/

Westlich imperialer Lebensstil

Gesellschaft | Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren

Verhängnisvoll dürfte vor allem sein, dass wir uns in einem sich selbst immer wieder neu präsentierenden Prozess befinden, der uns mit funkensprühenden Ideen überschüttet, technische Revolutionen eins bis x, die doch nur stets denselben elenden Prozess fortsetzen, über den wir offensichtlich die Kontrolle verloren haben – was ist zu tun. Von WOLF SENFF

Hartmann_NaturHierzulande sind uns seit längerer Zeit die Raps-, auch Mais-Monokulturen geläufig – Biosprit-Anbau gemäß Richtlinie 2009/28/Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU – mit ihren verheerenden Konsequenzen für die ländliche Natur, aus der die Vögel in die Städte flüchten.

Die Vielfalt ländlichen Lebensraums wird großflächig vernichtet, der Boden mit Rückständen der jeweils angesagtesten Planzengifte verseucht, die dann über das Grundwasse in die menschliche Nahrungskette gelangen usw. usf, wir kennen die Geschichte.

Dicht am Geschehen

Dennoch ist man beinahe versucht zu sagen, es handle sich um ein Idyll, sobald man die globalen Maßstäbe in den Blick fasst und dort die immense Produktion von Palmöl, ebenfalls hervorgerufen durch die erwähnte Richtlinie der EU. Es ist der alltägliche Irrsinn, der, gern auch in variierter Version, die Lebensumstände des Menschen gestaltet und sich weltweit ausgebreitet hat, »der Anbau von Soja [hat] für Argentinien und Brasilien mindestens ebenso dramatische Folgen wie der Anbau von Palmöl für Indonesien«.

Kathrin Hartmann ist eine welterfahrene Journalistin, sie hat Indonesien aufgesucht, über Kontakte hatte sie Zugang zu Orten, an die sich sonst eher niemand freiwillig begibt. Das vorliegende Werk ist über weite Strecken eine Reportage, der Leser hat den Eindruck, sehr dicht am Geschehen zu sein. Nein, Zivilisation ist das nicht, womit hochprofitable Unternehmen die Menschheit ›beglücken‹.

EU als treibende Kraft

Sie schildert die Folgen jener EU-Richtlinie: 135.000 km² Ölpalm-Monokulturen statt Regenwald, Ausbringen von Gülle, Vergiftung natürlicher Gewässer, zerstörte Lebensgrundlagen indigener Lebensgemeinschaften usw. usf., sie beschreibt die verwahrlosten, lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen auf einer Palmöl-Plantage Sumatras und den erbitterten, teilweise erfolgreichen Widerstand vor Ort.

Ihre Beispiele zeigen das hinterhältige und bigotte Vorgehen der international verfilzten Konzerne und Interessengruppen. Das unter diesen Bedingungen gewonnene Produkt werde als »nachhaltiges Palmöl« nach Europa geliefert und hierzulande als Paradebeispiel für »grünes Wachstum« gepriesen.

Vom ›Affenknast‹

Sie sieht einen angestrengt auf Grün gestylten Kapitalismus auch in anderen Bereichen um sich greifen, etwa in den dem Tourismus verfügbar gemachten Naturschutzgebieten, aus denen zuvor unter aktiver Mitwirkung des WWF indigene Bevölkerungsgruppen ausgesiedelt worden seien.

Anrüchige Details. Jeweils nach dem Roden des Urwalds würden kranke, verwaiste oder verletzte Orang-Utans von der ›Borneo Orang-Utan Survival Foundation‹ (BOS) in zwei Rehabilitationszentren mit Platz für insgesamt achthundert Tiere aufgenommen, einen »Affenknast«, wie Inge Altmeyer, eine Kennerin der Materie, urteilt. Der Aufsichtsratsvorsitzende der BOS sitze, welch Zufall, auch im Aufsichtsrat eines der größten Plantagenbetreiber Indonesiens. Was sagt man dazu? Alles in einer Hand? Der für die Brandstiftung verantwortlich ist, betreibt auch die Feuerwehr.

Aalglatt

Anrüchige Details. Palmöl bestehe »fast zur Hälfte aus gesättigten Fettsäuren, die bekannt dafür sind, dass sie Übergewicht und ernährungsabhängige Krankheiten verursachen können«, es werde in einer Vielzahl von Nahrungsmitteln verwendet, von Margarine bis zur Tütensuppe.

Anrüchige Details. Das Gütesiegel, das für den Import von Palmöl nach Europa erforderlich sei, wurde, so Kathrin Hartmann, für die erwähnte Plantage von der malaysischen Niederlassung des TÜV Rheinland ausgestellt, der sich im langjährigen Konflikt um das Land der Indigenen von Bungku auf Sumatra auf die Seite des mächtigen Palmölherstellers ›Wilmar‹ gestellt habe. ›Wilmar‹ inszeniere sich öffentlich aalglatt als ein Regenwaldretter und finde punktuell sogar lobende Worte von Greenpeace.

Vom grünen Kapitalismus

Auf Sumatra sei von 2000 bis 2013 eine Fläche von doppelter Größe der Schweiz gerodet und mit Ölpalmen bepflanzt worden, lebensfeindlicher Monokultur. Hier im beinahe noch »gemütlichen« Kerneuropa ist uns oft nicht vorstellbar, mit welcher Radikalität und Kompromisslosigkeit der Kapitalismus global durchgesetzt wird. Sie zeigt, dass auch der so verheißungsvoll protegierte Handel mit Klimaschutzrechten – die Böden würden in den Emissionshandel einbezogen – nur eine neue Stufe unwirksamer Maßnahmen ist, die den Landkonflikt nicht lösen.

Und immer wieder neue Tricksereien. Mit den »brachliegenden Flächen«, die – so in einem Bericht als Grundlage für die UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 – für »nachhaltige Landwirtschaft« genutzt werden sollen, seien die teils von indigener Bevölkerung traditionell genutzten Regenwaldbereiche gemeint, sie seien für »nachhaltige« Nutzung durch Ölpalmen-Monokulturen vorgesehen, also Rodung, Palmölsetzlinge, Vertreiben der indigenen Bevölkerung, Reduzieren des Habitats der Orang-Utans – alles wie gehabt, nur diesmal im Mantel eines »grünen« Kapitalismus auftretend, und zwar mit der Kernaussage, dass Klimaschutz und Wachstum miteinander vereinbar seien.

Aquakulturen

Vergleichbar chaotisch und vernichtend sei das Ergebnis der noch während der sechziger Jahre als »blaue Revolution« in Bangladesch initiierten industriellen Massenzucht von Garnelen. Auch hier werde Natur zerstört, in diesem Fall kostbare Mangrovenwälder, auch hier fänden heftige Auseinandersetzungen um die Bewahrung traditioneller Lebensweise statt. Versuche, den Aquakulturen durch Zertifizierung ein »nachhaltiges« Image zu verleihen, seien Augenwischerei, die einzig realistische Perspektive liege im Konsumverzicht, in staatlicher Regulierung der Produktion.

Dennoch geschehe real nichts, die Problemlage werde verdrängt, der Kapitalismus als Ursache werde eben nicht thematisiert, und unter neuen Etiketten wie »grün«, »klimasmart« werde unverändert einer industrialisierten Landwirtschaft der Boden bereitet.

Trojanisches Pferd

Die ›German Food Partnership‹, ein Projekt von Public Private Partnership, finanziert von Bill Gates, diversen Unternehmen des Big Agribusiness nebst, selbstverständlich, öffentlichen Mitteln, arbeitet an dem, wie Kathrin Hartmann überzeugend darstellt, haarsträubenden Versuch, den Kartoffelanbau in Afrika zu etablieren. Gleichermaßen kontraproduktiv sei ein weiteres Großprojekt der ›German Food Partnership‹, mit Hybridsaatgut die Reisproduktion in diversen südostasiatischen Ländern zu steigern. Angesichts der von Kathrin Hermann wiedergegebenen Details kann man sich nur entsetzt an den Kopf fassen.

Es passt dazu, dass sie über das keineswegs segensreiche finanzielle Mitwirken von Bill Gates bei der WHO aufklärt sowie über Gentechnik als »Trojanisches Pferd der Saatgutkonzerne«.

Es geht also doch

Man kann ihr nur zustimmen, dass mit derartigem Etikettenschwindel nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewendet wird. Man fragt sich gleichfalls, weshalb Journalismus, der sich ernst nimmt, nicht längst diese Themen zu ›Dauerbrennern‹ seiner Berichterstattung macht.

Sehr lebendig zu lesen sind ihre abschließenden Äußerungen, in denen sie als Resumee ihrer Arbeit darauf drängt, die »imperiale Lebensweise des Westens« grundlegend zu verändern, und sich an ihre Begegnung mit den Ex-Adidas-Arbeiterinnen von Hermosa in El Salvador erinnert – hier findet ein Leben seinen Ausdruck, das sich grundlegend von den Zuständen westlicher Arbeitswelt unterscheidet. Es geht also doch.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Kathrin Hartmann, Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren.
München: Blessing 2015
448 Seiten, 18,99 Euro
Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

1 Comment

  1. […] Susanne war erleichtert, der kurze Ausflug hatte Tim offensichtlich gefallen, und sie freute sich, dass er aus seinem alltäglichen Stress ausgebrochen war. Was seien drei Tage, sagte er, er habe ungeordnete Eindrücke gesammelt, einen oberflächlichen Eindruck aus einer fernen Welt, deren Existenz durch die industrialisierte Landwirtschaft gefährdet sei. […]

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der moderne Sisyphos

Nächster Artikel

The man who knew the answer!

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Erschöpfte Gesellschaft

Sachbuch | Stefan Boes: Zeitwohlstand für alle

Eines ist über die Zeit allgemein bekannt: sie ist immer zu knapp. Warum das so ist? Das wissen wir dann wieder nicht. Wir benutzen Waschmaschinen und Geschirrspüler, fahren unentwegt mit Autos und warten nicht mehr auf die Post, weil wir schnell eine Mail schreiben. Wir sparen derart viel Zeit, dass sie unmöglich zu knapp sein kann. Dass sie es dennoch ist, gehört zu ihrem Wesen.
Der Journalist und Autor Stefan Boes ist der Frage nachgegangen, wohin die Zeit verschwindet und wie wir sie zufriedenstellender nutzen können. Seine Erkenntnisse hat er in dem Buch mit dem vielversprechenden Titel »Zeitwohlstand für alle. Wie wir endlich tun, was uns wirklich wichtig ist« zusammengefasst.

Victoria, Victoria!

Gesellschaft | Antje Schrupp: Vote For Victoria! Preisfrage: Von wem stammt diese Aussage? »Während andere meines Geschlechts zu zeigen versuchen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, warum Frauen in sozialer und politischer Hinsicht als dem Mann untergeordnet behandelt werden sollten, habe ich unerschrocken die Arena der Politik und der Wirtschaft betreten und die Rechte ausgeübt, die ich bereits besaß. Deshalb kündige ich hiermit meine Kandidatur für die Präsidentschaft an.« Die für viele überraschende Antwort (nicht nur darauf) hatte Antje Schrupp schon 2002 in ihrer Dissertation gegeben, jetzt erscheint sie neu, pünktlich zum aktuellen Wahlkampf, als mitreißender Galopp durch ein Stück

Das Verhängnis einer Liebe

Menschen | Ingeborg Bachmann, Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«

Von Juli 1958 bis zum Frühjahr des Jahres 1963 dauerte die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch – zum Ende hin war sie vergiftet und zerbrach. Immer wieder ist über sie in der literarischen Öffentlichkeit gestritten worden mit Frisch in der Rolle des Böswichts und Bachmann in der des Opfers. Ein neues Editionswerk verlangt nach einer Korrektur der Sicht auf diese unheilvolle Beziehung der österreichischen preisgekrönten Lyrikerin und dem schweizerischen Erfolgsautor. Von DIETER KALTWASSER

Visionäre Internetromantik

Gesellschaft | A. Pschera: Das Internet der Tiere | N. Heißmann: Das geheime Wissen der Tiere Klar, es gibt diesen Typus Mensch. Wenn es ihm besonders schlecht geht, setzt er seine letzte Hoffnung auf den Lottogewinn. Was da real abläuft? Wir nennen das Vogel-Strauß-Politik. Oder hat er etwa eine Vision? Aber mal eines nach dem anderen. Von WOLF SENFF