Trautes Heim …

Roman | Jochen Rack: Glück allein

Vertrautheit, Zweisamkeit und Beständigkeit – auf solch ein Fundament baut die romantische Vorstellung von Liebe. Jochen Rack schüttelt in seinem neuen Roman mit dem anspielungsreichen Titel Glück allein dieses naiv biedere Beziehungsbild kräftig durcheinander. Und doch bestätigt der Autor in jeder dieser kurzen Momentaufnahmen eine recht konservative Welt. Von HUBERT HOLZMANN

rackTrautes Heim schützt nicht vor Beziehungskrisen. Jochen Rack stellt in seinem »Roman in 10 Liebesgeschichten« diese so unbedarft daherkommende Redensart auf die Probe. In intimen Einblicken werden uns 10 Paare – oder Menschen, die miteinander in eine Beziehung treten bzw. getreten sind – vorgestellt und dabei gezeigt, dass selbst in unserer algorithmisch gesicherten Welt, die den »Passer« berechnet, nicht immer alles in geraden Bahnen verläuft.

In Racks Roman ist das wie im ganz normalen Leben. Ein Paar erinnert sich in »Gemeinsam gehen« ihrer glücklichen Momente im Leben und fahren im hohen Alter noch einmal dorthin, wo sie dieses Glück gefunden haben, in ein Hotel an einem Schweizer See. Doch dort finden sie nun etwas anderes. Ein anderes Paar hat alles das erreicht, wovon viele andere nur träumen können, ein »Trautes Heim«, ein vorzeigbares Auto, ein gesichertes Leben. Zudem ist die Familie von größeren Katastrophen bisher eigentlich verschont geblieben. Doch hat man sich auseinandergelebt. Mann und Frau reden nicht mehr miteinander, die Tochter leidet darunter und flüchtet in ihre eigene Welt. In seiner Midlife-Crisis zerschlägt der Mann dabei sprichwörtlich das letzte Porzellan im Haus. Denn er surft vor Frust in Partnerschaftsbörsen, sein nächstes Date steht bereits bevor.

Mann und Frau sind (nicht) füreinander geschaffen

Und so bestätigt der Autor in den folgenden kurzen Geschichten seine eher ernüchternde Erkenntnis, dass es kein langes Glück geben kann zwischen Frau und Mann, egal in welchem Alter, in welcher Lebenssituation die Menschen auch stehen mögen. So muss im Text »Only Girl« eine Schülerin feststellen, dass selbst die erste Liebe belastet ist, da ihre Eltern den Freund ablehnen. Und Rack porträtiert den typischen modernen Single-Mann, der in seiner Arbeit versinkt und allenfalls noch einen Supermarkt aufsucht, bevor er sich in seine Eigentumswohnung zurückzieht, wo er in Gedanken seiner Ex nachhängt, die ihn verlassen hat. Ebenfalls schreibt er von einer jungen, verwitweten Frau, die aus Verzweiflung in einer Internetbörse einen Mann sucht und beinahe einem verheirateten Mann auf den Leim geht.

Und so dekliniert Jochen Rack in Glück allein brav alle möglichen Fälle menschlicher Ein- und Zweisamkeit durch – pardon, ausnahmslos die von heteroorientierten Menschen. Die Summe: Glück ist vergänglich. Zugleich scheint in seinen kurzen Liebesgeschichten auch der Zufall eine bedeutsame Rolle mitzuspielen. Denn dieser entscheidet darüber, dass sich zwei Menschen näherkommen. Und ob es dann bei einer »Night« bleibt oder der Bund fürs Leben geschlossen wird.

Fast wird das Klischee bestätigt, dass eine Beziehung heute im Gegensatz zu früher nicht mehr hält. Vielleicht weil es der Traum vom großen Glück ist, die Mann oder Frau um jeden Preis für sich will. Dafür unterzieht man sich dann schon einmal verzweifelt einer Schönheits-OP, absolviert ein irrwitziges Sportprogramm oder sucht Rettung in mehr oder weniger zufälligen »Dates«. Um am Ende festzustellen, dass man wieder einmal dem/der Falschen begegnet ist.

Das Personenkarussell dreht sich wieder

Jochen Rack wählt für seine Geschichten jeweils einen ganz kurzen Ausschnitt aus dem Leben seiner Protagonisten. Nicht zufällig sind auch seine Personen zusammengestellt. Sie verbindet nämlich nicht nur eine unglückliche Liebe, sondern das Personal verbindet miteinander, dass sie direkt oder über Ecken miteinander verwandt oder bekannt sind. So ist der frustrierte Häuslesbesitzer Rüdiger aus der Geschichte »Trautes Heim« einmal der Schwiegersohn des »ergrauten Herrn Anfang sechzig« aus der ersten Geschichte, ein andermal selbst der Vater, dann der Ehemann oder der Versicherungsvertreter einer Klientin, die er zufällig näher kennenlernt. Alles also eine kleine Welt!

Schon die Erfolgsautorin Yasmina Reza hat in ihrem letzten kleinen Prosawerk Glücklich die Glücklichen (2014) diese kleine Welt des Beziehungsspiels, das Nebenbei von Begegnung und Vorübergehen eingefangen. Die Theaterautorin versteht es dabei, die Helden des Alltags in kurzen Szenen effektvoll auftreten zu lassen. Der Autor Jochen Rack bleibt in seinen »10 Liebesgeschichten« etwas statischer. Zunächst blendet er fast filmisch von außen in das Leben seiner Personen: fokussiert das »elegant geschwungene Schieferdach, auf dem eine Schweizer Fahne wehte«, beschreibt die frühe Dunkelheit im Herbst, er bewundert einen jungen Mann, auf »seinem Skateboard« oder vergleicht »die Gipfel der Alpen« mit der »gezackten Linie der Börsenkurse«.

Rack beobachtet genau, jedoch treibt er in seinem Buch kein so offensichtlich analytisches Spiel wie die Französin. Er hat die Mann-Frau-Beziehung im Blick, beschreibt das klassische Rollenverständnis und erklärt es: »In den Wochen vor dem Beratungstermin hatte sich Kirsten lange überlegt, wie sie dem Arzt ihr Problem erklären sollte, es lief auf eine weitläufige Schilderung ihrer Pubertät und sexuellen Identität hinaus, sie konnte nicht anders, als dabei auf Judith Butler und Michel Foucault zu sprechen zu kommen, die in ihrer Dissertation eine wichtige Rolle spielten…«

In den zehn Geschichten überrascht Rack mit Einfällen, überraschenden Wendungen, kleinen witzigen Ideen. Die Orchidee der »Holcoglossum amesianum«, deren florale Ornamentik im Buchcover aufgenommen wird, erhält einen fast tristen Symbolgehalt. Diese exotische sich selbst befruchtende Pflanze existiert im Glashaus einer künstlichen Welt. Wie Martin, der Biologe, der in seiner kleinen, abgeschlossenen Welt lebt. Erstaunlich ist, dass dieser die Pflanze noch immer besitzt, ist sie doch ein Geschenk seiner Exfreundin zu seinem Geburtstag. Wie die Pflanze ist auch seine Beziehung längst »verblüht«. Aber Martin hofft noch immer darauf, dass Nicole zurückkehrt, nicht nur in seinem Träumen.

Fast scheint diese Orchidee als Geschenk ein wenig aus der heutigen Zeit zu fallen, wie auch das »Reihenhaus«-Glück oder die Affäre per SMS. Das Haltlose ist vorgezeichnet. Das Glück währt immer nur kurz. Trotzdem liefert Glück allein von Jochen Rack den Stoff für neue Träume.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben:
Jochen Rack: Glück allein
Cadolsburg: ars vivendi 2016
175 Seiten. 18,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Mehr von Jochen Rack in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Melancholischer Brückenbauer

Nächster Artikel

Gartenarbeit mit Hiiiirrrn

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Die Banalität des Guten – Vorabdruck

Roman | Manfred Wieninger: Die Banalität des Guten Anfang Oktober erscheint Manfred Wieningers Roman in Dokumenten ›Die Banalität des Guten‹. Lesen Sie auf TITEL kulturmagazin das erste Kapitel im Vorabdruck:

Der rettende Schuss

Roman | Javier Cercas : Outlaws Spätestens mit seinem Roman Anatomie eines Augenblicks, den die wichtigste spanische Tageszeitung El Pais 2009 zum Buch des Jahres kürte, hat der 52-jährige Javier Cercas auch außerhalb Spaniens den Durchbruch geschafft. Als »grandios« hatte der bekannte argentinische Autor Albert Manguel diesen, auch mit dem  Premio Nacional de Narrativa ausgezeichneten Roman gerühmt, der um den gescheiterten Militärputsch des Jahres 1981 kreist. Jetzt ist sein neuer Roman Outlaws erschienen. Von PETER MOHR

Zwischen Kunst und Leben

Roman | Norbert Gstrein: Der zweite Jakob

»Jetzt kommen sie und holen Jakob.« So eröffnete Norbert Gstrein 1988 seine erste literarische Veröffentlichung, die schmale Erzählung Einer. Nun steht ein Schauspieler namens Jakob Thurner im Mittelpunkt des neuen Romans Der zweite Jakob, der sich wie eine künstlerische Zwischenbilanz des österreichischen Autors liest, der im Juni seinen 60. Geburtstag feierte. Von PETER MOHR

Leben und Sterben im bürgerlichen Zeitalter

Roman | Asta Scheib: Sonntag in meinem Herzen. Das Leben des Malers Carl Spitzweg FLORIAN WELLE rezensiert Asta Scheibs Romanbiografie Sonntag in meinem Herzen, in der sie vom Münchner Maler Carl Spitzweg erzählt.

Der alte Herr Updike lässt grüßen

Roman | Michael Kleeberg: Vaterjahre Da ist er wieder, der bieder-selbstzufriedene Langweiler Charly (Karlmann) Renn aus Michael Kleebergs Roman Karlmann  (2007). Den »Karlmann« aus den 1980er Jahren, auf diesen altfränkischen Vornamen hatte ihn sein hanseatischer Vater einst taufen lassen, hat Renn längst hinter sich gelassen. Er ist älter geworden, hat das von seinem Vater geerbte Autohaus versilbert, ist in zweiter Ehe mit einer fürsorglichen Ärztin verheiratet und inzwischen Vater von zwei Kindern. Nun legt Michael Kleeberg den neuen Roman ›Vaterjahre‹ vor. Von PETER MOHR