Kinderbuch | M.G. Leonard: Käferkumpel
Wer in Abenteuergeschichten sechs (oder mehr) Beine hat, hat schlechte Karten. Aufgespießt, zerquetscht, ausgeräuchert werden, ist an der Tagesordnung. In M.G. Leonards turbulenter Geschichte ist das anders. Hier bekommen Käfer eine würdige Rolle als heldenmütige Kumpel der Zweibeiner. Allerdings ist die Autorin in ihrer Begeisterung für Käfer einem Denkfehler erlegen. Von MAGALI HEISSLER
Der zwölfjährige Darkus hat seit dem Tod seiner Mutter eine enge Beziehung zu seinem Vater, einem Wissenschaftler. So verstört es ihn besonders, als sein Vater eine Tages verschwindet. Aus einem verschlossenen Raum!
Mit dem ungelösten Rätsel lebt Darkus, bis sein Onkel Max auftaucht und ihn zu sich nimmt. Darkus kennt seinen Onkel kaum, dieser ist Archäologe und reist in der Welt herum. Die kommenden Wochen zeigen, dass Onkel Max nicht nur ein neu zu entdeckender Verwandter ist, sondern auch, dass der Onkel einiges über die Vergangenheit von Darkus’ Vater weiß, von dem der Junge keine Ahnung hatte. Was Darkus aber am meisten verblüfft, sind die Käfer, die auf einmal überall herumkrabbeln. Einer davon sogar auf ihm. Nach dem ersten Schreck entdeckt er, was alles in einem Käfer steckt. Und bald überschlagen sich die Ereignisse.
Eine Käferjägerin, äußerst seltsame Nachbarn, heruntergekommene Wohnungen, eine schlossähnliche Villa, eine neue Freundin und ein neuer Freund, Sperrmüllhaufen, Geheimgänge, Gentechnik und finsterste Geheimnisse kommen auf das Unheilvollste zusammen. Darkus weiß bald nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Doch die Hilfe krabbelt schon herbei, in Scharen.
Der unwiderstehliche Charme der Klischees
Dieser Debütroman für Kinder ist in mehrerer Hinsicht atemberaubend und das gleich von der ersten Seite an. Darkus ist ein Held, den man umgehend ins Herz schließt. Das Rätsel um das Verschwinden seines Vaters ist wirklich packend. Onkel Max ist wunderbar halb lebenstüchtig, halb lebensuntüchtig. Seine fantastischen Berichte über das Archäologendasein Seemannsgarn bester Qualität. Virginia und Bertolt, die Darkus in der neuen Schule kennenlernt, sind ebenso wunderbar Jung-Amazone und Nerd, wie man sie kennt und liebt. Die seltsamen Nachbarn sind skurril, ekelhaft und gemein, die böse Gegnerin ein Monster mit sehr hohem Gruselfaktor.
Alles, was Kinder, gleich, ob am Lebensalter gemessen oder im tiefsten Herzen, entzückt, wird aufgefahren. Möbelberge, in denen man Höhlen bauen kann, Geheimgänge, Gefangennahmen und haarsträubende Befreiungen, düstere Geheimnisse zuhauf. Es gibt Ekelhaftes, so geschickt gestaltet, dass man noch weiterliest, auch wenn es einer schon den Magen umdreht. Humorvolles, Slapstick, Überdrehtes, Herzergreifendes. Und Explosionen!
In jedem auftretenden Charakter sind die klassischen Typen des Genres sofort erkennbar. Nicht ist neu. Alles, wie es um Buche steht, bis zum i-Tüpfelchen genau.
M.G. Leonard bedient sich der gängigen Klischees mit einer solch offenen Hemmungslosigkeit, einer so überzeugten Dreistigkeit, dass es einen eigenen Charme entwickelt. Der reißt mit, ob Situationen beschreiben werden oder Dialoge wiedergegeben. Leonard schreibt stark vom Visuellen beeinflusst, nicht nur ein Animationsfilm aus dem Haus Disney lässt grüßen. Ihre Inszenierung verrät zudem ihre Liebe zur großen Bühne. Die ganze Geschichte ist knallbunt, leuchtend wie die Flügeldecken ihrer heimlichen Hauptfiguren, der Käfer. Der Wunsch, dem wilden Ablauf des Geschehens zu folgen, sich immer wieder dem Farbenrausch auszusetzen, ist einfach nicht zu unterdrücken.
Leider daneben gegriffen
Die eigentlichen Helden dieses Abenteuers sind die Käfer. M.G. Leonard hat das Thema bewusst gewählt, weil ihr Käfer am Herzen liegen. So ist auch einiges Wissenswertes über die Spezies eingestreut, es gibt einen kleinen Anhang, in dem die Grundbegriffe der Entomologie noch einmal geklärt werden. Vignetten über den Kapitelanfängen zeigen liebevoll verschiedene Käferarten.
Leonards unstreitige Bewunderung für Käfer bringt jedoch eben das Problem in diese eigentlich leichte Kinder-Abenteuergeschichte, das sie scheitern lässt. Die Rolle der Käfer wird auf genau die falsche Art überhöht. Dazu nutzt die Autorin das Motiv Gentechnik. Die bewundernswerten Käfer sind damit keine Tiere mehr, deren Eigenständigkeit ihnen ein Lebensrecht in der Welt gibt. Im Gegenteil sind sie fähig, sich auf einem niedrigen Niveau mit Menschen zu verständigen, in dem sie menschliche Mimik und Gestik nachahmen und menschliche Sprache verstehen können.
Das ist leider nicht lustig und nicht nur wegen der gewohnt hirnlosen Lässigkeit im Umgang mit Gentechnik in der Unterhaltungsliteratur. Vor allem macht es die Käfer im Buch zu braven oder auch drolligen kleinen Gesellen, die sowohl schutzbedürftig sind, als auch unter Einsatz ihres Lebens für die selbsterklärte Krone der Schöpfung kämpfen. Nicht um ihrer selbst Willen werden Käfer in den Vordergrund gerückt, sondern weil sie etwas mitbringen, das Menschen als Wert erkennen. Schönheit, Kraft, fliegen können oder ‚leuchten‘, etwa.
Gleich, ob von den Guten oder den Bösen in dieser wilden Geschichte, werden Käfer mit stark verengtem Blick wahrgenommen, reduziert allein auf menschliche Ansprüche. Was den Käfer am meisten adelt, ist, wenn er sich einen Menschen aussucht, und von da an in einer Art Schutzgeist-Diener-Funktion auf ihm herumkrabbelt. Das Verhältnis Tier-Mensch scheint an dieser mangelhaften Denkweise gemessen rückständig wie eh und je.
So gesehen erstaunt es ab der zweiten Hälfte des Buchs auch nicht mehr, dass den Figuren jedes Mittel erlaubt ist, um zum Ziel zu kommen. Der Unterschied ist eben, dass Gewalt bei den Guten gut und bei den Bösen böse ist. Kennt man. Die Ausrede kennt man auch. Ist doch nur eine Geschichte, knallbunt, schrecklich komisch und völlig überdreht. Das darf man doch nicht ernst nehmen.
Genau.
Was man nicht ernst nimmt, braucht man auch nicht zu lesen.
Titelangaben
M.G. Leonard: Käferkumpel
(Beetle Boy, 2016) Übersetzt von Britt Soman-Jung
Hamburg: Chicken House 2016
335 Seiten, 14,99 Euro
Kinderbuch ab 11 Jahren
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