/

Feindliche Übernahme

Roman | Dominique Manotti: Kesseltreiben

Dominique Manotti gilt als Expertin in Wirtschaftsfragen. Und, weil sich in ihren Romanen profundes ökonomisches Wissen, ein wiedererkennbarer Individualstil und das Gespür für spannende Plots verbinden, auch als eine der besten und aufregendsten Thrillerautorinnen, die Europa zurzeit hat. Von DIETMAR JACOBSEN

In ihrem neuen Werk ›Kesseltreiben‹ lässt sie zwei alte Bekannte – Noria Ghozali und Théo Daquin –, beide in mehreren ihrer Bücher bereits aufgetreten, erneut agieren, sie in einer Haupt-, er in einer Nebenrolle, und konfrontiert sie mit einer Übernahmeschlacht, die, wie häufig in den Büchern Manottis, inspiriert wurde durch ein reelles Vorbild.

Manotti KesseltreibenNoria Ghozali, Manotti-Lesern bereits vertraut aus den Romanen ›Roter Glamour‹ (2001, deutsch 2011) und ›Einschlägig bekannt‹ (2010, deutsch 2011), ist nach einem fünfjährigen Intermezzo beim französischen Inlandsnachrichtendienst zurückgekehrt in ihre alte Dienststelle. Da einer der Brüder der Maghrebinerin sich dem IS angeschlossen hat, hat man sie wohl nicht mehr für besonders vertrauenswürdig in Sachen Terrorismusbekämpfung gehalten.

Nun soll sie also eine kleine Abteilung leiten, die sich mit dem Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit Frankreichs beschäftigt. Zeit zum Einarbeiten in die für Noria relativ unbekannte Materie bleibt kaum. Denn bei dem Energieriesen Orstam gehen Dinge vor sich, die ihre und ihrer beider jüngeren Mitarbeiter vollste Aufmerksamkeit verlangen.

Mit allen Mitteln

Warum der international agierende Konzern seine Top-Manager in einem internen Rundschreiben vor Reisen in die USA gewarnt hat, weiß niemand so genau. Immerhin scheint die Vorsichtsmaßnahme berechtigt. Denn kaum kommt François Lamblin, einer aus Orstams Führungsetage, am New Yorker Flughafen JFK an, wird er vom FBI in Gewahrsam genommen. Dass die Pariser Zentrale sofort Anwälte in Marsch setzt, ist sie ihrem Mitarbeiter natürlich schuldig. Doch so richtig scheint niemand daran interessiert zu sein, dem Mann zu helfen.
Hauptsache die Stimmung unter den Mitarbeitern in Lamblins Abteilung kocht nicht hoch. Denn hinter dem Rücken der Belegschaft handelt Orstam-Chef Carvoux mit dem amerikanischen Konkurrenten PE gerade einen Deal aus, gegen den sich der in New York in Haft Sitzende wohl ausgesprochen hätte.

Es ist der Übernahmekampf, den der US-amerikanische Konzern General Electric (GE) zwischen 2013 und 2015 um das französische Unternehmen Alstom Énergie führte, der Manottis Roman inspirierte. Auch ihr Orstam-Konzern hat seinen Firmensitz in Levallois-Perret nahe Paris. Auch in ihrem Roman arbeiten Wirtschaft, Politik und Geheimdienste Hand in Hand. Und genauso, wie der französische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg Alstom-Chef Patrick Kron, als die Ohnmacht des Staates in der Affäre offen zutage lag, vorwarf, ihn in ihren vertraulichen Gesprächen über die Zukunft des Konzerns angelogen zu haben, hat auch Manottis Orstam-Lenker Carvoux das Geschäft mit den Amerikanern längst besiegelt, als man im Elysée noch an eine europäische Lösung glaubt.

»Das Mammut liegt im Sterben«

Eine zornige Dominique Manotti hat diesen Roman geschrieben – ein Buch, in dem drei aufrichtige Menschen einen Kampf führen, der von vornherein verloren ist. Denn gegen die gut vernetzten Wirtschaftseliten kommt das Team von Noria Ghozali nicht an. Zwar kann man moralische Teilerfolge für sich verbuchen – indem etwa ein CIA-Agent, der auch vor Mordaufträgen nicht zurückschreckt, Frankreich schließlich verlassen muss –, doch ansonsten besitzt man keine nennenswerte Lobby. Stattdessen müssen Noria und ihre Mitstreiter ein um das andere Mal erleben, wie ohnmächtig Recht und Gerechtigkeit in einer Welt sind, die von der Gier der Mächtigen beherrscht wird.

Die setzt sich letztlich auch über die Ängste der vielen Angestellten hinweg, deren berufliche Zukunft durch die Fusion infrage gestellt ist. Und dass der Staat im Jahre 2015 noch regulierend in die Machenschaften einer sich über alle Widerstände erhebenden liberalen Wirtschaft einzugreifen vermag, wird Noria Ghozali spätestens in dem Moment als Illusion bewusst, als sie im »Tempel republikanischer Macht«, dem Elysée, wo »alles voller Gold und Erinnerung an vergangenen Ruhm« ist, dessen Ohnmacht aus erster Hand erfahren muss. Vielleicht hat sie es schon länger gewusst, aber erst im (leeren) Zentrum der Macht wird Noria mit einem Male klar: »Das Mammut liegt im Sterben.«

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Dominique Manotti: Kesseltreiben
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Hamburg: Argument Verlag 2018 (Ariadne 1231)
397 Seiten, 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Dietmar Jacobsen über Dominique Manotti in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zwei rasende Tiere

Nächster Artikel

Befreiungsschlag

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Demokratie im Härtetest

Roman | Horst Eckert: Die Macht der Wölfe

Zum vierten Mal arbeitet Melia Adan, deren Chancen, Düsseldorfs nächste Kripochefin zu werden, gerade nicht schlecht stehen, mit Hauptkommissar Vincent Veih zusammen. Und erneut geht es um sehr viel. Während Vincent nämlich der Fund von Leichenteilen auf einer Großbaustelle im Stadtzentrum in Trab hält, ist Melia im geheimen Auftrag der Bundeskanzlerin, die von ihrem eigenen Staatssekretär erpresst wird, unterwegs. Dass das eine mit dem anderen zu tun hat, ahnt bereits, wer die ersten drei Bände der Veih-Adan-Reihe des Düsseldorfer Autors Horst Eckert gelesen hat. Und der bietet auch in dem unter dem Titel Die Macht der Wölfe erschienenen neuen Abenteuer des sympathischen Ermittlerpaars, das nun auch privat zusammen ist, Politthrill vom Feinsten und viele Anspielungen auf die aktuelle Situation hierzulande. Von DIETMAR JACOBSEN

Sarah Lund

Krimi | TATORT – Aus der Tiefe der Zeit (BR), 27. Oktober & Komissarin Lund: DVD-Box Wir sahen 2012 im ZDF die fünfteilige dänische Serie Die Brücke, im Kino Stieg Larssons Millenniumtrilogie Verblendung, Verdammnis, Vergebung (Schweden, 2009). Aus welchem Grund das nördliche Europa so hervorragend Krimi kann? Man weiß es nicht. Kommissarin Lund lief in Dänemark im Januar 2007 an und wurde in zwanzig Folgen zu je 55 Minuten gesendet, das ZDF sendete ab 14. September 2008 in zehn Folgen wöchentlich zu jeweils 105 bis 115 Minuten, das österreichische ORF sendete ebenfalls zehn Teile, beginnend am 3. Juli 2009. Von

»Irgendeiner musste es tun«

Roman | Elisabeth Herrmann: Das Dorf der Mörder In Elisabeth Herrmanns neuem Thriller Das Dorf der Mörder suchen zwei Menschen nach der Wahrheit hinter einem grausamen Verbrechen. Von DIETMAR JACOBSEN

Von Sydneys Opernhaus bis zur Elbphilharmonie

Roman | Heinrich Steinfest: Gemälde eines Mordes

Zum zweiten Mal ermitteln Frau Wolf und Markus Cheng in verkehrten Rollen. Während Cheng in 5 Fällen der »einarmige Detektiv war«, ist er inzwischen nämlich zum »einarmigen Assistenten« geworden. Und aus der ehemaligen Assistentin Frau Wolf wurde seine Chefin. Das hat freilich nichts daran geändert, dass das Duo auch weiterhin mit Ermittlungen beauftragt wird, die mehr als nur ein bisschen aus dem Rahmen fallen. Diesmal ist ein Wombat-Forscher in Australien verschwunden. Und weil seine hinterbliebene Gattin es sich leisten kann, setzt sie Wolf und Cheng auf die Spur des Vermissten. Die zunächst zu einem Quartett von deutschen Lottogewinnern führt, die es gar nicht mögen, wenn man ihnen nachspioniert. Von DIETMAR JACOBSEN

Durchgeknallte Freundeskreise

Film | TV: Tatort – Todesspiel (SWR), 19. Januar Eine Clique um die Dreißig, Konstanzer Boheme, bunt zusammengewürfelt; wer auf sich hält, ist dabei: Vom steinreichen Privatier über Boutiquenbesitzerin und Hedgefondsmanager zum Superstarwettbewerbszweitplatzierten bis zur traumatisierten, abgelegten Ex in der Klinik – sortiert von einer Kommissarin Blum (Eva Mattes), die zielstrebig und unbeirrbar ermittelt wie eine, Kompliment, Miss Marple at her best. Auf so tragfähigem Fundament wurde TATORT seit gefühlten Ewigkeiten nicht gedreht. Man vergisst zu schnell. Von WOLF SENFF