Das Ende in der Altpapiertonne

Comic | ICSE 2016 Spezial: Podiumsdiskussion zum Thema Comic-Sammlungen

Das letzte Hemd hat keine Taschen, weiß ein altes Sprichwort. Irgendwann muss jeder Mensch allen aufgehäuften Besitz loslassen. Was aber, wenn der Besitz ein gewaltiger, vermeintlich wertvoller Berg Comics ist? Wer nimmt die dem Sammler ab und in gute Pflege? Es ist ungewiss, ob er seine Schätze zumindest noch zu Geld machen kann, da nur wenige Comicfans nachrücken. Am Ende eines mühevollen Sammlerlebens steht möglicherweise die Altpapiertonne. Das wäre nicht nur ein individueller, sondern auch ein gesellschaftlicher Verlust, sofern man Comics für ein Kulturgut hält, dessen Erscheinungen und Entwicklungen man vielleicht auch in Jahrzehnten noch nachvollziehen möchte. Mit diesem allmählich drängender werdenden Problem beschäftigte sich eine Podiumsrunde beim Erlanger Comic Salon, und ANDREAS ALT hat zugehört.

comicsalon 2016 SammlungenModerator Eckart Sackmann, ehemaliger Carlsen-Redakteur und engagierter Comicforscher, war in diesem Fall auch Themengeber der Diskussion. Nach seiner Darstellung beginnt eine Generation von Comicsammlern auszusterben. Er befindet sich nach eigener Aussage bereits in Gesprächen mit der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, um Möglichkeiten auszuloten, wie bedeutende Comicsammlungen in ein öffentliches Archiv, eine Bibliothek oder ein Museum übernommen, weiter betreut und wissenschaftlich ausgewertet sowie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten.

Dazu hatte er auch die Leiterin des Buch- und Schriftmuseums der Leipziger Nationalbibliothek, Stephanie Jacobs, auf das Podium geladen. Sie erschien aber ebenso wenig wie Bernd Dolle-Weinkauff vom Institut für Jugendbuchforschung der Uni Frankfurt, wo es bereits eine große Comicsammlung gibt. Salon-Organisator Bodo Birk begnügte sich mit einem Platz im Publikum; er hat sich für ein Deutsches Comic-Zentrum in Erlangen starkgemacht.

Als Diskutanten blieben drei Comicsammler übrig: Heiner Jahncke, Carsten Laqua und Ralf Palandt, die über Besonderheiten ihrer Sammlertätigkeit berichten konnten, aber natürlich keine Lösung für das aufgeworfene Problem zu bieten hatten. Man merkte freilich, dass sie sich darüber schon einige Gedanken gemacht hatten. Jahncke hat sich unter anderem auf Werbecomics spezialisiert und sagte, schon nach fünf bis zehn Jahren bekomme man über solche Publikationen keinerlei Informationen mehr. Palandt sammelt politische Comics aus dem Untergrund, die er der grauen Literatur zurechnet und die bisher überhaupt nicht systematisch aufbewahrt würden.

Sammlungen werden in alle Winde zerstreut

Laqua erlebt immer wieder Situationen, die er als typisch bezeichnet: Ein Sammler stirbt; seine Frau hatte nie so recht Verständnis für seine Leidenschaft, die dazu geführt hat, dass sich in jedem Raum der Wohnung Comics bis zur Decke stapeln, und ist zu keinerlei Unterstützung bei der Bewahrung der Sammlung bereit. Nachkommen wollen die alten Comics womöglich schnell zu Geld machen, lassen kaufkräftige Interessenten die wertvollsten Stücke herauspicken und verscherbeln den Rest oder stampfen ihn ein. So würden langjährig zusammengetragene Sammlungen wieder in alle Winde zerstreut.

Nötig, um so etwas zu verhindern, wäre nach den Worten von Sackmann eine Einrichtung, die Comicsammlungen zunächst auffängt und erhält. Ins Gespräch gebracht wurde eine Stiftung, die Sackmann aber ebenso für zu teuer hält wie die Gründung eines Comiczentrums. Jahnke meinte dazu: »Mir würde ein Archiv reichen.« Aus seiner Sicht müssten dort allerdings Konservatoren und weiteres Fachpersonal, etwa für Ausstellungen vorhanden sein. Sackmann warnte, eine Billiglösung sei nicht machbar. Er schätzte, dass die fachgerechte Erhaltung einer deutschen Comicbibliothek einen achtstelligen Betrag erfordern würde – und viel Platz. Jahnke ergänzte, es gebe geschätzt 80 000 Comictitel; dabei sei jede Zeitungsstripreihe und jede Heftserie nur einmal gezählt.

Wilhelm-Busch-Museum widmet sich nicht vorrangig Comics

Sackmann bevorzugt daher eindeutig die Anbindung einer Comicbibliothek an eine bereits bestehende Einrichtung. Er nannte unter anderem das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover. Busch gilt in Deutschland als »Vater der Comics«. Allerdings liege der Schwerpunkt des Busch-Museums auf Zeichenkunst, nicht auf Comics. Gegen das Frankfurter Institut für Jugendbuchforschung wandte er ein, Comics seien nicht nur Kinder- und Jugendliteratur. Erwähnt wurde auch das Landesmuseum Mainz mit einer großen Comicsammlung. Laqua wies auf ein weiteres Problem hin: Manfred Schmidt, Urheber von ›Nick Knatterton‹, habe dem Busch-Museum 1000 Originalseiten geschenkt. Sie seien einmal ausgestellt worden und dann wohl für immer in den Schubladen verschwunden. Die Kosten des Transports, von Versicherung, Rechten, Restauration und so weiter hielten das Museum von der Beschickung weiterer Ausstellungen ab.

 

 

Laqua sprach sich eher für Privatinitiativen zur Bewahrung von Comicsammlungen aus, schränkte aber ein: »Es gibt wenige Reiche mit Interesse für Comics.« Mit diesem Thema könne man sich in Deutschland generell schlecht profilieren. Damit kam die Diskussion auf die Frage, welchen Anteil das in der breiten Öffentlichkeit immer noch relativ schlechte Image von Comics an der Misere hat. In Ländern, in denen Comics kulturelles Ansehen und hohe Verbreitung haben, gibt es nämlich durchaus Comiczentren: Das französische befindet sich in der Festivalstadt Angouléme, in der Schweiz in Lausanne, in Brüssel gibt es gleich mehrere Comicmuseen, alle jeweils großzügig staatlich gefördert. In den USA, wo Comics nicht unbedingt den besten Ruf haben, ergänzte Laqua, können Comiczeichner immerhin den Wert ihrer Originalzeichnungen von der Steuer absetzen, wenn sie sie öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung stellen.

Die Verlage in die Pflicht nehmen?

Eine Wortmeldung aus dem Publikum forderte, die Comicverlage für die Bewahrung ihrer Veröffentlichungen in die Pflicht zu nehmen. Sie hätten schließlich ein Interesse daran, das Image der Comics zu verbessern. Die Podiumsteilnehmer winkten allerdings ab: Verlage hätten eine völlig andere Sicht- und Handlungsweise. Wichtig für sie seien kommende Veröffentlichungen, nicht die der Vergangenheit. Vielleicht sei das bei engagierten Kleinverlagen wie etwa Reprodukt anders, aber selbst wenn es dort ein gut gepflegtes Archiv geben sollte, sei unsicher, wie es damit weitergehe, wenn Verlagsgründer und -leiter Dirk Rehm einmal ausscheide.

Weitere Stimmen aus dem Publikum warfen andere Aspekte des Themas auf. Ein Bibliothekar sagte, es sei keineswegs so, dass es in Bibliotheken keine Comics gebe. Sammler müssten aber darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Sammlungen dort untergebracht werden könnten. Ein anderer Teilnehmer sprach sich für die Digitalisierung von Comicsammlungen aus. Das könnten die Sammler selbst und schon jetzt erledigen. Diskutiert wurde auch über die Konservierungstechniken Mikrofilm und Mikrofiche. Für viele Sammler wäre es aber wohl ein Problem, wenn ihre Sammelobjekte einst nicht mehr in Papierform vorliegen würden.

| ANDREAS ALT

1 Comment

  1. […] Das Ende in der Altpapiertonne Titel-Kulturmagazin, Andreas Alt Zusammenfassung einer Diskussionsrunde auf dem Comic-Salon Erlangen: Drei Comicsammler diskutierten dort mit Initiator Eckart Sackmann über die Frage, was aus großen Comicsammlungen nach dem Ableben ihrer Besitzer passiert und wie man – mit Unterstützung von Museen, Archiven und Bibliotheken – ein solches kulturelles Erbe für die Nachwelt und die Öffentlichkeit erhalten könnte. […]

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