysen der IS-Ideologeme. Wohltuenderweise vermeidet der Autor dabei das Breittreten der bekannten Brutalitäten des IS. Bei Weitem schwächer, unkonzentrierter wirken die Kapitel über die deutschen IS-Kämpfer, wo auch Wiederholungen nicht über die dürftige Faktenbasis hinwegtäuschen.

Doch die Probleme des Buches gehen tiefer und in eine andere Richtung. Kein tagesaktueller Bericht zu brisanten sicherheitspolitischen Themen wird darum herumkommen, manches Fragezeichen stehen zu lassen oder verschiedene Versionen zur Diskussion zu stellen. Quellen sind oft von zweifelhafter Qualität, stichhaltige Informationen schwer zu beschaffen und noch schwerer zu überprüfen, abgesehen von der im Nahen Osten immer präsenten Manipulationsgefahr durch Geheimdienste.

Doch Zweifel gibt es bei Steinberg nicht und auch keine Diskussionen, nicht einmal Hinweise auf unterschiedliche Lesarten. Besonders auffällig ist das bei einer der merkwürdigsten Quellen zum Terrorismus im Irak überhaupt, dem Brief al-Zarqawis vom Januar 2004 an al-Qaida-Chef Bin Laden. In diesem 17seitigen Elaborat – aus dem Steinberg eine halbe Seite zitiert – beschreibt der Jordanier detailliert, wie er durch gezielte Schläge gegen Schiiten den Irak in einen Bürgerkrieg stürzen will.

Echte Gegner, falsche Freunde

Das ist fast zu gut, um wahr zu sein. Ist der Brief echt, dann standen nicht die Fehler der Besatzer am Anfang des irakischen Bürgerkriegs, sondern der raffinierte Plan eines teuflischen Gehirns. Und der Brief rechtfertigt noch im Nachhinein die US-Invasion, hatte doch Außenminister Powell in seiner Kriegsrede vor dem Sicherheitsrat schon ein Jahr zuvor vor al-Zarqawi gewarnt. Eben darum (und weil das US-Militär nie erklärte, wie es an den Brief kam) gibt es bei einigen Beobachtern massive Zweifel an seiner Echtheit. Wie an der Bedeutung al-Zarqawis überhaupt, der, so die Zweifler, propagandistisch zum Superbösewicht analog zu Bin Laden aufgebaut worden sei.

Ist man nicht bereit, auf solche (und andere) Unklarheiten überhaupt hinzuweisen, wird die Sache leider sehr eindeutig. Steinberg hat sich exklusiv für die Lesart der USA entschieden. Bei ihm hat Zarqawi den »Bürgerkrieg provoziert« und seine Gruppe war für »fast alle Anschläge« verantwortlich (S. 46, 57). Der Autor hält die US-Version konsequent durch. Eben deshalb kommen die USA im Irak als Hauptakteure erst beim Kampf gegen den Terrorismus richtig ins Spiel. Eben deshalb enthielten Colin Powells Anschuldigungen gegen den Irak vor dem Sicherheitsrat am 5.Februar 2003 eine »Fehlinformation« (S. 42), und waren nicht etwa Lügen.

Deswegen gibt es für den Autor in Syrien auch nur die Freie Syrische Armee, die heroisch gegen Assad und die Islamisten kämpft, und keine mächtige internationale Allianz namens Friends of Syria (die 2013 die Lieferung von Waffen an die syrischen Aufständischen beschlossen hat). Und deswegen hat auch Präsident Assad jahrelang den irakischen Bürgerkrieg angeheizt, indem er islamistische Kämpfer durch sein Land schleuste (S. 86-88) – wofür dem Autor der Beleg fehlt.

Staatstragende Wissenschaft

Steinberg, 2002-2005 Terrorismusberater im Kanzleramt, gehört zu einer ganz anderen Kategorie als die bekannten Nahostkorrespondenten deutscher Medien. Er ist adäquat ausgebildet, promovierter Islamwissenschaftler, spricht Arabisch und verfolgt von Berufs wegen die Originalnachrichten aus dem islamischen Orient, einschließlich der abstoßenden Videobotschaften des IS. Was seinem Buch bei aller Informiertheit den analytischen Wert nimmt, ist eine prinzipielle Vorentscheidung, seine unbedingte Treue zur westlichen Nahostpolitik – einer verfehlten Politik, zu deren unerwünschten Resultaten ja auch der IS gehört.

Diese Parteinahme wird vielleicht nirgends so deutlich wie in Steinbergs Ratschlägen zur IS-Bekämpfung: Militärische Stärke, Fortsetzung der Luftangriffe, einheimische Freiwillige für den schmutzigen Krieg am Boden, Überwachung und Repression gegen Islamismusverdächtige hierzulande – einfach weiter so also, ohne Alternativen, ohne Perspektive.
Soufliert hier die Politik der Wissenschaft oder umgekehrt, die Wissenschaft der Politik? Oder interessiert die Frage überhaupt noch jemanden?

| PETER BLASTENBREI

Titelangaben
Guido Steinberg: Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror
München: Knaur 2015
208 Seiten, 12,99 Euro

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