/

Am Ende gibt es nur den Sturz

Menschen | zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Martin Walser am 24. März

»Es gibt keine Stelle, wo Jungsein an Altsein rührt oder in Altsein übergeht. Es gibt nur den Sturz.« Diese aphoristisch zugespitzte, ernüchternde Lebensbilanz zog Martin Walser in seinem 2016 erschienenen Roman ›Ein sterbender Mann‹, der ebenso wie sein im Januar erschienenes Werk ›Statt etwas oder Der letzte Rank‹ als künstlerische Gratwanderung zwischen Erzählung, Philosophie, Autobiografie und selbstironischem literarischen Verwirrspiel daher kommt. Dem traditionellen Erzählen hat Walser den Rücken gekehrt. Seine Sprache ist seitdem noch klarer und präziser geworden. Von PETER MOHR

Elke Wetzig (Elya), Martin Walser 2010 4598, CC BY-SA 3.0
Elke Wetzig (Elya), Martin Walser 2010 4598, CC BY-SA 3.0
Es ist absolut bewundernswert, mit welch einer Ausdauer und Energie Martin Walser immer noch in beinahe regelmäßigen Intervallen und auf nicht absinkendem Niveau publiziert. Ein neues Buch befindet sich bereits in Arbeit.

Dabei ist Martin Walser mehr als nur einer der wichtigsten deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller. Er hat stets auch mit großer Leidenschaft an öffentlichen Debatten teilgenommen. Daher scheiden sich die kritischen Geister nicht nur an seinen Romanen, sondern auch an seinen politischen Statements.

Vor allem seine Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels spaltete 1998 das Lager der Intellektuellen. Ähnlich wortgewaltig war die öffentliche Debatte über seinen 2001 erschienenen (völlig misslungenen) Roman ›Tod eines Kritikers‹. Die FAZ hatte vier Wochen vor dem Erscheinen des Buches eine hitzige Diskussion ausgelöst, weil sie in der Hauptfigur (nicht zu Unrecht) frappierende Ähnlichkeiten mit Marcel Reich-Ranicki ausgemacht hatte. Es war einer der schwächsten Walser-Romane, und es roch aus den Buchseiten stark nach einem Rachefeldzug des Autors Walser, der sich vom Frankfurter »Kritikerpapst« Reich-Ranicki stets ungerecht behandelt fühlte. Nicht minder medienträchtig war Walsers Verlagswechsel. Nach über 40 Jahren verabschiedete er sich 2004 vom Suhrkamp Verlag, seitdem erscheinen seine Werke bei Rowohlt.

Martin Walser ist nie ein Schriftsteller des Elfenbeinturms gewesen, ganz im Gegenteil: Er ist ein omnipräsenter »Einmischer«, mal Querdenker, mal die Stimme des »gesunden Volksempfindens«. So bekannte er in einem Interview, dass er nicht aufhören könne, zu fragen, wie die Attentate des 11. September 2001 zustande gekommen seien, und dass »unser aller Begriffe von gut und böse« ins Wanken geraten sind.

Mehr als vier Jahrzehnte widmete sich Walser den gescheiterten Existenzen des Mittelstandes, die mit ihrem »Schöpfer« gealtert sind – durchaus vergleichbar mit John Updikes ›Rabbit‹-Romanen. Von den ›Ehen in Philippsburg‹ (1955) lässt sich eine verbindende Klammer bis hin zu ›Finks Krieg‹ (1996) setzen. Die Figuren ähneln einander (einige hat Walser nach mehrjährigen Pausen wiederbelebt – so z.B. Helmut Halm und Gottlieb Zürn) in ihrer Antriebslosigkeit, in ihrer Lethargie und ihrem Mittelmaß. Ihr Handeln ist aufs Reagieren reduziert; erst mit Stefan Fink hat Martin Walser einen aktiven, einen agierenden Protagonisten ins Leben gerufen.

Trotz zum Teil heftiger Anfeindungen hat Walser äußerst selbstbewusst lange an seinem erzählerischen Mittelstands-Panorama festgehalten. Selbstbewusst scheint er schon immer gewesen zu sein. Als er 1951 die Tagung der legendären Gruppe 47 als junger Rundfunkjournalist besuchte, antwortete er auf Hans Werner Richters Frage »Wie läuft’s?« mit den Worten: »Technisch einwandfrei, aber was da gelesen wird, kann ich besser.« Zwei Jahre später gehörte Walser selbst zum »erlauchten Kreis« und wurde 1955 für seine ersten Erzählungen ›Ein Flugzeug über dem Haus‹ mit dem Preis der »Elite-Gruppe« ausgezeichnet. Danach ging es literarisch rapide bergauf.

Dabei hatte Martin Walser, der am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren wurde, alles andere als gute Voraussetzungen, um eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Seine Eltern schlugen sich mehr schlecht als recht mit einer Gaststätte und einem Kohlenhandel durch. Nach dem Krieg, den er ab 1943 als Flakhelfer aktiv miterlebte (diese Erfahrungen flossen in den Roman ›Ein springender Brunnen‹ ein), musste er gleichzeitig seiner Mutter helfen (der Vater war bereits 1938 gestorben) und sich um seine Ausbildung sorgen. Dennoch schloss er gerade 24-jährig sein Studium mit einer Promotion über Franz Kafka ab. Mit Gedanken über Kafka leitete Walser auch seinen zum 85. Geburtstag erschienenen philosophisch-literarischen Essay ›Über Rechtfertigung, eine Versuchung‹ ein.

Viele Romananfänge Walsers zeigen auch eine starke Affinität zum großen Prager Dichter und dessen Protagonisten Gregor Samsa aus der ›Verwandlung‹. Die Schlafenden haben es Walser angetan: »Als Franz Horn aufwachte« (›Jenseits der Liebe‹ 1976); »Xaver griff nach dem leisen, unerträglichen Weckergeräusch« (›Seelenarbeit‹, 1979); »Als Gottlieb Zürn aufwachte« (›Das Schwanenhaus‹, 1980).
In jüngster Vergangenheit lief der in Überlingen am Bodensee und in München lebende Autor noch einmal zur literarischen Höchstform auf – beginnend mit den aphoristisch zugespitzten Texten der Sammlung ›Meßmers Reisen‹ (2003) über den ›Augenblick der Liebe‹ (2004) und seinen letzten großen »Erzähl«-Roman ›Muttersohn‹ (2011) bis hin zum ›Sterbenden Mann‹ (2016) und ›Statt etwas oder Der letzte Rank‹ (2017). Bücher voller Lebensweisheit, in denen sich Walser (mal ironisch, mal bitter-ernst) mit den Problemen des Älterwerdens auseinandersetzte.

Und in den letzten Jahren konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, dass es mit Martin Walser ähnlich ist, wie mit einem guten Rotwein: Je älter, desto besser.

| PETER MOHR

Lesetipp
Martin Walser: Statt etwas oder Der letzte Rank
Reinbek: Rowohlt Verlag 2017
171 Seiten, 16,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reisnchauen
Statt etwas oder Der letzte Rank – Rezension in TITEL kulturmagazin

Titelbild
| Elke Wetzig (Elya), Martin Walser 2010 4598, CC BY-SA 3.0 (cropped)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Folkdays… ›50 Song Memoir‹

Nächster Artikel

Heldinnen im Nebel

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

»Die Federn des Carl Barks«

Comic | ›Disney‹-Zeichner Ulrich Schröder im Interview 17 Jahre lang hat Ulrich Schröder als Art Direcor für ›Disney‹ gearbeitet. Dabei hat er nie eine Zeichenausbildung absolviert – und seine Liebe zu Comics entsprang einem Unfall. Parallel zur Veröffentlichung des deutschen ›Micky Maus Magazins 7/8 2017‹, für das er das Covermotiv beisteuert, sind seine Werke in Würzburg zu sehen. CHRISTIAN NEUBERT traf Ulrich Schröder zum Interview.

Moralische Instanzg

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers György Konrád »Für viele ist er eine moralische Instanz geworden, ein außergewöhnlicher Mensch, dessen warmherziges, mitfühlendes Wesen und dessen Menschlichkeit sich spontan mitteilen. Die Literatur ist für ihn ein Medium, um Völker und Zivilisationen einander näherzubringen«, hieß es 2001 über den ungarischen Schriftsteller György Konrád in der Laudatio zur Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen. Von PETER MOHR

Kleiner Mann, ganz groß

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Oscar-Preisträgers Dustin Hoffman »Der Erfolg versaut dich. Es gibt kein Entrinnen: Du wirst unweigerlich korrumpiert. Wenn man einmal vom Ruhm gekostet hat, dann will man immer mehr davon. Wir alle wollen geliebt werden – und dafür zahlen wir einen Preis: Wir beginnen, Kompromisse einzugehen«, hatte der Schauspieler Dustin Hoffman 2013 rückblickend in einem Interview erklärt. Ein Porträt von PETER MOHR

Mozart der Poesie

Menschen | 100. Geburtstag von Wisława Szymborska

Als das Stockholmer Nobelpreiskomitee im Oktober 1996 seine Entscheidung zugunsten von Wisława Szymborska bekannt gab und sie als »Mozart der Poesie« rühmte, hielt sich die Lyrikerin gerade in einem Erholungsheim für polnische Autoren in Zakopane auf. Szymborska zeigte sich überrascht über die ihr zugesprochene bedeutendste Auszeichnung in der literarischen Welt: »Ich freue mich enorm, bin aber gleichzeitig erschrocken. Es ist auch eine hohe Auszeichnung für die ganze polnische Poesie.« Nach Henryk Sienkiewicz (1905), Wladyslaw Reymont (1924) und Czeslaw Milosz (1980) ging der Nobelpreis 1996 erst zum vierten Mal nach Polen. Von PETER MOHR

Chronist des alltäglichen Wahnsinns

Menschen | Zum Tod des Georg-Büchner-Preisträgers Wilhelm Genazino    Er war ein stilistisch hochbegabter Außenseiter, der erst spät den Durchbruch geschafft hat. Wilhelm Genazino hat die melancholischen, zum Selbstmitleid neigenden Flaneure in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur salonfähig gemacht. Immer etwas neurotisch, dem Wahnsinn nahe, aber höchst empfindsam, so schickte er seine zumeist ziemlich biederen Alltags-Protagonisten durch seine leicht elegischen Romane. Von PETER MOHR