Die Riten der Erwachsenen

Kinderbücher | A. Kelsey: Pippas Tagebuch / C. Beauvais: Das Kuchenchaos

Was wir in Kinderbüchern lesen, nehmen wir mit ins Leben, ist einer der vielen weisen Sprüchen über Bücher. So ernst braucht man das nicht zu sehen, ein anderer und ›Manchmal will man doch einfach nur Spaß‹ der dritte. Ausgerechnet Geschichten, in denen es lustig zugeht, zeigen, wie sehr es darum geht, Kinder schleunigst dem Leben und den Riten der Erwachsenen anzupassen. Von MAGALI HEISSLER

Pippas Tagebuch. Liebe und Chicken NuggetsAnnie Kelseys Pippa darf zum zweiten Mal mit ihren munteren Sprüchen (nahtlos wiedergegeben von Sophie Härtling) und den nicht weniger munteren Zeichnungen im Tagebuch auftreten, während Beauvais die beiden Schwestern Anna und Holly samt dem prinzlichen Freund Pepino erneut in ein absurdes Abenteuer stürzt. Alltagsverhaftet, also, die eine Kindergeschichte, im Märchenhaft—Kuriosen angesiedelt die andere.

Pippa, wie erinnern uns, musste ihre beste Freundin ziehen lassen und sitzt nun neben Catie. Die beiden kommen gut miteinander aus, auch wenn sie wenig gemeinsam haben. Pippa ist tolerant. Es muss nicht jede sein wie sie. Als der Lehrer den 14. Februar zum Projekttag ausruft, hört die Toleranz erst mal auf. Liebesschmus? Ist ja eklig!

Aber es geht darum, der Klasse zu sagen, was man am liebsten mag. Damit hat Plappermäulchen Pippa keine Schwierigkeiten. Allerdings lässt das ständige Nachdenken über Vorlieben auch andere Gedanken keimen. Wäre es nicht Zeit, Mama wieder an den Mann zu bringen? Die Kugelschreibertinte ist noch nicht trocken, da macht sich Pippa schon ans Werk.

Kein Thema, aber eine Geschichte muss sein

Pippas Kommentare zu allem und jedem lesen sich so amüsant, dass man fast das halbe Buch hinter sich gebracht hat, ehe man merkt, dass etwas fehlt. Alles ist so vertraut, so gemütlich, so komisch. Pippa ist herzallerliebst, ein Prachtstück. Leider fehlen dem Prachtstück Ecken und Kanten. Was immer sie anpackt oder auch anrichtet, es fügt sich zum Besten. Nicht unbedingt so, wie Pippa es sich vorstellt, nein, das nicht. Schließlich ist die Geschichte realistisch angestrichen. Da dürfen dann auch mal selbst gemachte Chicken Nuggets besser schmecken als die bekannter Fast-Food-Ketten. Aber vorgeführt werden müssen sie, ebenso wie Pizza, ohne die kein marktgängiges Kinderbuch mehr auszukommen scheint. Ohne Seitenhiebe auf die so schrecklichen gesunden Gerichte aber auch nicht. Eine Institution wie den Valentinstag darf man ein bisschen spöttisch betrachten. Deswegen diesen Tag nicht als großes Fest der Liebe zu sehen, ist aber unmöglich. Der dazugehörige, durch Fakten schwer belegbare Heilige wird aus Lehrermund zum Helden des Widerstands gegen angebliche staatliche Willkür und von da an von Pippa ehrfürchtig verehrt.

Tatsächlich werden kleine Leserinnen hier auf bestimmte Lebensweisen und Perspektiven eines Lebens eingeschworen, das schwerelos vor sich hinplätschert. Jungen sind und bleiben ungezogen, Mädchen vorwitzig, aber sofort einsichtig, die Erwachsenen sind immer verständnisvoll und das Lieblingsgericht und ein süßer Film stehen dafür, dass sich alle lieb haben. Immer.

Hier wird nichts, aber auch gar nichts erzählt, sondern einzig dekretiert, dass die Welt in Ordnung ist, wie sie ist, und das auch bleiben wird. Bieder-spießige Überzeugungen als Spaßbuch verkleidet, also.

Kreativ, aber nicht originell

Mit ›Das Kuchenchaos‹ schickt die in England lebende Clémentine Beauvais auf Reisen, immer ihrem Traumziel nach, viel Geld zu verdienen, um endlich die tollsten Ferien aller Zeiten machen zu können. Wie in den beiden Vorgängerbänden lässt die Autorin ihrer Fantasie die Zügel schießen. Und wie in den Vorgängerbänden handelt es sich eigentlich um eine Familiengeschichte. Dieses Mal ist es der Bruder von Pepinos Papa, König Steve, der alle zu einem Backwettbewerb herausfordert. Das trifft König Steve hart, ist er doch nicht nur ein ausgezeichneter Bäcker, sondern backen auch das Einzige, das er besser kann als sein Bruder Sam, seines Zeichens König von Amerikakanada. Die Sache ist klar, Steve muss den Backwettbewerb gewinnen und wer kann besser helfen, als Anna, Holly und der Thronerbe Pepino?

Das Kuchen chaoDie Geschichte ist sehr, sehr lustig, wird verrückt und verrückter und noch lustiger. Sie ist entschieden absurd – mit den schrägsten Wendungen. Appetit auf Süßes macht sie auch. Wer dafür anfällig ist, wappne sich bei der Lektüre gleich mit entsprechender Zufuhr. Was Beauvais an Figuren, Wesen, Backkünsten samt Wortspielen (fantastisch übersetzt von Rusalka Reh) entwirft, ist fantasievoll und bunt, aber tatsächlich nicht besonders originell. Das liegt daran, dass auch die seltsamsten Wesen im Rahmen des Bekannten agieren. Noch die haarsträubendsten Eskapaden kann man mit der sicheren Gewissheit genießen, dass es gut ausgeht.

Die Ausgeschiedenen der Wettbewerbsrunden meinen es bei aller Konkurrenz grundsätzlich gut mit den Kindern. Unsere Heldinnen und Helden tragen keine Blessuren davon und winden sich ohne Anstoßen aus jeder noch so großen Schwierigkeit. Man wundert sich, dass tatsächlich ein Bösewicht auftritt, aber mit einem Fingerschnippen ist auch er besiegt. Die Familienfehde lässt sich selbstverständlich beilegen. Das Ganze ist so lustig und süß wie Zuckerwatte in Regenbogenfarben, aber eben so schnell zerschmolzen.

Während es in den Vorgängerbänden noch darum ging, dass sich die Kinder gegenseitig unterstützen und trotz ihrer nicht immer erfolgreich umgesetzten Kinderideen doch noch Großes zustande bringen, handeln sie hier von Anfang an wie Expertinnen, die mit einem Blick alles im Griff haben. Am Ende winkt dann auch der Lohn, das angezielte Geld nämlich. Dafür also die ganze Aufregung und Anstrengung.

Freundschaften schließen, Konflikte durchstehen, sich für andere einsetzen, andere Lebensformen kennenlernen, die Welt entdecken, das sind Entwicklungen sekundärer Natur. Primär geht es um das große Geld. Anders lässt sich ein richtig toller Urlaub nämlich nicht finanzieren. Und auf etwas richtig Tolles hat man doch ein Recht. Was für eine fragwürdige Botschaft.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Annie Kelsey: Pippas Tagebuch. Liebe und Chicken Nuggets
(2015 Pippa Morgan’s Diary. Love and Chicken Nuggets, übers. von Sophie Härtling)
153 S. 9,99 Euro
Hamburg: Rowohlt Rotfuchs 2017
Kinderbuch ab 9 Jahren
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| Leseprobe

Clémentine Beauvais: Das Kuchenchaos
(2015 The Royal Bake Off, übers, von Rusalka Reh)
Ill. von Becka Moor
185 S. 9,99 Euro
Hamburg: Rowohlt Rotfuchs 2017
Kinderbuch ab 9 Jahren
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| Leseprobe

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