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Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf

Digitales | Games: Red Dead Redemption 2

»Buuuh, eine langweilige Fortsetzung!«, mag der geneigte Leser denken, wenn eine fortlaufende Ziffer einen Spieletitel wie ›Red Dead Redemption‹ ziert. Dass aber das neueste Werk der Rockstar Studios das Duell bei Mittag mit niemandem scheuen muss, beobachtet FLORIAN RUSTEBERG bei seinem Streifzug durch den Wilden Westen. 

RDR2Erfolg lässt sich an vielerlei Maß messen: Bekanntheit, Ruhm und Ansehen sind weiche, vergängliche Faktoren. Klar erkennbar ist der Erfolg beim Erreichen von hohen Posten, Ämtern und gesteckten Zielen. Doch eine Währung des Erfolgs ist darüber hinaus universell und allgemeingültig – es geht um Geld. Das liebe Geld hält unsere Gesellschaft am Leben und wir alle denken täglich daran. Ebenso ist in dem massiv wachsenden Videospielmarkt das Geld Thema Nr. 1. Daran gemessen gilt ›Grand Theft Auto V‹ als erfolgreichste Videospielproduktion überhaupt. Keine Frage also, dass ›Red Dead Redemption 2‹ als indirekter Nachfolger große Fußstapfen zum Ausfüllen vorfindet. Der direkte Vorgänger ›Red Dead Redemption‹ aus dem Jahre 2010 erschien nur auf Konsole und konnte beim finanziellen Erfolg nie mit der überragenden ›Grand Theft Auto‹-Reihe mithalten, gilt mit guten Kritiker- und Spielerbewertungen jedoch als eines der besten Spiele seiner Zeit. Wie schlägt sich nun also die Neuerscheinung, die einige Jahre vor den Ereignissen des Vorgängers spielt?

Neu ist der Hauptcharakter, Arthur Morgan, der ein Mitglied der bekannten »Van der Linde Gang« ist. Kenner des ersten Teiles mögen sich vermutlich an die Bande erinnern. Sie werden stetig auf Altbekannte treffen und die Handlung vermutlich intensiver wahrnehmen. Ohne diese Vorkenntnisse entsteht allerdings kein Nachteil, die Geschichte steht gut für sich selbst.

Zu Beginn dieser steckt die Gang in der Bredouille, denn ein großer Raubüberfall lief aus dem Ruder, die Beute ist futsch und auf der Flucht vor dem Gesetz findet sich der kleine Tross aus Männern und Frauen im verschneiten Gebirge wieder. Statt Knast drohen der kleinen, bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft nun Kälte und Hunger. Das Spiel nutzt diese ersten Stunden, um den Spieler an Grundmechaniken heranzuführen. Neben ersten Schießereien und einer Prügelei wird viel geredet und die Charaktere, die sich um den charismatischen Dutch van der Linde scharen, werden aufgebaut. Nach einem klassischen Zugüberfall beginnt mit dem Abstieg in das Flachland Kapitel zwei und die beinahe freie Erkundung der großen Spielwelt. Diese setzt sich aus fiktiven US-Bundesstaaten zusammen, inspiriert von Texas, Nevada, Florida, den Rocky Mountains und den Great Plains.

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Für eine Handvoll Dollar

Von nun an sind die Gang und Arthur getrieben von Verfolgern, dem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit und allem voran dem schnellen Dollar. Diesem ist im sterbenden Wilden Westen nicht mehr so einfach beizukommen, ohne ins Visier von US-Marshalls und Agenten der Pinkerton-Detektei zu fallen. So muss die Gang später ihr Lager erneut umsiedeln, um den Wohlstand in neuen Gefilden zu suchen. Dabei ist der Zusammenhalt der Gemeinschaft gefragt und im Verlauf der ersten Spielstunden dreht Arthur fast mit jedem von ihnen ein Ding, sei es nun Einbruch, Überfall oder Erpressung. Wie im echten Leben weist der Gangalltag dennoch einige Reibereien und Konflikte auf. ›Red Dead Redemption 2‹ vertraut in seiner tragischen Erzählung auf die Gang und ihre Prinzipien, deswegen wird sich viel Zeit genommen, das Fundament dafür zu legen. So mag es dem einen oder anderen vorkommen, dass der Erzählfluss bis weit in das dritte Kapitel hinein nur wie ein Rinnsal dahintröpfelt. So viel Zeit muss ihm aber gegeben werden, bis die Wogen reißender werden und sich dem dramatischen Höhepunkt nähern.

Gleichsam wäre das Western-Epos auch ohne die spannende Hauptgeschichte ein grandioses Unterhaltungsprodukt. In freier Erkundung kann der Spieler sich mit Angeln, Jagen, Rauben, Zocken, Reiten, Erkunden und zahlreichen Nebenaufgaben die Zeit vertreiben. Gerade letzteres wird durch die schrulligen Typen, wie man sie immer wieder in Rockstar Spielen findet, positiv aufgelockert. Negativ typisch für das Studio sind im gleichen Maße die beschnittenen Komfortfunktionen, wie etwa die kaum vorhandenen Schnellreisen und zeitaufwendiges Crafting. Zeitraubend, da alles mit dem Charakter erlebt werden muss, der wirklich jedes Stück Fleisch einzeln brät. Hier sollte die Frage gestellt werden, wann der Spielspaß aufhört und die Arbeit beginnt. Schnellreisen aus dem Camp existieren, allerdings erst nachdem mehrere hundert Dollar in dessen Ausbau investiert wurden, ohne zu wissen wofür. Ähnlich zieht es sich durch das ganze Spiel: Wichtige Informationen und Tutorials erscheinen oft nur als kleine Hinweistafeln in der linken oberen Ecke, so wie es schon von dem 17 Jahre alten ›Grand Theft Auto III‹ bekannt ist. Dabei kann es passieren, dass Erklärungen für Zugüberfälle schon dann erscheinen, wenn ein Zug vorbeifährt, aber ausbleiben, wenn der eigentliche Überfall ansteht.

Spielerisch handelt es sich sicherlich um keine Enttäuschung, trotzdem ist noch einige Luft nach oben. Klar ist, dass in einem Western viel geschossen wird. Dennoch verkommen Schießereien meist zu schießbudenartigen Abschnitten. Grund für das Ableben oder Scheitern von Missionen ist meist nur Dusseligkeit des Spielers selbst oder der unklaren Anweisungen des Spiels. Trotz oder wegen der vielen Möglichkeiten fühlt sich die Steuerung von ›Red Dead Redemption 2‹ zu häufig kompliziert an und es sind zu viele Tasten auswendig zu lernen, um in hektischen Situationen reagieren zu können.

Fantastische Welt

Die offenen Welten der von Rockstar produzierten Spiele haben stets eher im Großen und Ganzen überzeugt, als in den grafischen Details. Mit der aktuellen, kraftvollen Konsolengeneration hat sich nun alles zum Besseren gewandelt. Die Charaktere und Texturen sehen in den Echtzeit-Zwischensequenzen realistisch aus und vermitteln einen ebensolchen Eindruck. Angefangen bei den häufig auftauchenden, wilden Bärten (oder Stoppeln) über Haare und Hautunreinheiten, alles ist herausgearbeitet. Als wichtiger Bestandteil des Spieles ist die Animation der Pferde auf einem ganz neuen Level. Nicht nur sind viele, komplett verschieden gebaute Rassen vorhanden, auch bei ihrem Gang wird der Eindruck von echten Muskelbewegungen unter ihrer Pferdehaut erweckt. So realistisch waren Pferde noch nie, dabei gab es schon viele Pferde in Videospielen. Das Versprechen einer »riesigen, realistischen, lebendigen Welt«, die immer wieder auch von verschiedenen Konkurrenten beworben wird, wird im südwestlichen, fiktionalen Amerika, das Arthur durchstreift, wird endlich gehalten. Nichts kommt bislang diesem Versprechen näher.

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Die Darstellung auf große Distanzen ist grandios und verschwimmt nicht in Detailarmut. Die Unterschiede der verschieden starken Konsolenversionen liegen hauptsächlich in der Auflösung, die von deutlich unter FullHD der Basiskonsolen bis zu UHD(4k) auf der Xbox One X reicht, und wie stabil die 30 Bilder pro Sekunde auch in viel bevölkerten Städten erreicht werden. Darüber hinaus bestehen kaum Unterschiede in der Optik, was an sich schon eine fantastische Errungenschaft ist.

Prinzipiell lässt sich nun viel schwärmen, zum Beispiel darüber, wie fantastisch der Tiefschnee aussieht und sich beim Durchwaten anfühlt,  die fantastische Flora und Fauna, die fantastische Persistenz von mit der Zeit verrottenden Kadavern oder die bleibenden Verwundungen der NPCs. Ein alles in allem fantastisches, digitales Abbild des Wilden Westens, das man beim Durchreiten einfach lieben muss.

Red Dead Online – Zusammen reitet es sich besser?

Wem der Inhalt noch zu wenig ist, der kann sich auf den Online-Mehrspieler ›Red Dead Online‹ freuen. Der ist gerade frisch erschienen, allerdings nur als Beta-Version und damit nicht final. Die ersten Stunden vermitteln aber schon jetzt den Eindruck einer problemlosen Nutzung. Ähnlich wie beim Onlinemodus von ›Grand Theft Auto V‹, der die zweite Säule des gigantischen Erfolges bildete, ist die gesamte Spielwelt des Einzelspielermodus begehbar und gespickt mit verschiedenen Events, Herausforderungen und Spielmodi. Umrahmt ist dieses bunte Buffet von einer, zumindest vorerst, kurzen Handlung. Die setzt euch als frisch aus dem Knast befreiten Nobody in eine Welt voll mit gleichgesinnten Gesetzlosen. Etwa fünf Stunden lassen sich so kooperativ, einem roten Faden folgend, verbringen. Danach herrscht Anarchie. Ähnlich wie beim gegenwärtigen Pendant kann der Spieler jederzeit aus dem Hinterhalt von anderen Spielern über den Haufen geschossen werden – oder selbiges auch ohne Hinterhalt eigenhändig an anderen begehen.

Wie gehabt gilt es, sich für den Erfolg Mitspieler zu suchen, denn allein ist es zumeist ein Ritt in den Tod. Da der Wilde Westen landschaftlich wesentlich offener als die moderne Großstadt daherkommt, finden mordlustige Spieler tendenziell schneller zusammen. Spielerisch hakt es zusätzlichen an der Fairness und der Verteilung von Gegenständen und Kleidung, mit denen die Charaktere aufgewertet werden. Auf stetige Verbesserungen und mehr Inhalte kann aber gehofft werden! Dem Vorgänger ›Grand Theft Auto Online‹ mangelte es zu Beginn schließlich ebenfalls stark an Inhalten, über Monate und Jahre hinweg wuchs es zu einer eigenständigen Erfolgsgeschichte. Gerade wegen des Wild-West-Settings wird ›Red Dead Online‹ in Möglichkeiten und Vielfalt aber voraussichtlich immer hinten dranbleiben.

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Fazit

Sowohl im Hinblick auf die Erzählung als auch in seiner optischen Präsentation setzt ›Red Dead Redemption 2‹ neue Bestmarken. Trotz seiner gigantischen Welt erweckt es stets den Eindruck, sorgsam im Detail von Hand gefertigt zu sein. Da trübt es nur wenig, dass die spielerische Herausforderung nicht auf solch einem Niveau mithalten kann. Nach wenigen Stunden kann aber dank der hervorragenden Geschichte um den Hauptcharakter Arthur, die Gang und die Jagd nach Wohlstand getrost darüber hinweggesehen werden. Übrigens, auch finanziell ist das Spiel selbst ein großer Erfolg.

|  FLORIAN RUSTEBERG

Titelangaben
Red Dead Redemption 2
Rockstar Studios / Rockstar Games
erhältlich für Playstation 4, Xbox One

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