/

Im Auftrag der »Abteilung«

Roman | Andreas Pflüger: Endgültig

Andreas Pflüger kennt man vor allem als Drehbuchautor. Mehr als zwanzig ARD-Tatorten haben seine Ideen zur Bildschirmpräsenz verholfen. Auch Theaterstücke und Hörspiele stammen aus der Feder des 58-Jährigen. Romane freilich gibt es von ihm bisher nur zwei: Operation Rubikon von 2004 und nun, in diesem Jahr, Endgültig. Das soll sich freilich ändern. Denn die Geschichte um die blinde Ermittlerin Jenny Aaron sei noch lange nicht zu Ende erzählt, bekundet ihr Erfinder im Nachwort zu seinem Roman. Von DIETMAR JACOBSEN

EndgültigEndgültig beginnt in Barcelona. Dort wollen Angehörige einer streng geheimen deutschen Spezialeinheit, einer Art GSG 9 ohne hemmende Zügel und mit der »Lizenz zum Töten«, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn schnell und entschlossen gehandelt werden muss, ein geraubtes Chagall-Gemälde zurückkaufen und dabei den hochintelligenten Gangster Ludger Holm und dessen skrupellosen Bruder Sascha aus dem Verkehr ziehen.

Die Aktion endet allerdings in einem Blutbad. Jenny Aaron, weiblicher Star der sich schlicht »die Abteilung« nennenden Truppe, verliert durch einen Kopfschuss die Sehfähigkeit. Ihren Teamgefährten und Geliebten Niko Kvist hat sie vorher schwerverwundet liegengelassen, ein Trauma, das sie durch die nächsten Jahre begleiten wird, in denen sie sich beim BKA in Wiesbaden eine neue Existenz als Verhörspezialistin aufbaut. Doch dann wird sie plötzlich von ihrer Vergangenheit eingeholt: Im Berliner Gefängnis Tegel ist eine junge Psychologin brutal getötet worden und der Täter, in dessen Gewalt sich Jenny als junge Polizistin für einen Tag befand, will nur mit ihr und niemand anderem sprechen.

Alles beginnt in Barcelona

Andreas Pflügers zweiter Roman rast wie ein Hochgeschwindigkeitszug über seine knapp 450 Seiten. Einmal in Schwung gekommen, ist er nicht mehr zu bremsen. Und das, obwohl seine blinde Heldin aufgrund ihrer Behinderung ja eher allen Grund dazu hätte, sich langsam, vorsichtig und tastend zu bewegen. Aber nichts da: Die Tochter eines hochdekorierten »Mogadischu«-Helden bringt es im Laufe der Handlung nicht nur fertig, zielgenau zu schießen und ihren Gegnern mit Kampfsportattacken mehr als übel zuzusetzen, am Ende steuert sie sogar noch eigenhändig ein immer wieder ausbrechendes Auto über eine vereiste Landstraße, indem sie den kurzen Anweisungen ihres verwundeten Beifahrers aufs Wort nachkommt.

Der Autor hat genau recherchiert, über welch staunenswerte Eigenschaften Blinde verfügen können. Und so lässt er seine Heldin nicht von ungefähr schnipsend und schnalzend ihre Umgebung auskundschaften, Stöckelschuhe dazu benutzen, die Beschaffenheit des Bodens, auf dem sie sich jeweils bewegt, zu erkunden und über Gerüche sich einen Eindruck von der psychischen Disposition ihres jeweiligen Gegenübers zu machen: Wer Angst hat, riecht anders als der, vor dessen unmittelbar bevorstehendem Angriff man sich wappnen muss.

Schnipsen und Schnalzen

Was Jenny Aaron freilich nicht ahnt, ist, dass sie von Beginn ihrer immer gefährlicher werdenden Berlin-Mission an manipuliert wird. Nicht nur der Gefängnismord ist eine raffinierte Falle, aufgestellt, um die blinde junge Frau anzulocken. Auch die von Ludger Holm inszenierte spektakuläre Freipressung seines jüngeren Bruders aus dem Gefängnis stellt nichts dar als ein weiteres Puzzleteil, um eine Rache Gestalt annehmen zu lassen, über deren wahren Grund sich Jenny erst allmählich klar wird.

Endgültig ist ein rasanter Thriller, der seinesgleichen in der deutschen Literatur sucht. Vielleicht ist das, was uns Andreas Pflüger in einer niemals ihre Spannung verlierenden Handlung erzählt, gelegentlich etwas too much. Aber warum sollte man das, was man James Bond ohne Weiteres durchgehen lässt, Jenny Aaron ankreiden wollen?

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Andreas Pflüger: Endgültig
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016
459 Seiten, 19,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

 

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Freundschaft, Freundschaft, über alles?

Nächster Artikel

Blockbuster in Verkleidung

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Vierundachtzig plus vier

Film | Im TV: ›TATORT‹ Schwerelos (WDR), 3. Mai   Wie machen sie das, sofort ist man drin und dabei handelt es sich doch lediglich um die üblichen routinemäßigen Anrufe, das Klingelgeräusch langweilt sonst nur, wie kriegen sie das gebacken. Ach und die Suche nach dem Fallschirm in der stillgelegten Grubenanlage, der Blick aus dieser Höhe macht schwindeln, so liebevoll sind sie um uns bemüht. Von WOLF SENFF

Gestörte Entsorgung

Krimi | Wolf Haas: Müll

Wie der Simon Brenner zu Beginn seines neunten Abenteuers unter die Mistler geraten ist, verschweigt Wolf Haas dem Leser. Der ist allerdings schon dankbar, dass es den Brenner überhaupt noch gibt. Denn geschlagene acht Jahre hat er nichts von sich hören lassen. Und auch sein Erfinder (Jahrgang 1960) hat nur auf der Hälfte dieser Zeitspanne, also 2018, mit dem schmalen, autobiographisch inspirierten Roman Junger Mann darauf aufmerksam gemacht, dass es ihn (als Autor) noch gibt. Doch nun: dank des Zusammenspiels von Pandemie und Platzangst im Homeoffice ein neuer Brenner. Und Mistler oder nicht Mistler: Auf den Inhalt kommt es beim Haas eigentlich sowieso kaum an. Anders als beim Brenner, denn: »Für den Brenner das Inhaltliche eigentlich im Vordergrund.« Von DIETMAR JACOBSEN

Bonnie und Clyde in Südschweden

Roman | Hjorth & Rosenfeldt: Die Früchte, die man erntet

Drei Morde in kurzer Zeit in einer südschwedischen Kleinstadt – das verlangt nach der Anwesenheit der Reichsmordkommission. Die wird inzwischen von Vanja Lithner geleitet. Und weil sich deren Beziehung zum Kriminalpsychologen Sebastian Bergman, ihrem Vater, weitgehend normalisiert hat, wird auch der bald wieder eingespannt, um das Rätsel um den geheimnisvollen, eine Racheliste abarbeitenden Heckenschützen zu lösen. Bergman hat allerdings nach wie vor mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun. Und schließlich ist da auch noch Vanjas Kollege und Freund Billy und dessen Verhältnis zur Gewalt. Genug Konflikte also, damit Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt in ihrem siebten gemeinsamen Kriminalroman erneut 500 Seiten ebenso spannender wie kurzweiliger Unterhaltung abliefern können. Von DIETMAR JACOBSEN

Vier Folgen à neunzig Minuten

Film | Serie | Im TV: Das Verschwinden am 22., 29., 30., 31. (ARD) Der Schluss kommt hammerhart. War das ein Krimi? Schon, gewiss, ja, doch das interessiert weniger. Und nein, eine Schusswaffe taucht nirgendwo auf. Eine vierteilige Serie, jeder Teil hype-mäßig als Doppelfolge angekündigt, also voll das Gewese. Und? Lohnt sich’s? Ja, das würde WOLF SENFF so sagen, doch, unbedingt.

Nairobi 2007: Ein Massai sucht einen Mörder

Krimi | Richard Crompton: Wenn der Mond stirbt Nairobi im Dezember 2007. Vor der anstehenden Präsidentschaftswahl bauen sich die Spannungen zwischen den politischen Lagern und unterschiedlichen Volksgruppen in Kenia immer mehr auf. Ist unter den Rivalisierenden auf den Straßen auch der Mörder einer jungen Frau zu finden, dem der Massai-Ermittler Mollel nachjagt? Richard Cromptons Krimidebüt Wenn der Mond stirbt hat Atmosphäre und ist kenntnisreich und spannend geschrieben. Von DIETMAR JACOBSEN