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Die letzte Rockband – Welcome to the Jungle

Musik | Ottar Gadeholt über die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil II)

Der Beginn von ›Welcome to the Jungle‹ ist zu recht berühmt: der zerhackte Einzelton, der mehrmals wiederholt und dabei stets schwächer wird, wie ein Schritt, der zwischen den Hausmauern hallt; ein neuer Versuch, etwas stärker und sicherer, und daraufhin eine Kaskade fallender Töne, jedoch mit dem ersten Einzelton als Beginn jeder Folge (Laut eines Gitarrenbuchs, das ich mal gekauft habe, werden die Folgen mit einer Echopedale gespielt, wenn man aber ein wenig geübt hat, ist es vollkommen möglich, wenn auch nicht ganz einfach, sie auch ohne zu spielen). Von OTTAR GADEHOLT

Dann knallt es. Eine bluesartige Gitarrenmelodie wird von übersteuerten Akkorden gefolgt, während die erste Melodiefigur, jetzt etwas im Hintergrund, immer kräftiger wird, bis die Gitarrenmelodie zum hämmernden, monumentalen Riff leitet.

Guns n'Roses - Welcome to the Jungle»Welcome to the jungle«, singt Axl Rose mit kreischender Stimme, voller kontrollierter Wut, und bestätigt dem Hörer, dass er an einem Ort ungleich aller anderen gekommen ist, an dem blinkende Blaulichter einen Augenblick lang die umgekippten Mülltonnen beleuchten, die Kotzpfützen und den Junkie, der im Eck liegt mit nacktem Arm. »We’ve got fun and games/ We’ve got ev’rything you want/honey we know your names/we are the people that you’ll find, whatever you may need/if you got no money, honey, we got your disease«: Es ist ein Spaß, über den man nicht lacht, Krankheiten, die man nicht losbekommt, Spiele, die man abbrechen würde, wenn man nur könnte; Genüsse, die du brauchst, aber tunlichst lassen solltest, und wenn du auf das Geschäft eingehst, nimmt man deine Seele im Tausch; »in the jungle, welcome to the jungle, watch it bring you to your …« – und dann dieser Schrei – »shananananananananananana knees, whoa, I’m gonna watch you bleed.« Die Stimme schildert weiter das Leben in diesem Dschungel, ein Versprechen und eine Drohung: » if you want it you’re gonna bleed but that’s the price to pay; you can taste the bright lights but you won’t get there for free, und die drohende, versuchende Forderung: Feel my… my… my serpentine/whoa, I… I wanna hear you scream«; in beiden Bedeutungen des Ausdrucks ein Fick zum Sterben.

Nach einer weiteren Darlegung der Reize dieser Welt, wird die Stimme kurz leiser: »And when you’re high, you never/ever wanna come down/suck down/suck down«, bevor sie in ein Kreischen übergeht, die einem das Blut frieren lässt. Ein Sturm von Lärm und schreienden Gitarren bricht los, eine Kakophonie, die einen an den englischen Begriff für kompletten Chaos erinnert, ein Begriff, der passend genug aus Miltons ›Paradise Lost‹ (auch der Name einer Band) stammt: »Pandemonium«, »pan-demonium«, Stadt der Dämonen, mit pochenden Maschinen, Polizeisirenen und eine verzweifelte, wütende Ekstase. Die Musik wogt hin und her, mit ständig neuen Riffs und Rhythmen, und die Stimme schreit wieder: »You know where you are? You’re in the jungle, baby, you’re gonna diiieeee«, ein unmenschlicher Laut irgendwo zwischen Polizeisirene, Flugalarm und Orgasmus; die Stimme des Dschungels und des Teufels.

Blut und Grütze

Die meisten Heavy-Rock-Bands schildern den Teufel entweder wie in einem Splatter-Film, mit reichlich Blut und Grütze, aber ohne einen tiefer gehenden Effekt, oder, wie in Metallicas ›Master of Puppets‹, wie einen sadistischen Marionettenkünstler; eine Marionette ist aber macht- und willenlos und hat keine Möglichkeit, frei zu werden. Zusätzlich hat man Teufelsfiguren wie in ›Who do you love‹ von Bo Diddley oder ›Sympathy for the devil‹ von und mit The Rolling Stones, in denen der Teufel sich vorstellt und was für einen Höllenkerl er ist. Keiner dieser Songs hat eine Stimme, die verführend genug ist, um den Zuhörer zu überzeugen, sich hinzugeben, und sie verbleiben ziemlich bleich. Die Stimme von ›Welcome to the jungle‹, andererseits, die ganz klar die des Daimon von Los Angeles ist, der Stadt bösen Geistes, lockt ebenso viel, wie sie droht – und der Zuhörer spürt selbst die Anziehung zu den gefährlichen Freuden des Dschungels. Die Verlockung ist dieselbe wie sie Rastignac und Chardon in der menschlichen Komödie von Balzac begegnet, oder Adrian Leverkühn in ›Dr. Faustus‹.

GnR - Appetite for Destruction
Appetite for Destruction – Entwurf des Albumcovers
Es ist eine Versuchung, die seit Jahrhunderten in der Literatur auftritt und die gleichzeitig im Rockmythos selbst implizit ist, ein Ausdruck für den Drang des jungen Menschen zur Selbstüberschreitung, Befreiung und Sex. In der Regel wird aber das erwünschte Erlebnis weit mehr betont als die implizite Gefahr für Untergang und Zerstörung. »Vedi Napoli e poi muori!« , hieß es in Italien, »Siehe Neapel und stirb!«, denn wenn man diese Stadt gesehen hatte, hatte man alles gesehen. »Sehe Los Angeles und stirb!«, sagt Guns N’Roses, denn die Stadt ist ein Dschungel, die dich am Ende in die Knie zwingt. Die Aussage wird noch treffender auf Hispanoitalienisch: »Vedi Los Angeles e muori«, »Sieh die Engel und stirb!«, sowohl, weil man alles gesehen hat, weil man etwas sieht, was nicht für das menschliche Auge gedacht ist, und weil die Stadt dich vernichtet (heutzutage gilt diese letzte Bedeutung auch in Neapel, das ist aber eher eine Sache von Kriminalität als von Hedonismus). ›Ciudad de los Angeles‹ ist gleichzeitig ›Pandemonium‹.

Die Thematik des Songs und ihre Behandlung sind beeindruckend, ›Welcome to the Jungle‹ geht aber weiter, denn indem das Arrangement und der Text sich gegenseitig unterstützen und dabei zur Kehle des Hörers greifen, ist es fast unmöglich, LA nicht SO zu sehen, wie es Axl Rose tut: Dieses schrille, dreckige Bild von einer Höllenstadt fügt sich zu den Beach-Boys- und Eagles-Phantasien, zu, Château Marmont und dem Glamour Hollywoods und wird für den Zuhörer ein untrennbarer Teil seiner Vorstellung von LA. GN’Rs LA-Vision überwältigt den Hörer, bemächtigt sich seiner, und man verspürt einen fast imperialistischen Willen, sich dem Gegenüber zu unterwerfen, ein geistiger »Wille zur Macht«, wenn man so will; derselbe Willen, der es einem unmöglich macht, das echte, historische, postnapoleonische Paris von der aus den Büchern Balzacs zu trennen oder den Josef der Wirklichkeit (oder der Bibel) von dem Thomas Manns.

Es ist sehr interessant, die Unterschiede zu betrachten, wie LA und New York in der Populärmusik dargestellt werden. Obwohl die musikalische Geschichte New Yorks viel weiter zurückgeht als die von LA, und obwohl die Stadt wahrscheinlich insgesamt wichtiger war für die moderne Geschichte der Musik – die Stadt war Entstehungsort des Punks und des Hip-Hop, und durch visionäre Größen wie Jerry Wexler spielte die Stadt eine wesentliche Rolle für Künstler so unterschiedlich wie Bob Dylan, Aretha Franklin und Frank Sinatra – ist die Darstellung von New York überraschend uninteressant. Es ist eine Stadt von Hipster – »white negroes« – von Subkulturen und altem Geld; auf ihre Rolle als Hauptstadt der westlichen Welt ausgesprochen aufmerksam; die Songs über die Stadt begrenzen sich aber, oder deshalb, weitgehend auf romantisierte, schmalzige Huldigungen à la ›New York, New York‹ oder ›New York State of mind‹ (Alicia Keys‘ und Billy Joels Songs sind unterschiedlich, aber mit der gleichen Grundhaltung), deren Botschaft ist, dass New York der beste denkbare Ort sei.

Die zweifache Apokalypse der Stadt Los Angeles

Die Songs über LA sind weitaus komplexer in ihrer Darstellung der Stadt und deren Bedeutung für das Schicksal der respektiven Protagonisten, und zeigt in der Regel die Stadt wie eine Hure Babylons, die versucht und dabei unausweichlich in Verdammnis führt. Als Beispiel kann ›Sin City‹ von den Flying Burrito Brothers dienen: »This old town’s/filled with sin/it will swallow you in/if you’ve got some money to burn und This old earthquake’s gonna leave me in the poorhouse/it seems like this whole town’s insane.« Noch interessanter ist Warren Zevons Desperados under the eaves: »And if California slides into the ocean/like the mystics and statistics say it will.« Zevon formuliert die zweifache Apokalypse der Stadt Los Angeles: Sie ist eine Stadt der biblischen Sünde, und sie liegt direkt auf der San-Andreas-Verwerfung; irgendwann wird ein Erdbeben die Stadt vernichten, ob es nun durch die Tektonik oder durch den wütenden Herrgott hervorgerufen wird. Jeder Bewohner der Stadt weiß, dass er abhauen sollte, er kann aber nicht. Wie es im LA-Song schlechthin, ›Hotel California‹ von den Eagles, heisst: »Last thing I remember, I was/Running for the door/I had to find the passage back/To the place I was before/ ›Relax!‹, said the night man,/ ›We are programmed to receive./You can check-out any time you like,But you can never leave.‹«

Los Angeles - Abb Ron Reiring
Los Angeles
Abb: Ron Reiring
Wie ›Welcome to the Jungle‹, ›Sin City‹ oder ›Desperados under the eaves‹ spielt sich die Handlung der anderen Songs auf ›Appetite for Destruction‹ auch in Los Angeles ab, in dem sonnigen Paradies, das auch das Universum von Poison und Mötley Crüe ausmacht; der Blickwinkel von Guns N’Roses ist jedoch fundamental unterschiedlich: Zwar hat das Album einen Song, der das Thema »Party« behandelt, statt aber Weiber und Sonne zu besingen, huldigt ›Night Train‹ den gleichnamigen Wein, der, als billigstes zugängliches Rauschmittel – die Qualität ist vermutlich dementsprechend – für die Band die erste Wahl zum Saufen war. Es gibt keine Romantisierung im Refrain: »I’m on the nighttrain, bottom’s up/I’m on the nighttrain, fill my cup/I’m on the nighttrain, ready to crash and burn, I’ll never learn.« Der Rest der Songs handeln entweder von konkreten Personen (›My Michelle‹, ›Sweet Child o’mine‹, ›Rocket Queen‹) oder um die Erlebnisse eines Ich-Erzählers, sei es mit der Polizei (›Out ta get me‹), mit Heroin (›Mr. Brownstone‹) oder mit derselben Brut von Groupies und Pflegerinnen, die sie gefüttert haben, einen geblasen haben und dafür gesorgt haben, dass sie an Drogen kommen (›It’s so easy‹).

Das Verhältnis zwischen Guns und den anderen Haarmetalbands wirkt wie die Beziehung zwischen der dreckigen Wirklichkeit, wie sie von einem scharfäugigen Betrachter gesehen wird, und einem retouchierten Glanzbild präsentiert von einer zynischen Aktiengesellschaft. Beide sind gottlos und verdorben, jedoch auf sehr unterschiedlicher Art und Weise. Um den Reiz von Guns N’Roses vollständig zu erfassen, reicht es jedoch nicht, den Topos und die Oberfläche zu betrachten; man muss tiefer gehen, hinein in den Mythos.

In der nächsten Woche folgt an dieser Stelle Teil III unserer Betrachtungen zu Guns N’Roses. Darin widmet sich Ottar Gadeholt dem Bild, das die Medien von der Band zeichneten und taucht ein in die Welt der Mythen, die Guns N’Roses umgibt.

| OTTAR GADEHOLT

Reinschauen
| Die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil I)
| Die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil II)
| Die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil III)
| Die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil IV)
| Die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil V)

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