Roman | Robert Hültner: Lazare und der tote Mann am Strand
Robert Hültner ist bei den Lesern in Deutschland vor allem mit seiner siebenbändigen Reihe um den Münchner Inspektor Paul Kajetan (1995-2013) bekannt geworden. Die Romane spielen zwischen den beiden Weltkriegen und verbinden spannende Kriminalfälle mit genau recherchierten historischen Settings. Von DIETMAR JACOBSEN
Für den raffinierten Mix aus spannender Unterhaltung und facettenreichen Zeitporträts wurde der in München und einem Bergdorf in den südfranzösischen Cevennen lebende Hültner dreimal mit dem Deutschen Krimipreis und einmal mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Ähnlich unangepasst, aufrichtig und moralisch integer wie Paul Kajetan ist der Held von Hültners neuer Serie, Narciso, oder kurz: Siso, Lazare. In seinem ersten Fall bekommt es der in der Zentrale der regionalen Kriminalpolizei Montpellier arbeitende Ermittler mit einem toten Gitan, raffgierigen Spekulanten und einem unabgeschlossenen Fall aus der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs zu tun.
Sie mögen es nicht, die Polizisten von Sète, einer mittelgroßen Hafenstadt an Südfrankreichs Mittelmeerküste, wenn ihnen ein Mann von außerhalb ins Handwerk pfuscht. Und schon gar nicht, wenn es einer wie Inspektor Narciso Lazare ist – ein bisschen unnahbar, ein bisschen von oben herab, ein bisschen zu anti-provinziell für ihren Geschmack.
Und warum schickt man überhaupt von übergeordneter Stelle einen Top-Ermittler, wenn es sich bei dem aus dem Wasser gefischten toten Mann, einem der in einer Siedlung am Ortsrand lebenden, von den Einheimischen »Gitans« genannten Roma, doch lediglich um das Opfer eines Unfalls handelt, wie erste Ermittlungen ergeben haben?
Ein toter Zuhälter
Doch Lazare ist keineswegs nur wegen des offensichtlich kriminellen Kreisen zugehörenden Toten vor Ort. Stattdessen nutzt er die Gelegenheit und versucht, die Machenschaften eines mafiosen Netzwerks aufzudecken, welches die ganze Gegend im Griff zu haben scheint. Dass ihn seine Alleingänge dabei nicht gerade den Ruf eines umgänglichen Kollegen einbringen und zudem nicht ganz ungefährlich sind, nimmt er in Kauf.
Zudem sieht es ganz so aus, als würden seine skrupellosen Gegner über jeden seiner Schritte im Bilde zu sein – offenbar haben sie einen Informanten direkt bei der örtlichen Polizei. Und auch die internationale Dimension des Falles, die mit dem Erscheinen von zwei deutschen Beamten, die einen flüchtigen rechtsradikalen Mörder, der bei örtlichen Gesinnungsgenossen untergetaucht ist, zurückeskortieren sollen, macht die Sache für Hültners Helden komplizierter als gedacht. Denn plötzlich öffnet sich der Blick auch noch auf eine deutsch-französische Geschichte, deren Anfänge in der Zeit des Faschismus liegen, die aber selbst nach einem halben Jahrhundert noch nicht zu ihrem Abschluss gekommen ist.
Grundstücksspekulanten, Neonazis und eine Geschichte aus dem letzten Krieg
In 86 kurzen Kapiteln, immer wieder die Perspektive wechselnd und durch geschickt platzierte Cliffhanger seine Leser an das Erzählte fesselnd, erzählt Robert Hültner von einfachen, heimatverbundenen, aufrechten Menschen und solchen, die bereit sind, für ein bisschen mehr Profit über Leichen zu gehen. Die Sünden der Tourismusindustrie geraten genauso in den Blick wie tief verwurzelter Fremdenhass und Rassismus. Nicht zuletzt freilich geht es auch um die dunkle Seite aktueller Globalisierungsprozesse, nämlich darum, dass auch das Verbrechen nationale Grenzen längst überwunden hat, weltweit vernetzt ist und es zu seiner Bekämpfung deshalb neue Strategien braucht.
Mit ›Lazare und der tote Mann am Strand‹ ist Robert Hültner wieder ein komplexer, mehrere Fälle geschickt miteinander verbindender Kriminalroman gelungen. Genaue Orts- und Mentalitätskenntnisse – Hültner lebt seit Jahren nicht nur in München, sondern auch in einem Cevennen-Dorf –, eine spannende, die gesellschaftlichen Probleme unserer Gegenwart nicht ausklammernde Handlung sowie Figuren, die wiedererkennbar sind und »Serienpotenzial« besitzen, zeichnen ihn aus.
Von den Frankreich-Krimis anderer Autoren – von Jean-Luc Bannalec (Bretagne) über Sophie Bonnet und Cay Rademacher (Provence) bis hin zu Christine Cazon (Côte d’Azur) – unterscheidet ihn vor allem die Ernsthaftigkeit, mit der er nach dem Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart fragt, und das absolute Desinteresse am touristischen Detail.
Wer Hültner als leichte Urlaubslektüre ins Handgepäck steckt, wird seinen Irrtum deshalb schnell bemerken. Liest er trotzdem weiter, belohnt ihn dieser Roman freilich mit Kenntnisreichtum, Humor, Haltung und Stil.
Titelangaben
Robert Hültner: Lazare und der tote Mann am Strand
München: btb 2017
484 Seiten. 20.- Euro
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