Der Hochglanzblitz

Comic | Flash-Anthologie. 75 Jahre Abenteuer im Zeitraffer

Passend zum neuen Kinofilm ›Justice League‹, einem Bund der DC-Superhelden, hat der Panini-Verlag eine dicke Anthologie zu einem der an der Liga beteiligten Helden herausgebracht – nämlich zu Flash. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den Band angesehen – und zwar nicht im Zeitraffer!

Flash AnthologieAuch wenn dieser in den Comics über die Heldenliga, verglichen etwa mit ›Batman‹, ›Superman‹ oder ›Wonder Woman, meist eher eine Nebenrolle einnimmt, so ist dieser Held, der zumindest 2011 mit einer TV-Serie wieder populärer wurde, doch aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen gehört er zu den ältesten Comic-Superhelden, denn das erste Flash-Heft mit dem Titel ›The Origin of the Flash‹ von Gardener Fox und Harry Lampert stammt von 1940. Zum anderen wird Flash nicht nur von einem Protagonisten verkörpert, sondern im Lauf der über sieben Dekaden Flashgeschichte von gleich drei Figuren personifiziert, nämlich Jay Garrick, Barry Allen und Wally West; drei sehr unterschiedliche Charaktere, die auch auf unterschiedliche Art zu ihren Superkräften kommen, sprich, die Fähigkeit, der schnellste Mann der Welt zu sein, der damit geradezu prädestiniert für die Verbrecherjagd ist. Die lange und wechselhafte Geschichte macht die Prachtausgabe ›Flash-Anthologie. 75 Jahre Abenteuer im Zeitraffer‹ zu einem faszinierenden Kunstwerk und Querschnitt der Superheldenhistorie.

Die ›Flash-Anthologie‹ umfasst 20 chronologisch geordnete Geschichten sowie zahlreiche zusätzliche Cover und Hintergrundinformationen. Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt. Antiquiert und befremdlich wirkt dabei vor allem der erste Teil: ›Beschleunigung‹, mit Comics aus den 1940ern. Hier war noch der Naturwissenschaftler Jay Garrick der Flash. Bei einem Laborunfall (wie typisch!) mit sogenanntem »schwerem Wasser« erhält er die Fähigkeit, schnell wie ein Blitz zu laufen; daher auch das Heldenpseudonym.

Die klassisch-grellen Zeichnungen von Lampert und Carmine Infantino wirken dabei für den heutigen Leser eher belustigend, haben aber auch durch ihre Fremdheit im Story- und Zeichenstil einen hohen nostalgischen Wert. So erinnert der Protagonist mit seinem Metallhelm, an dem sich Flügel befinden, und dem simplen Joggingdress in Rot, Gelb und Blau, an eine amerikanisierte Version des antik-griechischen Götterboten Hermes; und vor allem die Superschurken kommen in ihrem Agieren und Aussehen bizarr, dümmlich-extravagant und bunt herüber. Die Texte von Fox und Robert Kanigher wirken, vor allem wenn Flash auf seine Schurken stößt, kindlich und simpel, wobei immer wieder physikalische Kontextinformationen dargeboten werden, die etwa erklären sollen, warum Flash Geschosse nichts anhaben können.

Spannender, aber deswegen nicht weniger nostalgisch sind die Comics der 1950er bis 1970ern aus dem zweiten Kapitel ›Höchstgeschwindigkeit‹. In diesen Jahrzehnten ist Jay Garrick ein Flash, der im Comic nur als fiktive Comicfigur, quasi als Comic im Comic, auftaucht, während Barry Allen, inspiriert von seinem Idol zum »realen« Flash wird. Diese Reinkarnation läutet gleichzeitig das silberne Zeitalter der Superheldencomics ein. Bei einem Blitzeinschlag im Labor wird der Forensiker Allen von Chemikalien getroffen und erhält fortan die gleichen Fähigkeiten wie Garrick. Er wird der Flash, wie wir ihn heute optisch kennen, mit einem roten Ganzkörperoutfit.

Schon zu dieser Zeit bekommt der zweite Flash einen Sidekick, nämlich Kid Flash alias Wally West, der noch Batmans Helfer Robin an Lächerlichkeit und dummen, banalen Kommentaren respektive Gedankenblasen überbietet. Die Sammlung beinhaltet auch Comics zu den Teen Titans, der Liga der DC-Heldenhelfer, wobei Letztere einfach nur dämlich sind, sowohl was die groben Zeichnungen als auch was die halbherzigen Stories betrifft. Interessant ist dieser Teil vor durch den Erzfeind Reverse Flash, ein Genie aus der Zukunft, das dieselben Kräfte wie Flash hat und dem Superheld durch seine technischen Methoden und seine Intelligenz gar überlegen ist. In späteren Jahren agiert Flash auch gerne mit Paralleluniversen, dem DC-Multiversum. In einem Universum ist etwa ein gealterter Garrick der Flash, in einem anderen ist es der junge Allen, und ab und an kooperieren die beiden.

Eine unvollendete Freak-Show statt Heldensturz

Dies alles ändert sich jedoch in Kapitel drei: ›Grenzbereich‹. Das Multiversum ist inzwischen abgeschafft, es gibt nur noch einen Flash, und das ist der frühere Kid Flash. Allen wurde schon zuvor, in den 1980ern, als Flash ad acta gelegt, als er Reverse Flash tötete, da der Schurke Flashs Ehefrau ermordet hatte. Dies führte zu Flashs Exklusion aus der Justice League und zu seinem allmählichen Niedergang. Leider ist keiner dieser sehr spannenden Comics, die doch eine Zäsur in der DC-Geschichte darstellen und auch Aufschluss über Allens Persönlichkeit geben, in der Anthologie vorzufinden; es gibt lediglich eine Seite mit Kontextinfos, was ein großes Manko der Sammlung ist, denn der Fall des Helden ist inzwischen ein zentraler Topos der Superhelden von DC und Marvel.

Als dritter Flash ist West schon interessanter denn als Kid Flash. Er versucht sich aus dem Schatten seines Vorgängers zu befreien, und seine psychischen Komplexe, sein Perfektionismus verhindern, dass er in seinen Fähigkeiten Allen das Wasser reichen kann. Auch er interagiert später wieder mit Garrick und bekommt einen eigenen Erzfeind – den Denker, der vor allem in späteren Jahren an Krebs erkrankt und sukzessive ein tiefgründiges Profil bekommt. Auch zeichnerisch ist die Entwicklung interessant, etwa wie optisch, trotz des gleichen Kostüms, West von Allen differenziert wird, und wie Garrick langsam zu einem konservativen, antiquierten Superheldenopa aus einer anderen Welt wird.

Am filigransten sind tatsächlich die Zeichnungen aus dem letzten Teil, ›Im Rückspiegel‹, mit Comics aus dem 21. Jahrhundert. Schade ist an diesem Teil jedoch, dass die Storys inhaltlich wieder stark nachlassen, West zu einem plumpen und öden Tugendbolzen degeneriert – ja, selbst der Pfadfindermoralist Superman erscheint da vielschichtiger. Ungünstig wirkt auch, dass der Sammelband mit einem offenen Ende abschließt, da nur ein Teil der Reihe ›Freak Show‹ (von Katherine Walczak und Phil Hester) hier abgedruckt wurde. Noch ein oder zwei Geschichten mehr, um diese Story abzuschließen, hätten an dieser Stelle nicht geschadet; oder im Zweifel hätte man den letzten Comic auch streichen können, da der Kampf mit neuen Zirkusgegnern erstens, nicht gerade innovativ ist und zweitens, für einen Querschnitt der Flash-Geschichten keine große Relevanz hat. So jedenfalls wird die Anthologie abrupt beendet.

Fazit

Insgesamt handelt es sich um eine breitgefächerte Anthologie, die durchaus eine gute Übersicht über die sich historisch entwickelnden Handlungen und Zeichenstile gibt, geschaffen von unterschiedlichen, teils grandiosen Comic-Künstlern wie Grant Morrison, Mark Millar oder Mark Waid. Als Mängel bleiben, dass der Verfall von Barry Allen hier nicht dargestellt wurde und die letzte Geschichte dafür schlicht überflüssig war. Diese zwar teilweise durchwachsene, aber insgesamt doch heterogene beziehungsweise abwechslungsreiche und auch vom Format her teils klassische, teils experimentelle Sammlung kann ergo gut als Einführung für Neuleser fungieren. Ob ein etablierter Flash-Fan mit der Anthologie zufrieden sein wird, ist dennoch fraglich. Die Sammler unter den Fans dürften jedoch die dicke Prachtausgabe, diese Hochglanzversion des Blitz-Helden, schon alleine wegen ihrer Aufmachung und ihrer Zusammenstellung sehr genießen; denn wie kommt man beispielsweise sonst an die allerersten Flash-Ausgaben?!

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Panini Verlag/Dino Comics (Hrsg.): Flash-Anthologie. 75 Jahre Abenteuer im Zeitraffer
Stuttgart: Panini Verlag 2016.
Gebunden, 404 Seiten, 34,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die gefälschte Biografie

Nächster Artikel

Wenn der Postbote 2x klingelt

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die Rückkehr des Alptraumjägers

Comic | T.Sclavi (Text), A.Stano, G.Trigo, G.Montanari & E.Grassani (Zeichnungen): Dylan Dog Gesamtausgabe Band 1 Seit nun fast 30 Jahren existiert in Italien die ungemein populäre Comicfigur ›Dylan Dog‹: Ein verspielter Horrorcomic über einen Ermittler, der sich selbst »Jäger des Grauens« ans Klingelschild geschrieben hat. Trotz großer internationaler Beliebtheit war ihm hierzulande kein durchschlagender Erfolg vergönnt. Ein Ableger des kroatischen Comicverlags ›Libellus‹ hat im Dezember 2014 mit einem ambitionierten Liebhaberprojekt den gewagten Versuch einer ›Dylan Dog – Gesamtausgabe‹ in Deutschland gestartet. Mittlerweile ist der vierte Band erschienen und BORIS KUNZ hofft, dass es so weitergeht.

Wenn Obama die Monopoly-Spieler bedient

Comic | P.Jorion / G.Maklés: Das Überleben der Spezies »Der Kapitalismus und seine Kritik sind doch recht trockene und abstrakte Angelegenheiten – und daher auch nahezu unverständlich.« Falsch! Der Comic ›Das Überleben der Spezies. Eine kritische, aber nicht ganz hoffnungslose Betrachtung des Kapitalismus‹, des Wirtschaftskolumnisten Paul Jorion und dem Zeichner Gregory Maklés beweist gekonnt das Gegenteil. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den Sachcomic angesehen.

Was vom Bade übrig blieb

Comic | Pierre Oscar Lévy/Frederik Peeters: Sandburg Die Zeit rennt davon, der Raum wird klein: Sandburg seziert das Miteinander unterschiedlicher Menschen in einer mysteriösen Extremsituation. Von CHRISTIAN NEUBERT

Easy Going

Comic | Tommi Musturi: Sozusagen Samuel Vor sieben Jahren erschien bei ›Reprodukt‹ der Comic ›Unterwegs mit Samuel‹. Nun kommt der Folgeband ›Sozusagen Samuel‹, der nahtlos an seinen Vorgänger anknüpft. In abstrakter Form erzählt er ohne Worte vom nackten Leben in knalligen Farben. Von CHRISTIAN NEUBERT

Schaurig schön

Comic | Erik Kriek: In The Pines. 5 Murder Ballads Erik Kriek versteht es hervorragend, düsteren Stoffe ein Comic-Gewand zu verpassen. Nach seinen Lovecraft-Adaptionen ›Vom Jenseits und andrere Erzählungen‹ erschien im Avant-Verlag nun ›In The Pines. 5 Murder Ballads‹. Mordsmäßig, findet CHRISTIAN NEUBERT