Lite Ratur | Wolf Senff: Krähe
Du machst rein gar nichts zu Weihnachten? Hm. Du könntest Kerzen aufstellen in deinem Schlafbaum, dann hätten die anderen auch etwas davon. Gut, wenn es regnet, wird es schwierig. Oder wenn es windig ist – und windig kommt vor im Dezember. Dann müsstest du halt jemanden abstellen, der mit Streichhölzern umherfliegt.
Das ginge dir zu weit, ja, ich verstehe. Jemand müsste dafür Sorge tragen, dass der Notdienst verpflegt wird, und dieses und jenes, und schon seid ihr dabei, dass Lohnarbeit verrichtet wird, das kann niemand wollen, du siehst ja, wie das den Menschen zu schaffen macht, und die Menschen halten sich für kluge Lebewesen auf dem Planeten.
Wenn ihr elektrische Lichter in den Schlafbaum hängt? Die könntet ihr sogar dimmen. Einer meiner Nachbarn hat seinen Garten mit Lichterketten ausgeschmückt, darunter ein Reh in rehfarbenen Lichtern, das kann man um die Ecke beim Baumarkt kaufen; er ist nicht groß, der Garten, aber hell beleuchtet, wenn ich dort vorbeifahre. Nein, schön anzusehen ist das nicht, aber sehr weihnachtlich. Im Baumarkt kannst du auch einen Weihnachtsmann mit Kutsche erwerben, alles aus Lichterkette – Kitsch, findest du nicht? Daran gemessen hält sich mein Nachbar im gemäßigten Mittelfeld.
Der Strom, ja, wie solltet ihr die Stromkosten zahlen und, auch wieder richtig, was soll ein Reh in eurem Schlafbaum, doch es muss ja kein Reh sein. Es gibt Weihnachtsmänner, die man sich an die Dachrinne hängt, ja im Freien, klar, folglich auch in einen Schlafbaum. Richtig mit dem Sack voller Geschenke über der Schulter, leuchtendes Rot mit strahlend weißer Borte, das übersieht man auch bei Dunkelheit nicht.
Zu einer Zeit, da eh alles Laub heruntergefallen ist und trübsinnige Gerippe die Parkanlagen bevölkern, wäre das mit den Weihnachtsmännern im Schlafbaum eine originelle Idee, findest du nicht auch. Nein, er kostet keinen Strom. Nur dass er für euch schwierig zu transportieren wäre, denn hinauf muss er ja in den Baum. Also eher wieder nicht.
Das ist schon ein wenig Stress, Krähe, verstehst du. Da sorge ich mich, dass ihr euch Weihnachten wohlfühlt, nett einrichten könnt, die Festtage genießen, und was ist?
Ach, Krähe, nicht doch. Die Menschen, sagst du, würden sich ihrer Freude entäußern, indem sie ein solches Bohei mit dem Drumherum veranstalten? Denkst du da nicht um ein paar Ecken zu viel? Also anstatt dass sie aufrichtige Freude empfinden, meinst du, sie sind nur oberflächlich fröhlich mit all ihrem Weihnachtsbaum-, Pfefferkuchenhäuschen-, Lichterzauber und haben eh von dem Gänsebraten, der für die Feiertage vorhält, tagelang Bauchweh?
Ich weiß nicht, Krähe. Und letztlich zählt das kerzenmäßige Aufrüsten nur als Dekor. Wichtig sind die Geschenke, die zur Bescherung unter den Baum gelegt werden. Dass wir uns überhaupt beschenken. Das vermittelt eine friedliche Atmosphäre, Krähe, überleg mal, der Mensch ist das ganze Jahr aggressiv, Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung, sieh dir die Nachrichten an, er führt gräßliche Kriege, und zeitig zur Weihnacht ist nun das deutsche Verteidigungsministerium beim Krieg in Syrien dabei.
Gut, ihr nicht, Krähe, aber wenn man alles bedenkt – bei uns schlägt außerdem das Schenken ökonomisch voll durch, der Einzelhandel jubelt lange vor Weihnachten über steigende Einnahmen, ein Fest der Freude. Jeder hat etwas davon, überleg mal.
Aber fragen würd‘ ich doch gern – ihr macht rein gar nichts? Nie? Ihr feiert keine Geburtstage, gibt keinen Osterhasen, ihr heiratet nicht, schon gar nicht in Weiß, ihr kennt keine Fitness-Clubs, keinen Elvis, nicht einmal Film und TV, fliegt nicht in Urlaub, trinkt kein Bier, spielt weder Poker noch Doppelkopf, das ist doch kein Leben, Krähe. Vom Fußball wisst ihr nicht einmal, was das ist.
Und auch sonst, Krähe, jetzt ehrlich, ich will dir das ja nicht schlechtreden, aber allein wie du fliegst. So völlig ohne Anlauf, wie klappt das überhaupt. Denk nur einmal, wie lange ein Airbus oder eine Boeing auf der Startbahn nötig haben, die Startbahn ist allein ihretwegen gebaut, schneller, schneller, schneller, bis sie die Nase heben und aufsteigen. Wie herrlich ihre Flügel im Sonnenlicht funkeln!
Silbermetallic. Das nenne ich Fliegen, verstehst du. Nicht so schwupp aus dem Stand in die Lüfte, so unprätentiös und ohne jeden Lärm. Das fällt doch keinem auf, Krähe. Dagegen ist ein Kampfjäger in Kriegslackierung ein echter Hingucker. Überschallschnell, und eh du hinschaust, ist er vorbei, nach Syrien, nach Afghanistan. Wer das braucht, fragst du? Ich weiß es nicht.
| WOLF SENFF
| Titelbild: Jonathan McIntosh