Blinder Aktionismus – und die Folgen

Jugendbuch | Robin Stevenson: Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete

Betrachtet man die Welt, kann einer schon angst und bange werden. Boden, Meer, Wälder, Flüsse, Tiere und auch noch die Politik, alles scheint im Untergang begriffen. Dagegen muss etwas getan werden, jetzt und auf der Stelle! Die Folgen von blindem Aktionismus sind jedoch nie die, die man erwartet hat. Robin Stevenson zeigt schmerzhaft deutlich, wie und warum das so ist. Von MAGALI HEISSLER

Robin Stevenson Der Sommer, in dem ich die Bienen retteteWolf liebt seine Mutter sehr. Jade ist engagierte Umweltaktivistin. Seit er denken kann, verfolgte sie irgendein Projekt zur Weltverbesserung. Wolf hat unter einfachsten Bedingungen an abgelegenen Orten so glücklich gelebt wie in der Stadt. Er liebt auch seine Geschwister, die fünfjährigen Zwillinge Saffron und Whisper und die siebzehnjährige Stiefschwester Violet. Jades zweiten Mann, Curtis, findet er auch in Ordnung. Als aber Jade wieder einmal alles aufgeben will, dieses Mal um mitsamt Familie auf einer Fahrt durch Kanada andere zu überzeugen, dass sie gegen das weltweite Bienensterben aktiv werden müssen, findet Wolf den Plan nicht in Ordnung.

Das bringt ihn durcheinander. Wie kann er das behagliche Leben vorziehen, wenn es gilt, die Welt zu retten? Jade hat doch recht, wenn sie sagt, dass die Menschen verhungern werden, wenn es keine Bienen mehr gibt. Man muss sich zurücknehmen und das große Ganze sehen. Über sich hinauswachsen, Opfer bringen.
Wolf ist jedoch alles andere als sicher, was hier geopfert werden soll und wofür. Die Reise bringt schnell an den Tag, dass auch innerhalb der Familie Konflikte brodeln. Wie findet man heraus, was richtig ist und was falsch, wenn es um die Menschheit geht? Oder geht es überhaupt nicht darum?

Egoismus, Loyalitäten und die Suche nach dem Guten

Wolf ist Augenzeuge und Berichterstatter sowohl der Geschehnisse um ihn herum als auch seines verwickelten Seelenzustands. Intelligent, ein bisschen rundlich, freundlich und offen anderen gegenüber entpuppt sich Wolf bald als ein Junge, der enorme Liebesfähigkeit besitzt und damit fast scheitert. Er will allen Gerechtigkeit widerfahren lassen und muss entdecken, dass das nicht geht.

Es kommt nicht häufig vor, dass man ihn Jugendbüchern einer derart komplexen Figur begegnet. Wolf und damit die Leserinnen treffen auf eine Welt, in der sich vielschichtige Gefühle, Vorstellungen und Ansprüche kreuzen. Stevenson lässt wenig aus dabei.

Sie stellt ihre Fragen danach, was wichtig ist, sehr klar und verwässert ihre zahlreichen Antworten nicht ein einziges Mal. Ihr Held muss sich durch einen Dschungel von Loyalitäten schlagen, nicht zuletzt der Loyalität zu sich selbst. Den anderen Figuren geht es nicht besser. Die einzelnen Charaktere sind so facettenreich, dass man jederzeit aufs Neue von ihnen überrascht wird. Jede und jeder versucht, sich treu zu bleiben, von der frisch verliebten Violet bis zur Fünfjährigen, die vor lauter Ängsten aufhört zu sprechen. Whispers Verstummen ist dabei ebenso vielsagend wie die wütenden Reden Violets, die Verteidigungen Wolfs und der wortreiche Enthusiasmus von Jade, eine ganz besondere Leistung. Die Spannung steigt wie in einem Abenteuerroman von Kapitel zu Kapitel und wie in einem Abenteuerroman fragt man sich bald, ob die Welt überhaupt noch gerettet werden kann. Dass es dabei nicht nur um die große, sondern auch um eine kleine Welt geht, Wolfs Familie nämlich, versteht sich. Stevenson jongliert diese beiden gewaltigen Themen so geschickt wie Jade, die gelernte Jongleurin, ihre Spielbälle.

Verzweifelte Liebende

Tatsächlich schickt Stevenson ihre Leserinnen und Leser in einen Kosmos voller Verzweifelter. Ihre Figuren stehen kurz davon, die Hoffnung auf Rettung völlig zu verlieren. Die Erwachsenen, allen voran Jade, weil sie sich in ihren Jahren als Aktivistin an Widerständen aufgerieben hat, ohne es zu merken, die Kinder, weil ihnen vor lauter großen Problemen der Raum zur eigenen Entwicklung fehlt. Viele Handlungsweisen der Figuren sind Folge von Verzweiflung. Zugleich sind sie der Versuch, Liebe, Zuneigung und Schutz zu finden. Das macht die Lektüre immer wieder schmerzlich, die Autorin fordert viel von ihrem Publikum.

Die Diskussion moralischer Überzeugungen braucht viel Mut, Stevenson hat ihn. Wer sympathisch, wer unsympathisch ist, was richtig oder falsch ist, wie viele Grauzonen es gibt und wie viel schief gehen kann, wenn man es doch gut meint, wird genauestens gezeigt. Das Urteil überlässt die Autorin den Leserinnen. Sie werden es nicht leicht haben damit. Das Leben ist alles andere als einfach und wer kann schon wissen, was für andere wirklich gut ist?

Es gibt zahlreiche Positionen, Stevenson führt noch dazu unterschiedliche Lebensentwürfe vor. Die Frage, was vereinbar ist von den Widersprüchen der Welt und was nicht, ist für Jugendliche von höchster Bedeutung, aber nicht nur für sie. Jade in ihrem Überschwang als Weltverbesserin, der sie zugleich zur manipulativen Egoistin macht, ist eine Figur, die auch erwachsenen Leserinnen im Gedächtnis bleiben wird. Überhaupt ist dieses Jugendbuch eines derer, die auch Erwachsene mit Gewinn lesen können. Von dem Hinweis, was für eine schlechte Ratgeberin Verzweiflung ist, profitiert ohne Unterschied jede und jeder.

Da Ende bleibt offen, auch wenn es Lösungen gibt für das eine und andere Problem der Figuren. Ganz wie im richtigen Leben, also.

Titelangaben
Robin Stevenson: Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete
(2015 The Summer We Saved the Bees, übers. von Bettina Münch)
249 S. 16,99 Euro. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2017
Jugendbuch ab 13
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