Roman | Margriet de Moor: Von Vögeln und Menschen
In ihrem jüngsten Roman ›Von Vögeln und Menschen‹ zeigt die niederländische Schriftstellerin Margriet de Moor ein buntes Panorama des menschlichen Miteinanders auf. Von BETTINA GUTIERREZ
Margriet de Moor, so heißt es immer wieder, zähle zu den bedeutendsten niederländischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Vielfältig sind die Themen, mit denen sie sich in ihren Romanen befasst und die vor allem um die psychologischen Tiefen und Untiefen ihrer Protagonisten kreisen. Dass sie in der Tat eine brillante Schriftstellerin ist und ihren literarischen Ruhm zu Recht verdient hat , zeigt die Lektüre ihres jüngsten Romans ›Von Vögeln und Menschen‹.
Hier entwirft sie ein subtiles Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen, das sich der scheinbar einfachen Frage widmet, warum wir als Menschen so handeln, wie wir handeln. Ausgangspunkt dieser Fragestellung sind in diesem Roman zwei Mordfälle, die Margriet de Moor mit einer Leichtigkeit schildert, als ob es sich um etwas Selbstverständliches handelt, das einem jederzeit widerfahren kann.
So ereignet sich der erste Mord anscheinend auch zufällig: Klazien Wroude, eine Fußpflegerin, arbeitet in einem Seniorenheim in Katwijk, einem Fischerdorf im Süden Hollands, wo sie den neunzigjährigen Bruno Mesdag betreut. Mesdag, dessen Namensgebung an den Maler Hendrik Willem Mesdag und sein bekanntes Panoramabild in Den Haag erinnert, blickt auf eine erfolgreiche Karriere als New Yorker Kunsthändler und sein dort erworbenes Vermögen zurück. Klazien Wroude lebt dagegen mit ihrem Bruder Jannert, einem Tunichtgut ohne Ausbildung und Arbeit, in einer komfortablen Sozialwohnung.
Und so kommt es, dass Klazien den alten Kunsthändler eines Tages eher unfreiwillig erdrosselt. Eigentlich wollte sie ihm nur einige Schecks stehlen, lässt sich jedoch hierbei von ihm ertappen und sieht sich daher genötigt, ihn zu töten. An dieser Stelle fragt sich der Leser, warum Klazien, wohlwissend, dass Bruno Mesdag jede Minute aus dem Bad zurückkehren wird, bei ihrem Diebstahl trödelt und die gestohlenen Schecks erst einmal gegen das Sonnenlich des Fensters hält.
Für diesen Mord wird allerdings nicht die wahre Täterin, sondern Louise Bergman, die fürsorgliche Haushälterin Mesdags verurteilt. Nach einigen Befragungen durch die Polizei gesteht sie schließlich einen Mord, den sie gar nicht begangen hat, und kommt dafür ins Gefängnis. Erst sehr viel später stellt sie sich die Frage, warum sie es verdrängt hat, dass sie Klazien Wroude am Tag des Todes von Bruno Mesdag beim Verlassen des Seniorenheims in der Vorhalle gesehen hat. Nach einiger Zeit wird Louise freigesprochen, doch ihre Tochter Marie Lina, die um das Geheimnis des Mordes weiß, hat sich fest vorgenommen, ihre Mutter zu rächen.
Es geschieht also der zweite Mord: Marie Lina und Klazien verabreden sich am Amsterdamer Hauptbahnhof, treffen aufeinander, schreien sich an und schlagen sich gegenseitig, bis Marie Lina die Schuldige am Schicksal ihrer Mutter in eine Baugrube und somit in den Tod schubst. Diese Szene mutet, wie auch so manche andere Szenen in ›Von Vögeln und Menschen‹ ausgesprochen humorvoll an und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Wie ein Slapstick erscheint dem Leser dieser Streit, bei dem die korpulente Klazien, die mit einer Bluse mit lila Blumenmuster bekleidet ist, auf die grazile Marie Lina, die wiederum Jeans und ein weißes T-Shirt trägt, trifft. Für Margriet de Moor geht es bei dieser Auseinandersetzung wie bei einem »Match« zu: »Eine der beiden Spielerinnen fällt genau in die richtige Ecke.«
Aber nicht nur die weiblichen Protagonistinnen dieses Romans handeln, so wie sie eben handeln. Der Schiffsarzt Paul Caspers hat drei Söhne, die ebenfalls in die turbulenten Wechselfälle des Lebens verwickelt werden. Einer seiner Söhne, Rinus, verliebt sich in die aus Curacao stammende karibische Schönheit Hortense, die er alsbald verlässt, um Marie Lina zu heiraten. Er hat sich in sie verliebt, da sie ihn an seine ehemalige karibische Freundin erinnert: »Marie Lina gleicht Hortense. Die bodenständige blonde Marie gleicht der schwarzhaarigen karibischen Schönheit Hortense.«
Nur ein Dichter, bemerkt Margriet de Moor, würde diese Ähnlichkeit erkennen. Nachfolger von Rinus sind seine Brüder Eddy und Willem. Beide ehelichen und verlassen Hortense, wobei Willems Abschied nicht endgültig ist. Seines Alltags als Arzt überdrüssig zieht er plötzlich und anscheinend unvermittelt nach Argentinien, wo er zurückgezogen in einem Dorf lebt, in dem Schafe gezüchtet werden: »Ich komme vorläufig nicht zurück Hortense, liebste Frau der Welt, du bist doch nicht böse auf mich, oder?« schreibt er ihr in einem Brief.
Doch all diese Turbulenzen lösen sich im Laufe der Handlung langsam und meist unverhofft auf und fügen sich am Ende zum Guten. Margriet de Moor lässt ihren Roman in einem versöhnlichen Mittagessen, bei dem sich alle noch lebenden Protagonisten treffen, enden. Auch Marie Lina, die eine Gefängnisstrafe verbüßt hat, nimmt daran teil und fühlt sich »inmitten der allgemeinen Herzlichkeit« auf einmal ganz leicht. Hortense wird wiederum von der Rückkehr ihres Ehemanns Willem überrascht.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich bei ›Von Vögeln und Menschen‹ um ein modernes Märchen handelt, bei dem alles gut ausgeht. Mit psychologischem Feinsinn und Empathie wirbt Margriet de Moor in ihrem warmherzigen Roman vielmehr um Verständnis dafür, dass der Mensch so handelt und ist, wie er ist und dass dies eigentlich keiner Erklärungen oder Fragen nach dem Warum bedarf. Eine wunderbare Lektüre, ein wunderbares Buch.
Titelangaben
Margriet de Moor: Von Vögeln und Menschen
München: Hanser Verlag 2018
272 Seiten, 23 Euro
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