Comic | Roland Burkart: Wirbelsturm
Zu den dramatischsten Themen, die man in einem autobiographischen Kunstwerk verarbeiten kann, gehören Brüche, die das Leben fundamental ändern, einschränken, und zwar ohne, dass man etwas dagegen tun könnte. Und noch immer erschüttern solche Geschichten das Publikum, das sich vorstellt, sich in den Protagonisten einzufühlen und seine unerfüllbaren Wünsche zu spüren. Robert Burkart hat ein solches Kunstwerk in Comicform geschaffen. In ›Wirbelsturm‹ verarbeitet der Schweizer Illustrator seine Lähmung Tetraplegie und wie er lernt, damit umzugehen. Leider fehlt bei dem hohen Tempo des Graphic Novels nahezu jede Dramatik oder psychologische Tiefe. PHILIP J. DINGELDEY hat sich das neue Album angesehen.
dros, seinen Fall, seine Depression wegen der körperlichen Ohnmacht, sein Kampf gegen die Lähmung und seiner Verarbeitung des Traumas, aber auch die noch utopischen Wünsche nach einem Heilmittel, das ihn einfach wieder gehend machen kann.
Diese autobiographische Geschichte hätte jede Menge aufwühlendes und dramatisches Potenzial. Leider verfehlt es Burkart, dies auszunutzen. Mit nur etwa 100 Seiten hat er ein eher kurzes Album kreiert, das maximal an der Oberfläche einer solchen Handlung kratzt. Zwar werden die Leser mit Piedro mit dem Unfall, dem Schock, der Trauer und seltsamen Gefühl der Lähmung konfrontiert, man erfährt Kurzes über Mitleid und seine Suche nach Isolation und Trost; aber all dies wird nur en passant erwähnt, die Handlung schreitet zu schnell und oberflächlich voran, anstatt dem Werk irgendeine Tiefe zu verleihen.
Die Zeichnungen sind nicht schön, aber richtig und ehrlich
Außerdem ist die Geschichte zu glatt. Nach dem Unfall geht es mit Piedro wieder bergauf. Auch wenn seine Fortschritte nicht groß sind, so erfährt er doch keine Rückfälle. Etwa erfährt der Protagonist keine Diskriminierung oder Exklusion, alle mögen ihn und behandeln ihn gut; und viele Hürden, die schon für Rollstuhlfahrende real existieren, spielen in ›Wirbelsturm‹ keine Rolle. Der Graphic Novel bleibt eine banale Aufstiegsgeschichte. Die einzige charmante Wende erfährt das Werk am Ende, wenn Piedro in eine Traumwelt übergeht, in der einfach aufsteht und den Rollstuhl im Wald stehen lässt.
Interessanter sind die Zeichnungen. Nach seinem eigenen Unfall hat Burkart sich mit der linken Hand das Zeichnen selbst wieder beigebracht. Alleine die Leistung, mit Tetraplegie einen ganzen Graphic Novel anfertigen zu können, ist etwas Außergewöhnliches. Dieser Fakt verschafft den sehr groben und oft kantigen Zeichnungen eine individuelle und spannende Note. Außerdem passt dieser Stil, der an manchen Stellen an den Karikaturisten Luz erinnert, sehr gut zu der Lage, in der sich Piedro befindet. So schwer ihm jede Bewegung fällt, so schwer und nichtfiligran, manchmal auch nur rudimentär, aber dafür stets ehrlich, wirken auch die simplen schwarz-weißen Zeichnungen, die auch so manche Metaphorik zu bieten haben.
Aus einem tiefschürfenden persönlichen Erlebnis macht Burkart somit ein Werk, dessen Handlung zu glatt, geschliffen und oberflächlich bleibt, ein Werk, in dem Vieles nicht thematisiert wird und das in Sieben-Meilen-Stiefeln durch das Leben Piedros läuft. Nur die Zeichnungen und der eigenwillige Stil Burkarts, der nicht schön, aber ehrlich und richtig ist, gleichen diesen Mangel partiell wieder aus. Insgesamt hätte es aber mehr Handlung und Interaktion gebraucht, vielleicht auch mehr Reflexion des Protagonisten, um daraus entweder einen mitfühlenden oder kritischen Comic zu machen.
Titelangaben
Roland Burkart: Wirbelsturm
Zürich: Edition Moderne 2017
112 Seiten, 19,00 Euro
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