Sargvogel

Lite Ratur | Wolf Senff: Krähe

Krähe, sag, wie stirbst du? Sicher, ist vielleicht pietätlos gefragt, so mit der Tür ins Haus zum Jahresausklang, aber mal ehrlich, ich hab nie irgendwo eine tote Krähe liegen sehen. Von euch gibt’s doch eine ganze Menge, und irgendwo müsst ihr doch bleiben, darüber denkt einer schon mal nach, Krähe, das musst du verstehen.

KräheBeim Menschen ist klar, der wird vergraben oder verbrannt, damit die Leiche vom Erdboden verschwindet, wir wollen halt den Tod nicht neben uns sehen. Und bei euch? Für den Menschen wird ein Sarg gezimmert oder für seine Asche eine Urne hergestellt, die Begräbnisinstitute konkurrieren, es gibt einen Markt für Särge, da kannst du die Preise vergleichen, Discountpreise, Billigangebote, heiß umkämpft.

Wie es aussieht, ist das Geschäft zukunftsträchtig, die Baby-Boomer treten ab. Man könnte da investieren, klar, doch andererseits, man weiß es nicht, die Katastrophen nehmen zu, Naturkatastrophen mit reichlich Opfern, die nicht in Särgen bestattet werden, und Begräbnisinstitute werden gar nicht erst angefordert, also kannst du knicken, Krähe.

Und kommt noch einiges auf uns zu, Krähe, Landstriche trocknen aus und werden unbewohnbar, endlos lodernde Waldbrände, Ernten fallen aus, Wasser wird durch Schadstoffe ungenießbar, früher, erinnern wir uns, wurden Brunnenvergifter am nächsten Baum aufgeknüpft, gelegentlich siehst du das in einem alten Wildwestfilm. Die Zeiten sind vorüber, heute ist’s industrialisierte Landwirtschaft, die das Wasser systematisch vergiftet, und da findest du niemanden, der verantwortlich wäre. Im Gegenteil, die Herrschaften streichen satte Boni ein, von Pensionszahlungen ganz zu schweigen. Gut, Krähe, war jetzt nicht das Thema.

Du würdest dich gut machen als Begräbnisvogel, Krähe, du hast Konjunktur, Vogel, Schwarz liegt im Trend, und nicht nur die Natur beschert uns Katastrophen, hab ich Erdbeben erwähnt, auch der Mensch ist dabei, wenn es darum geht, einander auszurotten. Nein, mit Vernunft hat das nichts zu tun, wer redet von Vernunft, Nachdenken war gestern, Krähe, wenn überhaupt.

Kriege, Krähe, der Mensch führt Kriege, mit wachsender Begeisterung, möchte man sagen, und falls du dich erinnerst, Krähe, für Hiroshima und Nagasaki beschäftigte garantiert niemand Begräbnisinstitute, im Vietnamkrieg starben zwischen zwei und fünf Millionen Vietnamesen, wer hätte sie zählen können, geschweige denn bestatten.

Die Anzahl der Opfer des Irakkriegs schwankt zwischen hundert- und sechshunderttausend; du glaubst doch nicht etwa, die seien begraben worden, die Moslems haben strikte Bestattungsrituale, doch unter diesen chaotischen Umständen waren sie unmöglich einzuhalten. Nein, Begräbnisinstitute hatten ebenfalls nichts davon, an den Kriegen verdienen andere – doch davon ganz abgesehen, du siehst, der Mensch führt seine Kriege seit 9/11 mit wachsender Begeisterung.

Als Begräbnisvogel hättest du weiß Gott zu tun. Ich erinnere mich an ein Foto, durch Agent Orange entlaubte Waldregion, vier, fünf verkohlte Baumgerippe, die Luft noch rauchgeschwängert, am Boden ein schmales Rinnsal, nirgendwo eine Menschenseele, und hoch in den Baumkronen hockt ihr zu fünft, zu sechst, pechschwarz, reglos, ab und zu nur ruckt ein Kopf, ein Schnabel zuckt hoch, nicht auf dem Foto, klar, aber real, und real euer schnarrendes Krächzen, das die lähmende Stille bricht, als wär’s ein Triumphlied des Todes.

Und klar, im Irakkrieg ist’s der Wüstenrabe, der an Berghängen hockt, an felsigen Wadis oder eben in der Wüste, pechschwarz, reglos, vielleicht auf einem verlassenen Panzer und blickt den marschierenden Truppen hinterher. Heute ist dort Bürgerkrieg angesagt, feindliche Religionen, failed states, und alle paar Tage Selbstmordattentate wie neulich Paris. Euch gibt es überall, Krähe, und der Mensch neigt zu fragen, was in euren Köpfen vorgeht, so als Publikum, als Begräbnisvogel.

Nein, seid ihr nicht? Ihr könnt ja bei der massenhaften Zahl von Toten, ich hab’s gesagt, nicht an so vielen Begräbnissen anwesend sein, und ihr seid gar nicht, sagst du, wegen der Begräbnisse anwesend, sondern wegen der behaglichen Stille. Die besinnliche Stimmung, sagst du, die ist’s, die euch anzieht, und dass der Mensch sich besinne, das ereigne sich eh nur auf Friedhöfen.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Frage nach der Erlösung

Nächster Artikel

Landrattengarn

Weitere Artikel der Kategorie »Lite Ratur«

Zwei Räder, ein Pferd

Lite Ratur | Wolf Senff: Zwei Räder, ein Pferd Gottschalk war sichtlich jünger als der Geheimrat, wenngleich dessen Größe, dessen sportliche Figur und gepflegter altersloser Haarschopf ihm die Aura ewiger Jugend verliehen. An Hängen mit leichter Steigung sah er sich besorgt um, lachte mit gebleckten Zähnen, sie waren nun einige Tage auf Tour, er fand offensichtlich viel Freude daran. Nein, keine Wettfahrt, sondern eine völlig entspannte Unternehmung.

Herzschlag

Lite Ratur | Wolf Senff: Herzschlag Nein, weshalb solle er sich Sorgen machen, er sei nicht hysterisch. Dass sein Arzt sich schwertue, seinen Puls zu finden, sei nicht sein Problem. Die in chinesischer Medizin spezialisierten Ärzte übertrieben ihre Diagnose am Puls, einer wie der andere. Sie würden bekanntlich an drei verschiedenen Positionen messen, alle drei am Handgelenk, nein, sage er sich, er habe keinen Grund, sich zu sorgen, kein bisschen.

Gefühle

LiteRatur | Von Wolf Senff Sie wissen doch sonst stets Bescheid, unsere Hochbegabten, die von Sondermitteln profitieren, und weshalb können sie uns nichts über unsere Gefühle erzählen. Woher sie kommen. Weshalb sie sich verändern. Wo sie bleiben.

Unvergleichlich

Lite Ratur | Wolf Senff: Begegnungen Hier sei alles hervorragend auf Besucher eingerichtet, lobte Ramses, und dass dies eine einmalige Gelegenheit sei, dieses Weltwunder kennenzulernen. Ja, fügte er hinzu, der Flug sei überaus angenehm gewesen, auch das sei ein Wunder, er hätte sich nie träumen lassen, dass der menschliche Körper sich zum Himmel erhebe, nie im Leben, das sei eine vortrefflich geglückte Illusion.

Der Holzschuh- und der Spitzentänzer

Lite Ratur | Roth und Tucholsky, Avignon und Marseille. Und Laura Der Publizist Klaus Jarchow wies vor einiger Zeit in seiner ›Besichtigung literarischer Werkstätten‹ darauf hin, Kurt Tucholsky würde Joseph Roth häufig vorgezogen. Er hielt das für ungerechtfertigt, sei Roth doch als politischer Schriftsteller genau so gewichtig. Als gewichtig charakterisiert THIERRY PORTULAC Roth denn tatsächlich, im Vergleich zur Leichtigkeit des sich nicht minder politisch äußernden Tucholsky. Am Beispiel des Frankreich-Bildes beider Autoren nimmt er eine Gegenüberstellung vor.