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Live | ›WWE Road To WrestleMania: Germany‹

Halbnackte Athleten legen sich gegenseitig aufs Kreuz, und alle freuen sich: CHRISTIAN NEUBERT hat die ›WWE Road To WrestleMania: Germany‹-Tour besucht. »Oh yeah«, würde ›Macho Man‹ Randy Savage sagen.

Abb: Hugo Fernandes
Abb: Hugo Fernandes
Wrestling ist das prügelklamaukige Daily-Soap-Pendant für die noch nicht ganz so reife männliche Jugend. Und für die, die sich einen gewissen jugendlichen Enthusiasmus bewahren konnten. Weniger wohlwollend ausgedrückt heißt das: Wrestling ist für Kindsköpfe. Ich nehme mich da gar nicht raus. Die WWE, die bis 2002 noch als WWF firmierte, ist der wohl größte Wrestling-Verband der Welt. Die Deutschland-Tour, die er unter dem Namen ›Road To WrestleMania‹ unternahm, brachte ein paar Handvoll seiner Kämpfer in vier deutsche Städte. Die letzte Station war Magdeburg. Dorthin, so hieß es, könne ich gehen.

Und was sagt man nun als Kind der späten Siebziger zu der Gelegenheit, sich ein WWE-Event live anzusehen? Als jemand, der sich als Schulbub nachts auf britischen TV-Programmen rumtrieb, um Shows wie den Royal Rumble oder den SummerSlam zu kucken? Als schmächtiger Schreiberling mit Flying-Elbow-Drop-Ambitionen?
Man sagt es mit ›Macho Man‹ Randy Savage: »Oh yeah!«

Also: Rauf auf die Autobahn, auf die angenehm leere A71 gen Magdeburg. Ich schwelge in Erinnerungen, rufe mir die großen Matches ins Gedächtnis zurück. Jenes zwischen Shawn Michaels und ›The Model‹ Rick Martel beim SummerSlam ´92, ausgetragen um die Gunst von ›Sensational‹ Sherri. Das beinharte Casket Match zwischen Yokozuna und dem Undertaker, der aktuell wohl in seiner dritten bis vierten Inkarnation im Ring steht. Oder, ebenfalls unvergessen: Der Kampf zwischen Brett ›The Hitman‹ Hart und seinem Bruder Owen, bei dem ihr Vater, die Wrestling-Legende Stu Hart höchstselbst, das Handtuch werfen musste. Hach, das war noch was…

Damals war Wrestling mehr Kuriositätenkabinett als Muckibude. Es war die Zeit vor der Atttitude Era. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse stand noch im Zeichen der Gimmicks. Er war gesäumt von abwegigen Charakteren wie dem Voodoopriester Papa Shango, den Headshrinkers, dem Mountie oder Irvin R. Schyster, seines Zeichens niederträchtiger Geldeintreiber von der Steuerbehörde. Für die Kostümdesigner muss es ein Fest gewesen sein, und mehr noch für die Storyboard-Autoren. Klar kamen solche Gestalten nicht ohne ihre Accessoires aus: Was für Razor Ramon ein Zahnstocher war, musste für ›Hacksaw‹ Jim Duggan schon ein Kantholz sein. Und Brutus ›The Barber‹ Beefcake hat seinen Barbershop nie ohne Heckenschere verlassen.

Gut gegen Böse, Heels vs Faces

Ich allerdings muss auf Accessoires verzichten. Ich bin zu spät, habe keine Zeit für Shopping am Merchandise-Stand. Stattdessen schaffe ich es gerade noch rechtzeitig zum ersten Kampf auf meinen Platz. Der Weg dorthin wird begleitet von Feuerwerk und frenetischem Jubel, von euphorischer Ekstase und ekstatischer Euphorie. Den Ansagen des Ringsprechers, die einen willkommen heißen. Und die schließlich den ersten Kampf einläuten. Einen Titelkampf: Dean Ambrose tritt gegen Rusev an, um seinen Intercontinental Champion Belt zu verteidigen. Wow! Rusev, der erste Bulgare in der WWE, ist in der sich schwarz-weiß gebärenden Wrestling-Halbwelt als ›Putin-Freund‹ natürlich ein Heel – ein Bösewicht. Ein Bad Boy um die Einsachtzig. In Metern und wohl auch in Kilogramm. Gegen ihn wirkt Ambrose, inszeniert als gefürchteter, unberechenbarer Streetfighter, fast wie ein Lausbub im Ring.

Dass er dennoch gewinnt, überrascht allerdings wenig. Den deutschen Besuchern dürfte klar sein, dass die WWE ihren US-Fans nicht vor die Köpfe stößt, indem sie an der bestehenden Historie aufgrund einer Übersee-Tournee etwas ändert. Also: Finishing Move, Pinfall, Titel verteidigt. Und weiter geht´s. Wrestling kennt keine Atempause, Cesaro betritt die Arena, ein Schweizer in der WWE. Als Recke in den Ring steigen kann er jedoch nicht: Er muss seine verletzte Schulter schonen. Denn auch, wenn Wrestling Show ist und nicht etwa Kampf: Seine Akteure sind Leistungssportler, sind Stuntmen, die einstecken müssen. Man fällt eben auch mal ungünstig, mitunter auch grob auf die Schnauze, holt sich Zerrungen und Prellungen – und muss wieder in den Ring. Heute jedoch darf Cesaro den Main Event des Abends verkünden. Einen Street Fight zwischen Roman Reigns und Alberto Del Rio. Die Menge johlt. Ich johle mit – obwohl Wrestling ohne wirkliche Kenntnisse seiner Charaktere maximal der halbe Spaß ist. Das ist wie bei »herkömmlichen« Daily Soaps: Wer kurz mal reinzappt, checkt nix. Nach wenigen Episoden kann es aber schon reizvoll werden. Aufgrund der sich rasch erschließenden Storys und ihren scharf gezeichneten Akteuren.

Jetzt geht´s aber erst mal weiter. Zunächst mit Jack Swagger, ganz ein proud Amercian, gegen Bo Dallas, ein Social Outcast im knappen weißen Höschen. Seine zur Schau gestellte Feigheit vor dem Gegner wird unmittelbar bestraft. »Pussy« schallt es immer wieder von den vollbesetzten Zuschauerrängen. Auch, wenn die aktive Begeisterung der Crowd noch meilenweit von amerikanischen Verhältnissen entfernt ist: Das deutsche Publikum hat begriffen, dass Wrestling ein Mannschaftssport ist, der die Zuschauer einbezieht. Als ich vor fünf, sechs Jahren schon mal ein WWE-Event live erleben konnte, war das noch anders. Da mussten sich die Heels noch auf besonders platte Weise daneben benehmen, um Reaktionen hervorzurufen. Das will bei Wrestling schon was heißen …

Der vierte Fight gehört Goldust, einer Art Ziggy Stardust, gefangen im imposanten Gladiatorenkörper. In Windeseile bezwingt er Tyler Breeze, einen Schönling mit Selfiestick. Klar ist das eine Schmach für das Möchtegern-Model, weswegen er – Wrestling macht´s möglich – einen weiteren Gegner verlangt. Den gibt’s: R-Truth, ein afroamerikanischer Rapper im Ring. Ihm genügen zehn Sekunden, um Breeze eine weitere Niederlage zu bescheren. Wrestling wird hier erst zu Slapstick, dann zum Breakdancebattle unter Freunden. Denn Goldust kehrt zurück, gemeinsam tanzen sie den R-Truth-Boogie.

Vermeintliche und tatsächliche Höhepunkte

Was hier geschieht, ist der vorläufige Höhepunkt des Abends. Denn ich erkenne Aufschlussreiches: Hip Hop ist im Wrestling angekommen. Mitte der Neunziger, als ich jeden Kämpfer bereits an seiner Einmarschmusik erkannte, war Wrestling noch eine bierselige White Trash-Fantasie. Etwas, das Glam Rock sein wollte, sich aber schwertat, dem viel zu grellen Hair Metal zu entkommen. Schwarze Wrestler waren spärlich gesät, und wenn, dann waren sie auf Ressentiments basierende Bösewichte. Die Liga spielte mit Klischees und Stereotypen, und sogenannte Randgruppen sind nun mal leicht zu parodieren und zu instrumentalisieren.

Nun könnte man einwenden, ein schwarzer Rapper ist auch ein Klischee. Das stimmt wohl. Allerdings rappt R-Truth tatsächlich, sein Gimmick ist mehr als Verkleidung. Er beherrscht dieses Hand-, bzw. Mundwerk. Wenngleich offensichtlich ist, dass er seine Brötchen dann doch besser im Ring verdient.

WWE wrestler Hulk Hogan.  Abb: Kristin Fitzsimmons (PD)
WWE wrestler Hulk Hogan.
Abb: Kristin Fitzsimmons (PD)
Dass die WWE heute abseits der brackigen Ursuppe rassistischer oder auch sexistischer Ressentiments stehen möchte, belegt z.B. ihre vollständige Distanzierung von Hulk Hogan, ihrem einstigen Über-Aushängeschild, aufgrund seiner rassistischen Äußerungen letzten Sommer. Und die Karriere des afroamerikanischen Wrestlers Darren Young. 2013 outete er sich als schwul. Ein starkes Stück in einer Welt, die Macho-Attitüde zwischen Ringseilen vertritt – zumal er kurz nach seinem Coming Out zu den »Guten« konvertierte.

Dennoch gilt im Wrestling weitestgehend: Die beteiligten Damen setzen auf die Erotik ihrer gestählten Körper, während die Männer mit ihr kokettieren. Die nächsten beiden Kämpfe bezeugen es. Im ersten tritt das Drei-Mann-Gespann The New Day gegen die samoanischen Zwillingsbrüder Jimmy und Jey Uso an, deren Kampf-Troika durch den Giganten Big Show komplettiert wird. In dem 6 Man Tag Team Match werden akustisch effektvolle Rückenklatscher zum Running Gag. Außerdem das wenig züchtig bedeckte Popogewackel. Eventuell antörnend soll das nicht sein, vielmehr lustig. Das sieht beim nächsten Kampf ganz anders aus: Ein Fight um die WWE Divas Championship. Die Art und Weise, wie Gothic-Braut Paige und ihre Kontrahentin Charlotte ihre Körper ausstellen, lässt keine Zweifel an ihrem vordergründigen Zweck. Ebenso das kaum verhüllende Schiedsrichter-Outfit von Summer Rae, einer aktiven Wrestlerin im Divas-Roster der WWE, die als Special Referee das Match entscheidet.

Großes Wrestling-Kino

Rae ist nämlich alles andere als unparteiisch. Sie befehdet sich seit einer Weile mit Paige. Als jene den Fight per Pinfall zu beenden droht, schafft sie es aufgrund eines schmerzenden Arms nicht, die nötigen drei Male auf den Ringboden zu klatschen – und die so um ihren Sieg gebrachte verliert das Match gegen Titelverteidigerin Charlotte. Großes Wrestling-Kino! Ric Flair, übrigens der Vater der unverdienten Siegerin, ist auch am Ring anwesend. Wohl, um seiner Tochter im Kampf beizustehen. Und natürlich, um alte Fans wie mich zu mobilisieren. Klar greift auch er zwischendurch ein, indem er Paige am Fuß festhält. Sein Auftritt verläuft jedoch weniger glanzvoll als gedacht. Das macht eben Wrestling aus einem. Wie konnte ich bloß erwarten, der Mann biete mehr als eine gute Figur als statischer Ring-Rentner? Eine spektakuläre Show, der alten Zeiten wegen, ist zu viel verlangt. So mancher seiner Generation ist lange begraben, hat nicht sein Alter von 67 Jahren erreicht.

In Magdeburg geht’s derweil aufs Ende zu. Kevin Owens und Dolph Ziggler begegnen sich im Ring. Der massige Owens macht sich unbeliebt, er wettert gegen das Publikum – und will nicht kämpfen. Er geht, da sind sie wieder, von Pussy-Rufen begleitet. Dass er in den Ring zurückgeprügelt wird, ist ebenso obligatorisch wie seine Niederlage. Dass im darauffolgenden Main Match, dem Street Fight zwischen Alberto del Rio und Roman Reigns, Klapptisch und -stuhl unter dem Ring verstaut sind, auch.

Die Sitzgarnitur hat nicht etwa ein Roadie vergessen: Klappstühle haben im Wrestling Tradition. Da kloppt man sich gerne mal mit diesen Gegenständen. Bei einem zünftigen Street Fight wie diesem scheinen sie gar unverzichtbar zu sein. Es kommt natürlich, wie es kommen muss: Der hünenhafte Roman Reigns rammt den nicht minder gigantischen Del Rio durch den in der Ringecke drapierten Tisch – und entscheidet den Kampf für sich.

Und das war´s dann. Zweieinhalb Stunden voller Action sind vorüber. Roman Reigns lässt es sich am Ende nicht nehmen, das Mikrofon des Ringsprechers zu ergreifen. Er erklärt dem Publikum, das es das beste der Welt sei.

Ob das tatsächlich stimmt? Ob es in einem von vorne bis hinten durchinszenierten Kosmos wie der WWE die Möglichkeit für Wahrhaftigkeit gibt?

Oh yeah, würde ›Macho Man‹ Randy Savage sagen.

| CHRISTIAN NEUBERT

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