Allzu exotischer Cocktail

Jugendbuch | Sjoerd Kuyper: Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling

Ein Dreizehnjähriger, der geliebte Vater schwer krank im Krankenhaus, die erste heftige Liebe, drei Schwestern und ein Familienhotel, das kurz vor der Pleite steht, klingt zusammengenommen nach einer guten Geschichte. Das wäre es auch geworden, hätte Sjoerd Kuyper nicht zu viele Zutaten durcheinandergemixt. Der Cocktail ist zu exotisch geraten. Von MAGALI HEISSLER

SchmetterlingKos, dreizehn Jahre alt, spricht. Er spricht in ein Mikrofon, das klingt modern, das Aufnahmegerät allerdings ist alles andere als zeitgemäß. Es ist ein Kassettenrekorder, sechzig Jahre alt, behauptet Kos. Junge Leserinnen und Leser hören Kos’ Geschichte aber nicht, sie lesen sie. Wie es dazu kommt, erfährt man nur beim Lesen. Bis es soweit ist, muss man mit der Unstimmigkeit leben. Sie ist nicht die Einzige. In Kos’ Geschichte mischt sich nach ein paar Seiten schon eine zweite Stimme. Man darf gern raten beim Lesen.

Kos ist ein guter Fußballspieler, darin schlägt er nach seinem Vater. Der war aktiver Sportler, inzwischen allerdings führt er ein kleines Hotel an der niederländischen Küste. Kos vergöttert den Vater, seine Welt dreht sich um ihn. Das liegt nicht nur daran, dass der Vater neben Kos der einzige Mann im Haus ist, Kos hat nämlich noch drei Schwestern, sondern auch daran, dass gerade drei Jahre zuvor ihre Mutter gestorben ist. Kos leidet immer noch darunter. Seine Ängste kommen schlagartig zurück, als sein Vater unverhofft mit einem Herzinfarkt zusammenbricht.
Es stellt sich schnell heraus, dass ein Vater im Krankenhaus nicht die einzige Schwierigkeit ist, die die Geschwister bewältigen müssen. Das Hotel läuft schlecht, Schulden haben sich aufgehäuft. Klar, dass Papa nichts erfahren darf.

Klar aber auch, dass das Leben weitergeht. Fußball lockt, die erste Verliebtheit macht ihm zu schaffen. Kos ist nicht der Einzige, der liebt, auch zwei seiner Schwestern sind befallen. Währenddessen wachsen die Geldsorgen.

Zum Kopfschütteln

Eine Beziehung zwischen Sohn und Vater aus der Sicht eines Dreizehnjährigen zu schildern genügte als Herausforderung wie als Thema für einen guten Jugendroman. Das Buch liest sich zunächst so, als würde es genau das werden. Die Liebe des Jungen zu seinem Vater, sein Nacheifern, ihre Gemeinsamkeiten, das Verständnis, das der ältere dem jüngeren entgegenbringt, werden gleich lebendig. Die Trauer über den Tod der Mutter schleicht sich ein, der Schock, als der Vater zusammenbricht, auch noch in der entscheidenden Minute des Fußballspiels mit Kos auf dem Platz, kann man fühlen.

Kuyper hat sich unseligerweise entschieden, den starken Emotionen doppelt so laute komische Momente entgegenzusetzen. Zwischen diesen Polen schwankt die Handlung hin und her, ohne je Tritt zu fassen. Das Handeln, der Ablauf der Geschehnisse, Dialoge, alles wird um einer vermeintlichen Komik willen überdreht. Es ist Klamauk pur und auch als solcher nicht besonders gelungen. Es ereignet sich so Possierliches, wie etwa, dass ein roter Pullover in die Hotelwäsche gerät und alles verfärbt, die neunjährige Schwester Raupen in Hotelzimmern verteilt oder morgens das Frühstück richtet. Geht der Alkohol an der Bar aus, weil die Gläubiger die Reste abgeholt haben, wird eben etwas aus Saft und Resten zusammengeschüttet. Um das Hotel zu retten, lassen sich die Geschwister auf einen Schönheitswettbewerb ein, für den Kos sich als Mädchen verkleiden soll. Dass eine Jugendfußballmannschaft aus Tuvalu auftaucht, wo Maden aus verrottetem Fleisch offenbar zum Speiseplan gehören, nimmt man nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis. Es ist alles schrecklich dick aufgetragen und krampfhaft komisch, gerade so, als traue der Autor sich nicht, echte Gefühle zu zeigen.

Väterliche Weisheiten

Das gilt auch für die Figurenzeichnung. Kopflos ist das Mildeste, was man zu dem Treiben sagen kann. Kos versteht die Welt nicht mehr, weil sein Vater schwerkrank ist, dem Autor fällt nichts anderes dazu ein, als ein langes salbungsvolles Traktat darüber abzuliefern, dass Männer Frauen nicht verstehen und Frauen Männer nicht.

Es ist dieses Thema, das die Lektüre letztlich unangenehm macht. In seiner Liebesnot und der Hilflosigkeit gegenüber drei Schwestern, die der Autor auftreten lässt wie eine Schar kopfloser Hühner, wendet sich Kos an seinen Vater. In diesen Begegnungen findet sich immer wieder die Ansätze zu berührenden und schönen Szenen zwischen den beiden. Das geht aber schnell in sogenannten Männergesprächen unter. Die Unsicherheit des Jungen gegenüber Mädchen und seine Fragen zur Körperlichkeit werden vom Vater umgehend aus der Welt geräumt.

Papa wird dabei die Rolle des großen Weisen zugesprochen. Leider gibt er vor allem Kalendersprüche von sich. Kos saugt das begierig auf. Wenn man von einer Frau etwas will, so soll man das Gegenteil verlangen. Über Liebe soll man nicht reden, man soll nur fühlen und überhaupt soll man Frauen reden lassen, ein Mann versteht sie ohnehin nicht, diese rein emotionalen Wesen. Mit Fußball kommen sie nur bedingt zurecht, und wenn ein Mädchen einen Jungen von sich aus küsst, darf der Junge sie selbstverständlich »Nutte« titulieren.

Am schlimmsten ist der altbackene Ton, der sich beim Servieren solcher Weisheiten einschleicht. Die kommentierende Stimme in Kos’ Erzählung hat ihn auch. Er passt zum altmodischen Aufnahmegerät, alles etwas Retro hier. Statt die Jugendlichen diese Erfahrungen im Rahmen der Handlung machen zu lassen und es den Leserinnen zu überlassen, Schlüsse aus dem Verhalten der Figuren zu ziehen, wird gepredigt.

Klamauk und Klamotte finden aber irgendwann ein Ende, alle liegen sich in den Armen und sind eine große glückliche Familie im Hotel zum Großen L. Die Leserin ist nicht glücklich. Sie trauert um den guten Roman, der in dieser Zirkusvorstellung voller Wasser spritzender Elefanten und Torten werfender Affen steckt.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Sjoerd Kuyper: Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling
(Hotel De Grote L, 2014)
Übersetzt von Eva Schweikart
Stuttgart: Gabriel 2015
250 Seiten, 14,99 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Willkommenskultur

Nächster Artikel

»Sage mir, Muse, die Taten…«

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Familie vorbei

Jugendbuch | Armin Kaster: Du denkst, die Welt zerfällt, und brichst nur selbst in Stücke Vater, Mutter, Kind, Gemeinschaft, Geborgenheit, Vertrauen, das war einmal. Inzwischen ist Selbstfindung wichtig, das sogenannte Glück des Individuums. Und wehe denen, die der persönlichen Entfaltung im Weg stehen. Leo steht im Weg. Seine Strafe ist hart. Von MAGALI HEIẞLER

»Letters I’ve written …

Jugendbuch | Jenny Han: To all the boys I’ve loved before … never meaning to send« (The Moody Blues). Das »Briefgeheimnis garantiert in der Verfassung demokratischer Staaten die Unverletzlichkeit von Briefen. Und in manchem Brief steht wirklich ein Geheimnis, das eines bleiben soll. Wenn es ans Licht kommt, herrscht Unruhe. Von ANDREA WANNER

Anna, wo ist deine Schwester?

Mirjam Pressler: Wer morgens lacht (Jugendbuch ab 15) Annas ältere Schwester Marie verschwand kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Verstanden haben sich die beiden nie. Sieben Jahre später, Anna ist inzwischen Anfang zwanzig, erkennt sie, dass sie sich erinnern muss. An Marie, an ihr gemeinsames Leben in dem kleinen Haus ihrer Eltern. Sonst droht das Trauma sie zu verschlingen. Mirjam Pressler legt mit Wer morgens lacht einen Roman vor, der tief an die schmerzlichsten Wunden rührt, die Familienbeziehungen schlagen können. Von MAGALI HEISSLER

Opa ist ein weicher Felsen

Jugendbuch | Espen Dekko: Sommer ist trotzdem

Von Tod und Trauer zu schreiben, ist nicht einfach. Wie geht man damit um? Wie kann man den Tod eines geliebten Menschen verarbeiten und weiterleben? Dem Norweger Espen Dekko gelingt es mit einem leichten, melancholischen, sehr tiefen Buch, vom Sommer danach zu erzählen. Von GEORG PATZER

Ein Blick in Abgründe

Jugendbuch | Djaïli Amadou Amal: Die ungeduldigen Frauen

Geduld, »Munyal!«, ist es, was man den muslimischen Frauen im nördlichen Kamerun mit auf den Lebensweg gibt. Es durchzieht ihre kurze Kindheit, ehe sie, immer noch junge Mädchen, von ihren Vätern verheiratet werden. An Männer, die oft so alt sind wie ihr Vater, die taktisch klug gewählte Geschäftspartner sind oder auch gewalttätige Trunkenbolde. Geduld fordert man von ihnen, egal, ob sie die erste Frau oder die zweite, dritte, vierte in polygamen Ehen sind, Geduld, egal was geschieht. Von ANDREA WANNER