Lite Ratur | Wolf Senff: Impressionen
Im matten Widerschein des Flachbildschirms ist unklar, was Jo da so reichhaltig isst. Wir sitzen zu viert in der Ecke mit grünlederner Garnitur in einem rückwärtigen Winkel des Lokals. Wer genauer hinsieht, tippt auf zwei Scheiben Steak mit Röstkartoffeln.
Er diskutiert mit Jan, er ist kleiner und sieht wie dessen jüngerer Bruder aus. Das eine Stück, sagt er, sei zu durchgebraten, schneidet mit dem Messer hinein und zeigt es, bevor er der Kellnerin winkt und mit ihr redet, isst weiter, gibt den nächsten Halben mit Küstennebel in Auftrag und stellt den Teller beiseite, als das Spiel angepfiffen wird.
Jo stammt aus Rostock, so viel erfahre ich, Jan hält sich zurück, er müsse fahren. Sie sind beide am Ort als IT-Techniker und richten Anlagen ein. Sie mögen Mitte dreißig sein, sie wirken angespannt. Keine Ahnung, wie lange sie bleiben werden, real erfährst du wenig.
Dortmund führt schnell zwei zu null, ein begeisternder Anfang, Jo ist aufseiten Liverpools, nein Bayern gegen Benfica gestern habe ihn nicht interessiert, kein Stück, mehr erfahre ich nicht, vermutlich hängt er an Klopp, mehr Leidenschaft als Kalkül. Das Spiel wird dramatisch, ein Trauma für Dortmund, es gibt Wochen, da gerät die Welt aus den Fugen.
Alle zwanzig Minuten geht Jo ins Freie rauchen, gereizt, ein unsteter Typ, meine Güte, weshalb findet er keine Ruhe, das ist doch nicht wegen des Spiels; er bleibt hinter dem Sessel, stützt sich auf die Lehne, ordert den nächsten Halben mit Küstennebel. Die Kellnerin weist ihn darauf hin, dass das andere Glas bislang nur halb geleert sei.
Nein, ich verstehe nicht, was sich hier abspielt, woher auch, Jan und Jo treten auf, als wären sie Stammgäste, die täglich am frühen Abend ein opulentes Mahl bestellen, Fischplatte, Seehecht, Zander, die Kellnerin ist direkt und unerklärlich aggressiv.
Hans, der gern seinen anzüglichen Witz über Gisela erzählt, zeigt ein Foto, das er kommentieren solle, es sei für ein Cover vorgesehen, er finde es schlimm; ein Gesicht zu zeigen, das sei nicht eben originell, der Gesichtsausdruck sei verspannt, unansehnlich, er habe das so weitergeleitet.
Beim drei zu zwei wird Jos Stimme laut, es ist spät, wir sind die einzig verbliebenen Gäste. Jo telefoniert, mehr ist nicht zu erfahren, er tritt einige Schritte zurück. Jan hält sich bedeckt, sie sind aufeinander eingespielt wie ein langjähriges Ehepaar. Er werde fahren, wiederholt Jan, die Strecke, antwortet er auf meine Frage, sei kurz. Sekunden vor Schluss fällt das Siegtor für Liverpool, wie gesagt ein Trauma für Dortmund, es liefert Grund, sich um den künftigen Zusammenhalt der Mannschaft zu sorgen.
Jo bricht in Jubel aus, als abgepfiffen wird, er springt und tanzt, er hat sich nicht länger unter Kontrolle, die Lage wird unerfreulich, ich verabschiede mich eilig.