Ein zurückhaltender Corben

Comic | Edgar Allan Poe / Richard Corben: Geister der Toten

Der namhafte amerikanische Comickünstler Richard Corben hat sich erneut der Bearbeitung von Poe-Stoffen zugewandt. 14 Comics erscheinen in Deutschland in einem schönen Sammelband, »Geister der Toten«. ANDREAS ALT hat sich das Werk angesehen.

Poe Corben Geister-der-TotenEin Comicband, der gleich mit zwei Markennamen hausieren gehen kann: Edgar Allan Poe, der klassische Gruselmeister, und Richard Corben, der kultige amerikanische Undergroundkünstler, der später mit seinen Veröffentlichungen in ›Schwermetall‹ (zum Beispiel ›Bloodstar‹, ›Den‹ oder ›Mutant World‹) weithin bekannt wurde. Etliche Comicfans dürften unbesehen zugreifen, wenn ein Corben-Band auf den Markt kommt. Es gibt auch bereits Poe-Bearbeitungen von ihm, die zu den Höhepunkten seines Werks zählen: etwa ›Der Rabe‹ oder ›Das ovale Porträt‹. Corben schuf sie in den 1970er Jahren für den US-Verlag Warren.

Und doch dürfte ›Geister der Toten‹ kein Selbstläufer sein. Hier liegt kein »Best of« des Poe-Horrors vor. Das berühmte Gedicht ›Der Rabe‹ adaptiert Corben hier zwar zum zweiten Mal, und auch namhafte Storys wie ›Der Untergang des Hauses Usher‹ oder ›Die Maske des roten Todes‹ sind vertreten. Aber Corben nimmt sich die Freiheit, auch wenig Bekanntes von Poe auszuwählen, darunter Gedichte, die überwiegend zu seinem Frühwerk zählen und nicht unbedingt einen leichten Zugang bieten.

Lyrik und Prosa werden ohne Unterschied verarbeitet

Auch die bekannte Kriminalgeschichte ›Der Doppelmord in der Rue Morgue‹, die zum Vorbild für das ganze Krimigenre wurde, ist vertreten. Corben macht zwischen Lyrik und Prosa keinen Unterschied – seinen Comics ist nicht anzusehen, worum es sich bei der jeweiligen Vorlage handelt. Etwas irritierend erscheint, dass das titelgebende Gedicht ›Geister der Toten‹, das Poe 1827 im Alter von 18 Jahren schrieb, nicht als Corben-Comic auftaucht, sondern im Original (genauer gesagt in deutscher Übersetzung) abgedruckt ist.

Der Comicfan erwirbt mit dem Band also nicht mehr von dem, was er aus dem alten Poe-Band aus dem Volksverlag bereits kennt – was nicht schlecht sein muss. Wer vermutet, dass der Verlag vielleicht eher auf Neuleser abzielt, könnte aber auch auf der falschen Spur sein. Außer einem Verzeichnis seiner auf Deutsch erschienenen Werke ist über Richard Corben nichts zu erfahren, was aber für diese Klientel durchaus wünschenswert wäre. Auf der Website comicsalternative.com hat der Künstler selbst in einem Interview zu seinen neuen Poe-Adaptionen ausführlich Auskunft gegeben – meines Wissens gibt es keine deutsche Übersetzung.

All das bedeutet nun nicht, dass dieses Buch mängelbehaftet oder misslungen wäre. In ihm sind Comics gesammelt, die zwischen 2012 und 2014 in der US-Heftreihe ›Dark Horse presents‹ erschienen sind. Die Cover sind im Anhang abgebildet. Die Comics gehören stilistisch eng zusammen und verdienen eine gediegene Veröffentlichung, wie sie hier geboten wird. Corben verzichtet im Gegensatz zu seinen alten, im Warren-Magazin ›Creepy‹ erschienenen, Poe-Comics auf allzu grelle Effekte. Ebenso verzichtet er auf seine einzigartige Spritztechnik bei der Farbgebung, die einst die groteske Wirkung hervorrief, dass seine Figuren oft unförmig und doch stets hyperrealistisch wirkten. Beim Kolorieren ließ er sich hier von seiner Frau, Beth Corben Reed, helfen.

Corben zeichnet bedächtiger, bleibt aber typisch Corben

Corben bleibt wiedererkennbar: Wenn es darauf ankommt, zeigt er vermodernde Leichen oder schreckliche Monster in allen Details. Aber er setzt eher auf die retardierenden Momente im Poe-Horror, um dann den Leser umso mehr erschrecken zu lassen. Mit heute üblichen und überall abrufbaren Splatter-Effekten kann er letzlich nicht mehr mithalten – muss es aber auch nicht.

Schwarze Tusche, die in seiner hyperrealistischen Phase in seinen Bildern kaum noch vorkam, wird hier wieder reichlich verwendet – letztlich ist das eine Rückwendung zu seiner Underground-Zeit. Typisch Corben bleiben die kantigen, sehr ausdrucksvollen Gesichter, die üppigen Frauen, die raffinierten Licht-Schatten-Effekte trotz leuchtender Farbigkeit. Man muss sich freilich auf diese Darstellungsweise einlassen, sie eine Weile auf sich wirken lassen. Ob Corben besser oder schlechter ist als in seiner Hochphase in den 1970ern, ist eine Geschmacksfrage. Mir gefällt sein Artwork in ›Geister der Toten‹ ausnehmend gut.

Poe Corben Geister-der-TotenDas Buch ist also durchaus geeignet, neue Corben-Fans zu gewinnen. Ob die alten sich für seine Zeichnungen begeistern können, ist etwas zweifelhaft, aber nicht ausgeschlossen. Vielleicht gewinnt man beim Lesen aber auch einen neuen Blick auf Edgar Allan Poe. Ihm ist bereits in den Horrorfilmen von ›Universal‹ (1930er und 40er Jahre) und ›Hammer‹ (1950er und 60er Jahre) recht übel mitgespielt worden, denn die gingen mit seinen Vorlagen ziemlich frei um.

Auch wer Poe nur durch ältere Horrorcomics wie etwa die von Corben kennt, hat eine verzerrte Sicht auf den Autor. Vor allem gerät leicht aus dem Blick, dass er nicht nur Gruseliges geschrieben hat. Der Band bringt natürlich keinen repräsentativen Querschnitt durch sein Werk, aber macht sehr wohl deutlich, dass Poe zu allererst Romantiker war, darüber hinaus ein wichtiger Wegbereiter der Moderne und innovativer Genre-Schöpfer (Abenteuerliteratur, Krimi, Science Fiction).

| ANDREAS ALT

Titelangaben
Edgar Allan Poe / Richard Corben: Geister der Toten
Bielefeld: Splitter Verlag 2015
212 Seiten, 29,80 Euro

Reinschauen
| Das Corben-Interview auf Comicsalternative

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