Kinderbuch | Thé Tjong-Khing: Kunst mit Torte
Frau Hund malt – und ihr Porträt mit Torte ist durchaus gelungen. Als es gestohlen wird, jagen alle den frechen Bilderdieb und die Verfolgung führt quer durch eine spannende Welt der Kunst. Von ANDREA WANNER
›Die Torte ist weg!‹ von Thé Tjong-Khing erschien 2006 und das Wimmelbilderbuch um den Tortenklau war ein grandioser Erfolg – ganz ohne Worte, dafür mit umso mehr zum Schauen. Klar, dass so etwas fortgesetzt werden muss: Es folgten ›Geburtstag mit Torte‹ und ›Picknick mit Torte‹. Und das vierte Guck- und Suchbuch jagt jetzt nicht mehr der Torte, sondern einem Bild der Torte hinterher.
Das ist zum einen ein grandioser Spaß, weil man wieder genau hinschauen, Spuren suchen und verfolgen muss. Das ist zum anderen eine ziemlich akademische Angelegenheit, weil man – und das steht quasi zur Warnung schon auf der Coverrückseite – die Handschriften berühmter Künstler erkennen (lernen) soll. Dazu braucht es eine (erwachsene) Begleitung, die im Idealfall über eine solide kunstgeschichtliche Vorbildung verfügt oder bereit ist, sich die gemeinsam mit dem neugierigen jungen Kunstpublikum anzueignen.
Es beginnt schon beim Coverbild. Der Raum von Frau Hund kommt einem irgendwie bekannt vor. Okay, da hängt die Mona Lisa an der Wand, aber es ist noch etwas anderes. Der Holzboden, das Bett mit dem hohen Kopf- und Fußteil aus Holz in einem warmen Goldton, die beiden Kopfkissen in einem leuchtenderen, zitronigeren Gelbton, die rote Decke, die Bilder an der Wand und der Stuhl … Das Zimmer, in dem die Künstlerin ihre Staffelei aufgestellt hat, kennt man irgendwoher. Richtig. Es ist das Schlafzimmer von Vincent Van Gogh von 1888.
Hier nimmt das Abenteuer seinen Ausgang, das neben detektivischem Spürsinn eben auch Kunstverstand braucht. Thé Tjong-Khing inszeniert den Kunstraub als Traum von Frau Hund. Im Gewimmel einer Ausstellungshängung klaut ein dreister Dieb das Bild mit Torte von Frau Hund. Die sieht den Dieb gerade noch nach draußen entwischen und bei der anschließenden Verfolgung führt die Jagd durch Landschaften und Räume, die motivische und gestalterisch mit den charakteristischen Stilmerkmalen bestimmter Künstler und ihrer Zeit gestaltet wurden. Von Seite zu Seite wandelt sich so die (Bild)welt. Wer die Künstler sind, die da zu entdecken sind, verraten bereits die Kunstbände auf dem Boden von Frau Hunds Zimmer: Kirchner, Rousseau, Mondrian, Gaugin, Hockney … Weitere Hinweise gibt das Vorsatzpapier mit kleinen stilistischen Details, Minikunstwerken, die dem, der schon Wissen mitbringt, weiterhelfen.
Die wilde Jagd führt durch eine surreal anmutende, triste Gegend mit verformten Uhren – klar, da lässt das bekannteste Gemälde mit den weichen Uhren von Salvador Dalí, „Die Beständigkeit der Erinnerung“ von 1931 grüßen (zu dem Dalí angeblich durch den Anblick von heißem, zerlaufendem Camembert inspiriert wurde).
Ein paar Seiten weiter sitzt die Gruppe in einem Boot, das auf dem Kamm einer riesigen Welle reitet. Ein ganz anderer Stil und vermutlich haben auch die meisten schon eine Abbildung des Originals von Katsushika Hokusai, dem japanischen Maler und Holzschnittmeister gesehen. Bekannt wurde er vor allem mit seiner Bildserie ›36 Ansichten des Berges Fuji‹, die zwischen 1829 und 1833 entstand und zu der auch ›Die große Welle vor Kanagawa‹ gehört.
Man kann natürlich auch nur die Bilder genießen, die voller liebevoll gestalteter Details stecken. So ganz befriedigend ist das aber nicht wirklich. Also kennt man sich entweder aus oder sucht ein bisschen im Internet oder legt sich ein paar Nachschlagewerke bereit. Manches lässt sich mit den im Buch versteckten Hinweisen finden, anderes lädt zum Entdecken ein. So gesehen ist das ganz konsequent das anspruchsvollste und andeutungsreichste Bilderbuch von Thé Tjong-Khing, was er mit seinem Buch ohne Torte ›Hieronymus. Ein Abenteuer in der Welt des Hieronymus Bosch‹ begonnen hatte. Ein Projekt, das ihn vielleicht alte Anhänger kostet, das aber neue Fans für seinen spannenden Ansatz, der wirklich ohne Worte auskommt, gewinnt.
Und Frau Hund, das sei noch erwähnt, wird durch diese Reise durch die Kunstgeschichte zu etwas ganz eigenem inspiriert, natürlich mit Torte.
Titelangaben
Thé Tjong-Khing: Kunst mit Torte
(Kunst met taart, 2015)
Frankfurt am Main: Moritz 2017
32 Seiten. 13,95 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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