Diebe der Herzen

Digitales | Games: Persona 5

Wenn man Spieler nach ihrer persönlichen ›Persona‹-Erfahrung fragt, erhält man zwei Arten von Antworten: Ein Teil der Spieler entgegnet kopfschüttelnd, das »komische Japano«-Spiel zwar (kurzzeitig) angetestet, dann jedoch als zu diffus empfunden zu haben; der andere Teil hat bereits zahlreiche Stunden in die Spezialisierung einzelner Charaktere und deren Beziehung gesteckt und erfreut sich jauchzend der nächsten Abenteuer. Von DANIEL MEYER.

Mit dem neu erschienenen ›Persona 5‹ wollen wir uns nun auch ein Bild von diesem von so vielen geschätzten Titel machen und kommen zu einem überraschend positiven Ergebnis.

Es ist nicht unüblich das Konzept eines Rollenspiels als eine Form der Novelle zu sehen, eine fließende Geschichte, die sanft startet, sich verschärft und zum Ende hin zu einem gleißenden Höhepunkt aufbaut. In diesem Aspekt macht auch ›Persona 5‹ keine Abstriche, obgleich die Authentizität, mit der der Spieler in diese farbenprächtig-skurrile Welt geworfen wird, irgendwie intensiver wirkt, als bei vielen seiner Rollenspielkollegen. Es ist fast wie das Aufschlagen eines neuen, eines guten Buches, könnte man meinen. Die ersten Stunden innerhalb des Spieles vergehen, man erhält nicht viel Einblick in die genaue Situation, macht sich so langsam mit den Spielmechaniken und einzelnen Charakteren vertraut, doch zugleich merkt man bereits, wie die Schwere des Plots auf einem lastet und bis zum Ende des knapp 100-stündigen Epos nicht mehr abklingen mag.

Lasst uns Herzen stehlen

Warum das so ist? Vielleicht weil sich ›Persona 5‹ Zeit lässt. Entgegen vieler, neuartiger Titel versucht es nicht, möglichst schnell zu aktionsreichen oder spannenden Abschnitten zu gelangen, sondern investiert gerade am Anfang mehrere Stunden in die Charakterentwicklung und den Aufbau der sich immer weiter ausdehnenden Geschichte. Das Spiel beginnt mit einer Reihe von Rück- und Vorblenden, mit einem alltäglichen Leben und Fragmenten, die den Rahmen der Handlung und dessen Problemstellung abstecken, jedoch keine wirkliche Erklärung für die Ereignisse bereithalten. Eine einfache Art des Spannungsaufbaus, die durch die vielen imposant animierten und über lange Zeit perfekt vertonten Zwischensequenzen an Lebendigkeit gewinnt. Wie in ›Persona 4‹ spielt ihr dabei erneut einen eher schweigsamen, aber immerhin nicht mehr ganz stummen High-School Protagonisten, der in diesem Fall für eine (zu Unrecht) erhaltene Bewährungsstrafe an die Shujin-Akademie in Tokyo versetzt wurde. Eine vorerst befremdliche Welt für ein Spiel, denkt man sich, sind es doch keine Monster, die es zu schlagen gilt, sondern zunächst die Vorurteile der neuen Mitschüler.

Umschlagpunkt der Ereignisse wird ein zufälliger Moment im Leben des Protagonisten, in dem er und seine neuen Bekanntschaften Zugriff auf die »Metaverse«, eine Art Manifestation der menschlichen Psyche, erhalten. Als maskierte »Phantom Thieves« (dt. Phantomdiebe) wird ihnen die Kraft verliehen, in die Herzen anderer, räumlich dargestellt als sogenannte »Paläste«, einzudringen und durch das Stehlen seines Schatzes, der innigsten Begierde des Menschen, eine Konversion des jeweiligen Charakters zu bewirken. Es ist eine spannende Reise, die mit dem einfachen, gleich jugendlichen Gedanken beginnt, »narzisstische Erwachsene« in die Schranken weisen zu wollen, und über emotionale Höhen und Tiefen erfolgreich die dunkelsten Abgründe unserer heutigen Gesellschaft aufzuzeigen vermag.

Ähnliches Konzept, nur besser

Technisch zeigt sich ›Persona 5‹ zudem als bisher bester Teil der Saga. Der generelle Spielablauf wird hierbei, ähnlich zu den Midnight Channels aus ›Persona 4‹, durch den jeweiligen Palast der Zielperson bestimmt, den sich die Phantomdiebe für ihren nächsten Raubzug auserwählt haben. Wie zuvor darf sich die Gruppe innerhalb der Dungeon-artigen Gebiete durch eine Schar Schatten, auf Mythologien basierende Monster, schlagen und muss den Schatz bis zum Ende einer bestimmten Frist an sich genommen haben. Neu ist hierbei, dass die Struktur aller Paläste gänzlich von Hand aufgebaut wurde und keine generischen Elemente mehr beinhaltet. Ein jedes Dungeon besitzt nun seinen eigenen zur Hauptgeschichte harmonisierenden Stil, der sowohl optisch, als auch akustisch äußerst passend mit der jeweiligen Problemstellung verbunden und mithilfe kleinerer Rätsel spannend gehalten wurde: So müssen z.B. Zahlencodes gelöst werden, um den Eingang in ein riesiges, Tresorschloss ähnliches Gebilde freizuschalten, Warpportale in einem Raumschiff reaktiviert oder gezinkte Würfelspiele in einem Schattenwelt-Casino verändert werden. Die Puzzles machen durchaus Spaß und fühlen sich zu keiner Zeit überheblich oder unpassend an – im Gegenteil verleihen sie sogar den sonst eher zu Grindingzwecken genutzten Gebieten erst eine wirkliche Seele.

Freunde des generischen Aufbaus dürfen sich zudem auf die »Mementos« freuen, die neue Version des früheren Dungeonbegriffes. Der optionale und wie eine dämonische U-Bahnstrecke angelegte Bereich stellt eine weitere Möglichkeit dar, zusätzliche Erfahrungspunkte, Gegenstände oder Monster zu sammeln, die einem nach Beenden des letzten Palastes eventuell verwehrt blieben. Hier können auch erneut kleine Zusatzmissionen angenommen werden, die in den meisten Fällen das Bekämpfen größerer Gegner vorsehen und die Gruppe mit selteneren Gegenständen und/oder Erfahrung unterstützen. Es ist eine nette Idee, die man vor allem gegen Ende des immer schwieriger werdenden Spieles gerne annimmt.

Runde um Runde

Hauptaugenmerk bleibt zuweilen das Kampfsystem, das, ebenso wie der Rest des Spieles, nahezu fließend in den weiteren Verlauf eingebunden wurde. Entgegen dem allgemeinen Trend zum actiongeladenen Echtzeitkampf entschied sich Atlus Entwicklerteam hier, den rundenbasierten Stil der vorigen Teile beizubehalten und durch kleinere Gimmicks weiter zu verbessern. Monster können nun sowohl durch Nah-, Fernkampf- sowie durch Magieattacken des jeweiligen Personas, des in jedem Charakter inne liegenden Geistes, angegriffen werden und besitzen in den meisten Fällen eine von acht existierenden Elementarschwächen. Trifft man ein Monster mit einem solchen Element, können verheerende Gruppenangriffe ausgeführt oder Gegner dazu gezwungen werden, ihr komplettes Hab und Gut für ihr Leben zu übergeben. Die neue »Baton Pass« Funktion erlaubt es zudem, einen Extrazug an ein verbündetes Gruppenmitglied zu vergeben, wann immer eine solche Schwachstelle getroffen wurde – ein einfaches Prinzip, das zum Ende des Spieles zu einer absoluten Notwendigkeit wird und durchaus Gruppenmanagement erfordert.

So wie die Gegner besitzt nämlich auch jedes Gruppenmitglied eine gewisse Elementaffinität, die durch die Eigenschaften des jeweiligen Personas bestimmt und ebenso von den Gegnern ausgenutzt werden können. Es ist ein zweischneidiges Schwert, bei dem es in vielen Situationen darauf ankommt, welche Gruppe den ersten Schlag landen und damit eine Reihe von Kettenangriffen auslösen kann. Eine Veränderung der Affinitäten bleibt hierbei lediglich dem Protagonisten vorbehalten, dessen Fähigkeit es ist, bekämpfte Schatten (über eine Quiz-artige Unterredung) zu fangen und sie als eigene Personas nutzen zu können. Gleichermaßen bleiben alte Institutionen, wie das Fusionieren von Monstern oder das Verwandeln ebensolcher in seltene Gegenstände, bestehen – und geben dem erneuten Bekämpfen mancher Monsterhorden einen weiteren wichtigen Sinn.

Nach dem Kampf erst einmal ins Kino!

Neben dem fantasievoll rundenbasierenden Rollenspiel entpuppt sich ›Persona 5‹ zudem als ein fesselnder Zeit-Management-Simulator. Wann immer gerade nicht die Welt, oder zumindest das Herz der jeweiligen Zielperson, gerettet werden muss, steht einem die Zeit nach der Schule frei zur Verfügung; verschiedenen Aktivitäten können in ganz Tokyo nachgegangen werden, die vom Trainieren in der Muckibude, Fischen, Baseball spielen, Studieren oder einem Kinobesuch bis hin zum Spielen von Retrospielen oder dem Arbeiten als Teilzeitkraft reichen – eine gigantische Verbesserung zu den doch eher limitierten Möglichkeiten des Vorgängers und gleichzeitig eine fantasievolle Art, seine persönlich-sozialen Werte, wie etwa Charme, Intelligenz oder Nettigkeit, aufzubauen.

Über diese Aktivitäten hinaus existieren zudem 20 sogenannte »Confidants«, Menschen, mit denen man eine spezielle Bindung eingehen und so eigene kleine Nebengeschichten erzeugen kann. Erhöhen sich die Werte einer Beziehung, können bestimmte Gameplay-Verbesserungen freigeschaltet werden: Treffen mit einem gefallenen Politiker helfen beispielsweise beim Überzeugen von Schattenwesen, wohingegen das Trainieren mit einem örtlichen Arcade-Champion die Expertise im Umgang mit Fernkampfwaffen steigert. Die Erscheinung der einzelnen Menschen bleibt dabei so unterschiedlich, wie die Umstände unter denen man sie kennenlernt. Viele der hierdurch entstehenden Nebenplots sind nicht weniger spannend als die der Hauptgeschichte selbst. Es ist die Qual der Wahl, die einem ›Persona 5s‹ Freizeitgestaltung aufbürdet und somit jeder neuen Entscheidung ein wenig mehr Gewicht zufügt: Arbeitet man eher im Teilzeitjob, um etwas mehr Geld für den nächsten Waffeneinkauf zu haben oder nutzt man die Zeit, um sich eingehender mit einer der unzähligen Personen zu beschäftigen? Beide Seiten besitzen jederzeit etwas Nützliches, wobei gerade das Beenden einer auf Spielmonate hingearbeiteten Nebengeschichte eine unglaublich befriedigende Erfahrung darstellt.

Fazit

›Persona 5‹ schafft es erneut durch seinen individuell skurrilen Mix aus ›Pokémon‹-ähnlichem Rollenspiel und fordernder Highschool-Freizeitsimulation den Thron der hiesigen JRPGs zu ersteigen. Es ist alles: fetzig, spannend und irgendwie auch neu. Vor allem der Pop-Art Stil gepaart mit flippigen Jazz- und Rockmelodien untermauern den durchaus stimmigen Stilfluss und geben selbst dem Ausrüstungsmenü eine besondere Note. Japan-averse Menschen könnten zwar ein wenig Zeit brauchen, sich in den Lebensstil Tokyos einzugewöhnen, erscheint doch alles ein wenig größer und schriller, als wir es von unseren Gefilden gewohnt sind, doch in den ungefähr 100 Stunden Spielzeit gibt es genug Freiraum, sich langsam an die wundervoll-neue Welt zu gewöhnen und den ungewohnt tiefen Hauptplot auf sich wirken zu lassen.

| DANIEL MEYER

Titelangaben
Persona 5
Atlus, Deep Silver
Erhältlich für Playstation 3 und 4.
49,99 Euro UVP.

 

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