Jugendbuch | Kristina Aamand: Wenn Worte meine Waffe wären
Der Vater liegt im Krankenhaus, hat es mit dem Herzen, die Mutter ist ohnehin am Ende mit ihrer Kraft. Sheherazades Aufgabe ist die, eine gute Tochter zu sein, damit wenigstens irgendetwas im Leben der Familie gelingt. Keine leichte Aufgabe. Von ANDREA WANNER
Die 17jährige Muslima trägt ihr Kopftuch zum Schutz gegen Anmache und blöde Sprüche. Sie trägt es auch, weil es einfach dazugehört. Die Pläne, die die Eltern für sie haben, sind ambitioniert: Sheherazade soll Ärztin werden. Der Alltag sieht alles andere als rosig aus.
Den Vater lässt der Krieg, vor dem sie nach Dänemark geflohen sind, nicht los. Er war ein Dichter und Schriftsteller, er hat die Wahrheit berichtet und saß dafür im Gefängnis.
Die Mutter hat sich angepasst an das Leben unter anderen Migranten im Exil, trinkt Tee mit den Nachbarinnen des runtergekommenen Viertels, in dem sie leben, und träumt sich ein besseres Leben für ihr einziges Kind: als erfolgreiche Ärztin, als Ehefrau eines angesehenen Mannes und Mutter vieler Kinder, ihrer Enkel.
Was Sheherazade selbst will, scheint keinen zu kümmern. Sie besucht ein Gymnasium, in dem sie als einziges muslimisches Mädchen als Exotin bestaunt und angegriffen wird. Sie ist fleißig, gehorsam und versucht alles, es ihren Eltern recht zu machen. Bis sie Thea trifft.
Thea ist anders. Frech, ungezwungen, offen. Ihre Eltern haben sie sowohl mit materiellen Dingen als auch mit Freiheiten bestens ausgestattet. Ihre große Sorge gilt ihrer Mutter, einer sportlichen Journalistin, die mit einer Lähmung im gleichen Krankenhaus liegt wie Sheherazades Vater. Sie hat einen großen und zwei kleine Brüder, steckt voller Lebensfreude und ist erfrischend direkt. Also eigentlich das genaue Gegenteil von Shereazade. Die beiden treffen sich vor dem Kakaoautomat, dem einzigen Lichtblick in dem tristen Gebäude, fangen an miteinander zu reden, finden sich sympathisch. Der Beginn einer Freundschaft. Und mehr.
Man könnte Kristina Aamand ankreiden, dass sie ihren Jugendroman überfrachtet. Denn es gibt kaum ein Thema aus der Lebenswelt der Jugendlichen, das nicht angesprochen wird. Liebe, Sex, Outing, Ehrenmord, Mobbing, Rassismus, Schule und Berufswahl, Anpassung an Rollen und Aufbegehren dagegen Festlegungen. Auf der anderen Seite gestaltet sie ihre Figuren trotz aller Klischees lebendig und überzeugend. Sheherazade, die zu She wird, verarbeitet vieles in ihren Zines, kleinformatige Arbeiten mit eigenen Texten und Bildern, die sie zu Collagen zusammenbastelt.
Wo Worte nicht ausreichen, drücken diese kleinen Sequenzen, von Sune Ehlers gezeichnet und geschickt in die Geschichte integriert, eine Menge an Gefühlen aus. She erzählt aus ihrer Perspektive, die eine eigene Wahrheit mitten in vielen anderen Wahrheiten darstellt. Auch sie liegt manchmal falsch mit ihren Analysen, interpretiert zu viel in Dinge hinein, überhört anderes. Sie ist jung und die Welt ist komplex: Wer liegt da schon immer richtig?
Schließlich sind es die überzeugenden Worte der Autorin am Ende des Buches, die die Dinge ins richtige Licht rücken. Kristinaa Aamand ist die Tochter einer dänisch katholischen Mutter und eines palästinensisch-muslimischen Vaters. Sie kennt das Dazwischen. Sie hat es auch in ihrer Arbeit als Krankenschwester und Sozialarbeiterin für ethnische Minderheiten erlebt.
So ist der Versuch, ganz unterschiedliche Positionen und Weltsichten nebeneinanderzustellen ein durchaus gelungenes, lesenswertes Projekt für junge Menschen, um daraus eigene Schlüsse zu ziehen und sich zu überlegen, ob Toleranz beginnt und wo sie aufhört.
Titelangaben
Kristina Aamand: Wenn Worte meine Waffe wäre
(For enden of din pegefinger, 2016)
Aus dem Dänischen von Ulrike Brauns
Mit Illustrationen von Sune Ehlers
Haburg: Dressler 2018
272 Seiten, 16 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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