Roman | Les Edgerton: Der Vergewaltiger
Truman Ferris Pinter sitzt in der Todeszelle. Der 44-Jährige hat eine junge Frau in seinem Heimatdorf vergewaltigt. Dass er sie danach ermordet haben soll, bestreitet er allerdings. Nun, da die letzten 12 Stunden seines Lebens angebrochen sind, legt er Rechenschaft ab – vor uns, den Lesern des kleinen Romans von Les Edgerton, die er auch hin und wieder als Ansprechpartner benutzt. Ein gemeiner Trick, denn so werden wir, ob wir es wollen oder nicht, zu Vertrauten eines Monsters. Von DIETMAR JACOBSEN
»Ich sag Ihnen, wer in dieser Zelle lebt: Jemand Perfides – sein Name ist Heimtücke. Sein Name ist Lügner; Frevler; Wahrheitsschänder; Heuchler.« So beginnt der im Original 2013 erschienene Roman ›Der Vergewaltiger‹ von Les Edgerton.Und von der ersten bis zur letzten Zeile lässt sein Ich-Erzähler, der Princeton-Absolvent Truman Ferris Pinter, den eine Erbschaft von seinen verstorbenen Eltern in die Lage versetzt hat, sein einsames, homophobes Außenseiterleben in einem kleinen amerikanischen Ort ohne existenzielle Ängste führen zu können, den Leser nicht aus den Klauen seiner unheimlichen Beredsamkeit.
Eines Redestroms, der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – so sind auch die drei Kapitel des Romans überschrieben – zugleich berührt, von einem brutalen Verbrechen ohne die geringste Reue berichtet und seinen Erzeuger letzten Endes gar in einem gottgleichen, überirdischen Licht dastehen lässt.
Ein Monster ohne Reue
Nur die Art, wie Pinter sich vor seinen zukünftigen Lesern geriert, der hohe – und oft falsche – Ton, gespickt mit allerlei gelehrtem Zierrat, den hier ein Verbrecher kurz vor seiner Hinrichtung anschlägt, die Chuzpe, mit der er sich selbst zum Opfer stilisiert und die Welt zur Ursache all seines Schmerzes und Unglücks macht, verhindert letzten Endes, dass uns diese Bestie in Menschengestalt zu nahe kommt. Denn man hat den Mann schnell durchschaut, nimmt ihm seine scheinbare Überlegenheit nicht lange ab und wappnet sich von Seite zu Seite mehr gegen seine dämonische Suada.
Was hat »Häftling 49028« getan? Eine Frau vergewaltigt und ihr anschließend nicht geholfen, als sie im Weglaufen stolperte, mit dem Kopf an einen Stein schlug und ertrank – so die Version des Täters selbst. Für die Gesellschaft – die in Edgertons Roman hauptsächlich aus einem sadistischen Gefängnisdirektor, übergriffigen Wärtern und brutal-geistlosen Mithäftlingen, über die sich Pinter himmelhoch erhaben fühlt, besteht – sind die Einzelheiten hingegen nicht so wichtig.
Die junge Frau, deren Lebenswandel nicht unbedingt solide war, wurde tot aufgefunden – also wandert Pinter wegen Vergewaltigung und Mord in die Todeszelle. Und die wird in Edgertons Roman schließlich zum Auditorium, in dem der 44 Jahre alte Mann in der Nacht vor seinem Tod Generalabrechnung hält mit einer Welt, der gegenüber er sich in seiner Hybris so überlegen fühlt, dass er überzeugt davon ist, seinen Richtern am Ende gottgleich davonfliegen zu können: »Meine Hinrichtung ist für sechs Uhr dreißig angesetzt, auf die Minute genau, und um Punkt sechs Uhr achtundzwanzig werde ich in den Himmel aufsteigen. Ich sehe schon jetzt die verblüfften Gesichter vor mir.«
Apotheose eines Misanthropen
Nicht zum ersten Mal haben der PULP MASTER – Macher Frank Nowatzki und das Übersetzerteam Ango Laina/Angelika Müller eine Noir-Perle für den deutschsprachigen Raum ans Licht gehoben. Kenntnisreich von Ekkehard Knörer in seinem Nachwort beschrieben, ist ›Der Vergewaltiger‹ ein Roman, den man nicht so schnell vergisst. Gerade weil er auf perfide Weise versucht, seinen Leser hinüberzuziehen auf die Seite des Verbrechens, verlangt er ihm ein bisschen mehr ab, als das Thriller normalerweise tun. Und obwohl sich der Vergleich eigentlich verbietet: In seiner Selbstüberhebung und realitätsverachtenden Arroganz hat mich die Hauptfigur auch gelegentlich an einen amerikanischen Präsidenten erinnert, der momentan die Welt als seinen großen Spielplatz anzusehen scheint.
Titelangaben
Les Edgerton: Der Vergewaltiger
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ango Laina und Angelika Müller
Berlin: Pulp Master 2017
158 Seiten, 12,80 Euro
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