Comic | Paco Roca: La Casa
Der spanische Comic-Künstler Paco Roca legt mit ›La Casa‹ sein bislang persönlichstes Werk vor. Es lässt drei Geschwister nach dem Tod ihres Vaters im gemeinsamen Elternhaus zusammenkommen. Und hilft ihnen auf diese Weise, die verzahnten Verhältnisse ihrer Familienbande zu rekapitulieren – was einen auch selbst in Beschlag nimmt. Von CHRISTIAN NEUBERT
Das eigene Elternhaus ist mehr als das sprichwörtliche Dach überm Kopf. Vielmehr ist es ein Hort von Erinnerungen. Schöner, trauriger, unvergesslicher, lange verdrängter. Alles an ihm ist belebt und beseelt. Auch wenn es kein physisches Leben mehr birgt, niemandes Heimat mehr ist. So wie eben ›La Casa‹, das Haus in Paco Rocas gleichnamigen Comic.
›La Casa‹ war einst das Lebensziel eines Vaters, zumindest eines seiner Lebensziele. Es sollte das gemeinsame Zentrum seiner Familie sein, der Dreh- und Angelpunkt eines gemeinsamen Zusammenseins. Unter der selbstgebauten Pergola haben sie zu Abend gegessen. Er, seine Frau und seine drei Kinder, zwei Söhne, eine Tochter. Zumindest war das seine Vision. Seine Wunschvorstellung vom Ausklingen eines erfüllten Lebens.
Das Haus als Zentrum der Familie
Nun aber ist das Haus im Verfall begriffen, sein Garten schon lange vernachlässigt. Der Vater, der es bewohnte, ist tot. Mit der Folge, dass das Haus, die einstige Oase und Sinnbild eins fragilen Idylls, zur Handelsware wird. Denn die Kinder, allesamt längst »aus dem Haus«, wie es so treffend heißt, wollen es verkaufen. Nach und nach versammeln sie sich mit ihren Partnern bzw. mit ihrer eigenen Familie in ›La Casa‹, um es gewinnbringend herzurichten.
Während sie es nacheinander begehen bzw. sich gemeinsam an die Arbeit machen, kommen ihnen unweigerlich Erinnerungen ins Gedächtnis zurück. Die Eindrücke divergieren dabei. Jeder hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht, jeder seine eigene individuelle Beziehung zum Vater gehabt, jeder stößt auf andere, vordergründig belanglose Gegenstände, die ihn denken lassen. Die Arbeit am Familienhaus wird da unweigerlich zur Aufarbeitung der eigenen Lebensläufe. Indem ein Nachbar, der gut mit dem Vater befreundet war, den Geschwistern bei der Renovierungsarbeit zur Hand geht, erhellt das einige dunkle Flecken der gemeinsamen Chronik. Die unbeabsichtigte, aber unweigerliche Erinnerungsarbeit hilft den jungen Leuten schließlich, einzelne Aspekte ihrer Vergangenheit und nach wie vor schwelende Konflikte zu relativieren, neu zu betrachten und richtigzustellen.
Das Haus als Tür in die Vergangenheit
Der spanische Autorenzeichner Paco Roca hat ein Händchen für Stoffe, die einen mitfühlen lassen, ohne gefühlsduselig zu sein. Große Aufmerksamkeit wurde ihm hierzulande während der Frankfurter Buchmesse 2013 zuteil, wo er die deutsche Ausgabe seines Werks ›Kopf in den Wolken‹ vorstellte. ›La Casa‹ ist seine bisher persönlichste Comic-Erzählung. Sie versucht, dem Verhältnis zu seinem verstorbenen Vater auf die Schliche zu kommen. Zugleich liest sie sich aber sehr universell. Der querformatige Band betrachtet Familienbande mit kaleidoskopischer Gleichzeitigkeit, die Freude und Trauer zusammenkommen lässt. Der sensible, nostalgische Blick zurück wird feinsinnig mit dem Hier und Jetzt konterkariert, Gedankenfetzen mit existenzialistischen und übergeordneten Bedeutungen aufgeladen.
Die Konturen verschwimmen dabei ganz wörtlich. Die detaillierten, fast monochrom scheinenden Bildkompositionen und Seitenarrangements erhalten von Roca jeweils eigene Farbgebungen – je nachdem, ob gerade gewerkelt, in Erinnerungen geschwelgt wird oder ein Perspektivwechsel stattfindet. Dass ein melancholischer Schleier über allem liegt, ist dabei nicht nur dem zugrunde liegenden Thema geschuldet. Er rührt auch daher, dass man als Leser nicht umhin kommt, selbst das Verhältnis zu seiner Familie zu rekapitulieren. Wie Roca das gelingt? Indem er sich die Zeit nimmt, Herz und Hirn gleichermaßen tief und präzise blicken zu lassen.
Titelangaben
Paco Roca: La Casa
Aus dem Spanischen von André Höchemer
Berlin: Reprodukt 2016
128 Seiten. 20 Euro
Reinschauen
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