//

Lehrstück ohne Lehre

Bühne | Max Frisch: Herr Biedermann und die Brandstifter

Der andauernde Krieg in Syrien oder Donald Trumps Zölle auf außerhalb den USA stammende Waren zeigen es: Der Fall ›Herr Biedermann und die Brandstifter‹ ist aktueller denn je. In Pforzheim zeigt Max Frischs Parabel bzw. ›Lehrstück ohne Lehre‹ (Uraufführung 1956), wie es im Untertitel genannt wird, wie Gutmenschentum, Moral und Egoismus miteinander einhergehen. Von JENNIFER WARZECHA

Gottlieb Biedermann (psychologisch überzeugend und ausdrucksstark: Robert Besta) ist Haarwasserfabrikant und lebt zusammen mit seiner Frau (überzeugend mit perfektem, das süße Weibliche ausdrückende Kostüm: Katja Thiele, Kostüme: Dirk Steffen Göpfert) und Haushälterin (überzeugend und ausdrucksstark: Mira Huber) im eigenen Haus. Nicht nur das: In der Pforzheimer Inszenierung von Hannes Hametner ist er zugleich Teil einer Talk-Show mit dem Namen ›Light up your life!‹ Die beiden Moderatorinnen (witzig und charmant: Katja Thiele und Mira Huber) binden so ihn und das Publikum im ausverkauften Saal des Stadttheaters mit in das Geschehen ein.

THPF Herr Biedermann und die Brandstifter

Sie führen anhand des Beispiels Herr Biedermann aber auch vor, wie anfällig der Mensch dafür ist, sich einerseits der Doppelmoral hinzugeben, andererseits aber auch, sich selbst zu belügen. Biedermann zum Beispiel lobt sich selbst dafür, den Brandstiftern (mimisch und von der Ironie her als Willi Eisenring überzeugend: Sophie Lochmann, ironisch und grotesk überzeugend: Jens Peter) Tisch und Bett zu geben. Er biedert sich den beiden im wahrsten Sinne des Wortes an. Weil er sie zugleich als Bettler behandelt, indem er nur das Notwendigste, und das ganz ohne Dekoration, auftischt, ist auch diese Handlung mit einer Doppelmoral belegt.

Verleugnung als Mittel, um die Realität zu ertragen

So empfängt Biedermann zwei Brandstifter in seinem Haus, jüngst zu dem Zeitpunkt, als reihum ihn sich die Fälle von Brandstiftung häufen. Nicht nur sein Dienstmädchen (überzeugend in der Rolle der Dienstleisterin und Außenseiterin Anna: Mira Huber) wird mehrmals geradezu kreidebleich, als sie in Kontakt mit dem Brandstifter Sepp Schmitz (überzeugend ironisch und ausdrucksstark: Jens Peter) tritt, zum Beispiel dann, als sie ihm das Essen serviert. Auch Frau Biedermann (entzückend weiblich und ironisch: Katja Thiele) traut dem Frieden nicht und erschrickt zum Beispiel, als sie ein Gähnen von oben auf dem Dachboden vernimmt.
Biedermann selbst leugnet nicht nur vor ihr, sondern auch vor sich selbst immer wieder die Gegenwart der Brandstifter, wobei ihm oft anzumerken ist, dass er sehr wohl das schreckliche Ende der Geschichte: den Brand des Hauses, kommen sieht.

In dem Moment, als Biedermann dem Brandstifter Sepp Schmitz (Jens Peter) mitteilt, dass sowohl seine Frau als auch seine Haushälterin ihn für einen Brandstifter halten, er aber nicht, verrät schon sein Gesicht etwas anderes. Auch als der andere der beiden Brandstifter die Schnur seines Bademantels mit einer Zündschnur vergleicht und sie ausmisst, wird klar: Biedermann ist wie auch manche Menschen im Alltag gut darin, die Realität zu verkennen, sie geradezu zu leugnen und das, obwohl sie augenscheinlich eine andere ist. Eine, die man in dem Moment einfach nicht wahrhaben möchte.

Ein ehrenwerter Mensch?!

Wie es nun mal so ist mit der Moral, auch sie sollte nicht zur Scheinmoral werden. Biedermann tritt schon im edlen Anzug oder teilweise samtenen Bademantel sehr seriös und gediegen, meist mit perfekt sitzendem Scheitel und buchstäblich aalglatten Haaren, gegenüber dem Publikum auf. In einer Szene fragt er zuerst, ob er das Publikum direkt ansprechen dürfe. Schließlich reflektiert er vor diesem, was für ein »toller und ehrenwerter Mann« er doch sei, zum Beispiel habe er nie gelogen oder jemanden umgebracht, »zumindest weiß ich nichts davon«, wie Biedermann im Stück sagt. Gerade der letzte Satz deutet daraufhin, dass es zuweilen leicht ist, sich seine eigene Welt und Sichtweise auf diese zurechtzuzimmern.

An diese Ironie schließen sich die Intermezzi beider Brandstifter an, welche immer wieder Fragen an das Publikum stellen wie diese, ob die Zuschauer gerne einen reichen Mann oder eine reiche Frau heiraten würden oder die nicht unerhebliche Frage, ob es im Rückblick auf das Leben eines Toten wichtiger sei, auf die erfüllten oder die unerfüllten Hoffnungen zu schauen. Wer aber vermag über das Leben eines anderen zu urteilen bzw. es gar zu verurteilen, erst recht, wenn derjenige schon tot ist?

Das Lehrstück bildet die Lebensrealität exakt ab

Vor allem aber: Wie geht es an, dass wir allesamt in einer Welt leben, in der zwar christliche Werte wie Nächstenliebe oder das Gebot »Du sollst nicht töten« gelten, es aber immer wieder zu Mord und anderen (Kriegs-)Verbrechen kommt? Wie aus dem Nachgespräch zum Stück hervorgeht, ist anzunehmen, dass auch hier die Werte so hingedreht werden, dass sie zum Leben des einzelnen Menschen passen und umgekehrt. Biedermann hier in seiner Rolle macht aber auch klar, dass Scheinmoral und Wegsehen längst Teil des beruflichen und privaten Alltags geworden sind, wie sich schon allein in den oben genannten Beispielen zeigt. So steht Biedermann, wie Hannes Hametner im Nachgespräch erwähnt, auch für den neoliberalen Politiker, »dem heute alles egal ist, was er gestern gesagt hat.« Die Figur des Biedermanns steht auch für den neoliberalen Chef, »der völlig cool bleibt beim Tod seines Angestellten« wie auch Biedermann hier im Stück sich völlig unbeeindruckt davon zeigt, dass sich sein Angestellter, nachdem er ihn entlassen hat, umbringt.

Max Frisch appellierte mit ›Herr Biedermann und die Brandstifter‹ an das Publikum, dass jeder überlegen solle, was er mache und wofür er stehe. So wird das ›Lehrstück ohne Lehre‹ zur jeweils individuellen Auseinandersetzung und Begegnung des einzelnen Zuschauers mit sich selbst. Grotesk, heiter mit Tiefgang: einfach rundum gelungen!

| JENNIFER WARZECHA
| FOTOS: SABINE HAYMANN

Titelangaben
Herr Biedermann und die Brandstifter
Ein Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch
Stadttheater Pforzheim

Besetzung:
Moderatorin/ Frau Biedermann — Katja Thiele
Moderatorin/ Assistentin/ Dienstmädchen — Mira Huber
Herr Biedermann — Robert Besta
Sepp Schmitz, Brandstifter — Jens Peter
Willi Eisenring, Brandstifter — Sophie Lochmann

Inszenierung — Hannes Hametner
Bühne und Kostüme — Dirk Steffen Göpfert
Dramaturgie — Peter Oppermann

Weitere Termine:
22.03.2018, 11:00; 25.03.2018: 20:00
31.03.2018: 20:00; 08.04.2018: 20:00

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Schöne und die Biester

Nächster Artikel

Tribut an den »King of Pop«

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Leidenschaft trifft Coolness

Bühne | Show | Break the Tango Es hieß zu Beginn, diese Tanzshow bräche alle Regeln. Nach »Flying Bach« und neben »Breaking Salsa« begeistert seit nunmehr zwei Jahren »Break the Tango« als neuartiges Crossover-Konzept das Publikum in Theatern weltweit. Der Siegeszug des Streetdance scheint unaufhaltsam. ANNA NOAH testet, ob Tango und Breakdance wirklich zusammenpassen.

Ein Traum wird zur Tanzrealität

Bühne | Show: Breaking Salsa In der Verti Music Hall wirbelten bei »Breaking Salsa« neben Kim Wojtera nicht nur Weltklassetänzer aus acht Ländern über die Bühne, sondern es gab auch den Weltmeister im Popping und den Grammy-Gewinner Nené Vasquez und das Mingaco Orchestra live zu erleben. Nach »Flying Bach« und neben »Break the Tango« ist das nun die dritte Verschmelzung zweier völlig unterschiedlicher Tanzrichtungen. ANNA NOAH schlendert durch die Träume der Darsteller.

Liebe, Verwicklungen und Umwege

Bühne | Smetanas ›Die verkaufte Braut‹ Die Protagonistin Marie ist hin und hergerissen in der Wahl ihres Liebsten zwischen dem, den sie liebt und den, den sie heiraten soll. Diverse Personen möchten sie noch dazu hingehend ihrer Liebesentscheidung beeinflussen. Es erklingt das Lied mit den Zeilen »Ob Du ›ja‹ oder ›nein‹ sagst, such‘ Dein Glück« im sehr gut besuchten Großen Haus des Stadttheaters Pforzheim. Alle Besucherinnen und Besucher im Saal verfolgen gespannt die Premiere ›Die verkaufte Braut‹, eine komische Oper von Bedřich Smetana (Uraufführung am 30. Mai 1866 in Prag sowie Erstaufführung der Rezitativfassung 1871 in St. Petersburg). Von JENNIFER

Mauern wachsen, Mauern fallen

Bühne | Ballett: Beethoven. Unerhört. Grenzenlos

Als ein Stück, »das ständig im Werden ist«, stellen es Dramaturgin Alexandra Karabelas, Guido Markowitz, Ballettdirektor am Theater Pforzheim, und Pastoralreferent Tobias Gfell der Katholischen Kirche Pforzheim beim »Theologischen Café« in der Auferstehungskirche dem Publikum vor. ›Beethoven. Unerhört. Grenzenlos‹ heißt das Tanzstück von Guido Markowitz und Damian Gmür, bei dem im wahrsten Sinne des Wortes Mauern eingerissen werden. Nicht nur das: Soundkompositionen und -scapes von Fabian Schulz und Travis Lake sowie bildlich ausgetragene Emotionen innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen machen das Ganze zu einem unvergleichlichen Erlebnis. Von JENNIFER WARZECHA

Absurde Klangfundamente und eigenwillige Texte

Bühne | Konzert: Knorkator »Widerstand ist zwecklos«, das neue Album von »Knorkator« ist seit September draußen und man hat den Eindruck, die »meiste Band der Welt« ist auch 25 Jahre nach ihrer Gründung beliebter denn je. So beliebt, dass die Columbiahalle in Berlin kurzerhand im Dezember 2019 in Knorkatorhalle umbenannt wurde. ANNA NOAH ist gespannt auf ihre Bühnenshow.