Kinderbuch | Rafik Schami: Der Wunderkasten
In den letzten Jahren hat sich unter den Bilderbüchern ein neuer Schwerpunkt herausgebildet: ausnehmend künstlerisch gestaltete. Diese Bücher sind nicht für Kinderhände allein gedacht, sondern laden zum gemeinsamen Betrachten oder auch zum Sammeln ein. Die Neuausgabe einer älteren Geschichte von Rafik Schami ist eine solche künstlerische Veredelung. Von MAGALI HEISSLER
Die schönsten Geschichten sind Liebesgeschichten und eine ihrer vielen Varianten wird in diesem Band erzählt. Ein junges Paar muss viele, viele Hindernisse überwinden, um zusammenzukommen. Die Geschichte erzählt ein Berufserzähler. Er spricht jedoch nicht nur, sondern führt das Geschehen auch mit Bildern vor. Das raffinierte daran ist, dass man dazu in einen Kasten schauen muss.
Schon an dieser Stelle entwickelt sich eine Geschichte neben der Liebesgeschichte voller Wunder und Abenteuer, eine Alltagsgeschichte. Aber auch sie erzählt von Hindernissen, von Gefahren und wie man sie überwindet. Die Lehre daraus mag man durchaus als dritte Geschichte auffassen. Erzählerisch geht es hier komplex zu.
Das allzu vertraute Fremde
Das Ganze spielt in einer arabischen Stadt, sie bleibt namenlos. Sie steht laut Bekunden des Autors für eine fremde Kultur. Allerdings stammen nur die Details aus einer »orientalischen« Welt, eher einem Bühnenbild ähnlich. Die Figuren wie der Ablauf der Ereignisse sind weltweit bekannt. Die Kernaussage, dass Liebende sich nicht beirren lassen sollen, ebenfalls. Fremdheit kommt beim Lesen nicht auf, weil das Geschehen in einem anderen Land spielt, sondern weil die Rahmenhandlung sich auf eine Vergangenheit bezieht, die für junge Menschen so fern ist wie das Mittelalter, obwohl sie so lange gar nicht zurückliegt.
Fremd, weil unbekannt, auch die Vorführtechnik, alles andere als fremd das durchtriebene Verkaufsgeschick des Erzählers. Insgesamt geht es eher um Nostalgie bis hin zur Sentimentalität und weniger um einen Blick auf Fremdes.
Interessant ist die Entwicklung, die das Geschichtenerzählen über die Jahre nimmt. An dieser Stelle scheint ein interessantes Thema auf, nämlich die Wirkung von Worten im Unterschied zur Wirkung von Bildern. Das gibt diesem Buch einen besonderen Wert und tatsächlich einen modernen Ansatz. Richtig durchgeführt wird das leider nicht, es bleibt beim Ansatz.
Die Liebesgeschichte dagegen macht keine echte Wandlung nicht durch. Es bleibt bei der herkömmlichen Setzung. Der junge Mann abenteuert liebestoll durch die Welt, während die Geliebte zu Hause sitzt und seiner harrt. Nicht nur liefert das eine untätige Frauenfigur, sondern zudem eine unkritische. Wer ist heldenhaft, einer, der sich kreuzbrav herumschicken lässt oder einer, der fragt, ob das, was andere von ihm verlangen, überhaupt sinnvoll ist?
Bilderteppiche
Ausgestattet ist dieses Buch geradezu königlich. Ein roter Leineneinband mit farbigem Bildeinsatz, wobei das Bild nicht geschickter hätte ausgesucht werden können, lässt eine nicht nur aufmerksam werden, sondern öffnet auch gleich das Liebhaberinnenherz. Ein prächtiger Vorsatz, der gleichermaßen an Mosaiken wie an ein besonderes Geschenkpapier erinnern, betonen darüber hinaus, dass es sich um eine Kostbarkeit handelt.
Die Illustrationen des Liebesmärchens wie des Alltags sind ähnlich gestaltet, was den häufigen Wechsel von der einen in die andere Welt fast unmerklich geschehen lässt. Insgesamt wirkt trotz verschwenderischen Einsatzes von Rottönen eine zarte Einfärbung vor mit viel Aufmerksamkeit für Abstufungen bis in feinste Töne. Die Märchengeschichte ist dabei zarter, die Alltagsgeschichte kräftiger gefärbt. Grell ist nichts, noch in der größten Buntheit wird man nicht erschlagen, sondern eingeladen, dem Dargebotenen zu folgen, den Figuren ebenso wie den reichen Mustern.
Viele Märchenbilder sind gestaltet wie Illustrationen aus altehrwürdigen Prunkhandschriften, ihre Rahmen erinnern an erlesene handgeknüpfte Teppiche. In den Alltagsbildern werden die Figuren oft karikaturenhaft überzogen, aber das bleibt immer nahe dem Ton, den auch die Erzählung anschlägt. Grundsätzlich folgen die Bilder genau dem Text, die zahlreichen Details statten ihn eher aus, als dass sie etwas hinzufügen würden. Wer gerne schaut, wird hier sehr glücklich.
Insgesamt eine sehr nostalgische Geschichte, ein bisschen pfiffig-verschmitzt, aber zur Sentimentalität neigend, wird sie vor allem durch die Ausstattung und die reichen Illustrationen zu einem Liebhaberinnenstück.
Titelangaben
Rafik Schami: Der Wunderkasten
Mit Bildern von Peter Knorr
Gräfelfing: Edition Bracklo 2017
52 Seiten. 29,80 Euro
Bilderbuch ab 6 Jahren
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