Ein Superheld wird erwachsen

Comic | Batman: Der dunkle Prinz / Batman: Die Sünden des Vaters

Es ist inzwischen hinreichend bekannt, dass die neuen Superheldenverfilmungen aus dem DC-Universum keine großen Erfolge sind. Und es ist mehr als offensichtlich, dass dies oft an schlechter schauspielerischer Leistung bei gleichzeitiger Flachheit der Protagonisten und einer mangelhaften Handlung liegt. Selbst Batman, der als Figur des dunklen Ritters stets zwischen dem Helden- und Antihelden-Dasein laviert, und damit am ehesten als Charakter faszinieren kann, ist davon betroffen. Etwas frischen Wind in die Batman-Geschichte versuchen dafür einige neue Comics hineinzubringen – und teilweise erreichen sie dabei eine neue künstlerische Tiefe. PHILIP J. DINGELDEY hat sich Enrico Marinis ›Batman: Der dunkle Prinz‹ und Christos N. Gages und Raffaele Iencos ›Batman: Die Sünden des Vaters‹ angesehen.

Batman - Der dunkle PrinzFür Aufsehen und Begeisterung sorgte schon vergangenes Jahr Marinis zweiteilige Minireihe ›Batman: Der dunkle Prinz‹, die nun als Sammelband vorliegt. Nicht zuletzt liegt das daran, dass hier ein Schweizer Künstler unüblicherweise alleine dieses Werk geschaffen hat, also einen Comic aus einem Guss geschaffen hat. In ›Der dunkle Prinz‹ erhebt die Barkeeperin Mariah Shelley schwere Anschuldigungen gegen Bruce Wayne: Er soll sie vor Jahren bei einem One-Night-Stand geschwängert haben. Nun fordert sie Alimente in Millionenhöhe für ihr Kind Alina und geht damit an die Presse, als Wayne den Vorwurf bestreitet. Hier schaltet sich der Joker ein. Er entführt Alina, um Wayne zu erpressen. Mit seiner Hilfe will der Joker an einen Diamanten kommen, den er seiner Partnerin Harley Quinn schenken will. Damit ist der Comic keine normale Suche nach einem Opfer des Erzfeindes Jokers, sondern ein persönlicher Fall für Waynes Alter Ego Batman.

Abgesehen davon, dass der Comic etwas spannender als die 0815-Batman-Story ist, da die Belange von Wayne und Batman verschmelzen, ist die Handlung jedoch kaum erwähnenswert. Eher die Nebensächlichkeiten und die Charakterisierungen der Protagonisten machen den Band zu einer größeren Leistung. Dass die Handlung reifer ist, als eine typische Verbrecherjagd, zeigt beispielsweise Batmans Beziehung zu Catwoman. Als Wayne ist er bereits eine länger andauernde sexuelle Beziehung mit Selina Kyle alias Catwoman eingegangen; und so kommt es auch zu Wechselwirkungen zwischen dem Helden Batman und der Diebin Catwoman, die deutlicher als in anderen Comics zwar als impulsiv (aber dadurch auch unabhängig und attraktiv) gilt, aber – realistischer – weder Held noch Schurke ist.

Besonders das Topos des Helden und welche Rolle die veraltete Märchenfigur eines Prinzen, der die gefangene holde Prinzessin rettet und erlöst, noch spielen kann, ist ein dominantes (titelgebendes) Motiv – das teilweise schon durch Catwoman Frauenpower und Unabhängigkeit negiert wird. So hofft beispielsweise Alina auf einen Helden, wie Batman, der sie rettet. In den grotesken Dialogen mit dem Joker, die eindeutig den inhaltlichen Höhepunkt darstellen und eine bizarre Unterhaltung für den Leser bieten, stellt Alina eine aufmüpfige Geisel dar, die auf das reine Gute von außen hofft, während der Joker die Prince-Charming-Figur als naiven Mythos ablehnt und quasi als postmoderner Dekonstruktivist und Vulgo-Nihilist desillusionierend auf den Leser wirkt.

Zu dieser neuen (eher philosophischen, denn wie sonst sozialen oder politischen) Kritik der Heldenrolle in Batman-Comics gehört auch die neue zeichnerische und stilistische Darstellung der Figuren. Killer Croc wird etwa als prügelnder Zuhälter gezeichnet, denn als animalisches Monster. Batman wird, da dies eine persönliche Detektivstory ist, brutaler als sonst. Der gezeichnete Joker wirkt optisch eher wie ein jugendlicher Steampunk und Aufreißer, der sich auch gerne mal als Drag-Queen verkleidet. Und Harley Quinn sieht aus und agiert wie ein verzogenes, selbstbewusstes, aber dummes Gör, statt wie eine dem Joker blind folgende Irre. Alte Schurkenklischees werden aufgebrochen. Dann werden aus neuen und alten Versatzteilen fast schon neue Bösewichte unter alten Namen.

Bestimmte Grundelemente werden natürlich beibehalten – etwa ein prinzipieller Wahnsinn des Jokers, der im vorliegenden Werk seine Freiheit und sein grotesk lebensfrohes Gemüt ausmacht. Insgesamt erscheinen ergo die Protagonisten nicht nur reifer und veränderter, sondern die Zeichnungen sind auch filigraner, die Proportionen der Körper sind realistischer. Selbst die Darstellung der Männlichkeit und Weiblichkeit ist hier für einen Superheldencomic etwas abgeschwächt und damit etwas weniger sexistisch als sonst. Auch die Wichtigkeit der Rollen verschiebt sich durch die Darstellung, etwa wie viele Panels, welcher Figur zukommen. So scheint es, als ob der Joker größtenteils den Comic durch seine Bizarrerie und Wandlungsfähigkeit bildlich und inhaltlich dominiert, statt der vermeintlichen Hauptfigur Batman, der (vergeblich?) versucht, das Stereotyp des rettenden Prinzen aufrechtzuerhalten.

Der Fall wird persönlich

Gages und Iencos ›Batman: Die Sünden des Vaters‹ versuchen sich zwar auch an einer zunehmenden Tiefe der Persönlichkeit Batman/Wayne, aber schaffen dennoch kein so doppeldeutiges und unterhaltsames Werk wie Marini. Ihr sechsteiliger Comic baut auf dem interaktiven Videospiel ›Batman: The Telltale Series‹ von 2016 auf. Darin machte eine Verbrecherorganisation (die Kinder von Arkham, die sich um den Pinguin und der neuen Schurkin Lady Arkham formierten) publik, dass Dr. Thomas Wayne, Bruces Vater, zusammen mit der Hilfe des Bürgermeisters und der Mafia, Konkurrenten in die Psychiatrie Arkham Asylum hat einliefern lassen. Dort hatte er sie medizinisch gefoltert, in den Wahnsinn getrieben oder ermordet. Hier setzt nun der Comic ein. Da also das Wayne-Unternehmen auf Verbrechen basiert, macht sich Bruce Wayne daran, seine Firma zu retten, Informationen von Psychiatriemitarbeitern zu sammeln und Opfer zu entschädigen, bis der zielsichere Killer Deadshot auftaucht und versucht, jene Mitarbeiter und Wayne zu ermorden. Nun macht ein noch junger Batman Jagd auf Deadshot und ermittelt dessen Motive.

Wieder geht es dabei um eine Vermischung der Interessen der gespaltenen Persönlichkeit Batman/Wayne. Dieses Element wird aber weiter gedreht, indem ihm der Millionär Floyd Lawton alias Deadshot gegenübergestellt wird, der selbst ein ganz persönliches Interesse daran hat, sich an Wayne und den Helfern seines Vaters zu rächen – und dieses Interesse liegt in seiner neuen Origin Story. Wie so oft in Batman-Comics soll sich der Held im Schurken, sprich, dem reichen impulsiven Mann, der sich nachts verkleidet und ein brutaler Kämpfer wird, spiegeln. Dieser Symmetrie-Topos von Gut und Böse ist inzwischen eine Banalität im Batman-Universum und kaum noch innovativ oder auch nur interessant. Relativiert wird dies nur insofern, indem beide Antagonisten gespalten sind, aber ihr jeweiliges maskiertes Alter Ego in diesem Fall nur die Interessen der je dahinterstehenden bürgerlichen Figur verfolgen.

Tiefe erlangt die Story graduell dadurch, dass das Wayne-Unternehmen und die Familie früher immer als Retter der Stadt und philanthropischer Rettungsring im Kapitalismus inszeniert worden waren, und Gage dagegen die Wendung des Videospiels aufgreift und Thomas Wayne zu einem Gangster macht. Da aber sowohl im ersten als auch zweiten Teil des Spiels die wichtigsten Schurken bereits verarbeitet wurden, und der Comic zwischen beiden Teilen abspielt, blieb für die Comic-Adaption nur ein eher formatloser, ja sogar langweiliger Gegenspieler wie Deadshot.

BATMANÄhnlich wie in Marinis Buch wird immerhin die Heldenfigur hinterfragt, indem Deadshot, ganz typisch, Batman beim Finale vor ein ethisches Dilemma stellt, um zu zeigen, dass nur ein Heldenloser siegen kann. Der Unterschied zu Marinis Werk ist, dass bei ›Die Sünden des Vaters‹ klischeehaft Batman das Dilemma durch seine quasiübermenschlichen Fähigkeiten überwindet. Bei ›Der dunkle Prinz‹ dagegen bleibt die Frage nach der Rolle des Superhelden offen, da gar nicht klar ist, wie wichtig Batman am Ende ist, um den Fall zu lösen, oder ob nicht Catwoman und Alina (oder gar Harley Quinn) entscheidender sind.

Iencos Zeichnungen müssen sich natürlich auch am Videospiel orientieren und die Protagonisten dementsprechend stilistisch darstellen. Das lässt so gut wie keinen Spielraum für eigene Akzente, sondern ähnelt weitgehend einem fantasielosen Malen nach Zahlen – immerhin um die Stringenz und Kontinuität der Handlung aufrechtzuerhalten. Ähnliches kennen die Leser ja schon von den eher blassen Comic-Adaptionen der fulminanten Arkham-Videospielreihe. So lebt die Optik von ›Die Sünden des Vaters‹ vor allem von einer gesteigerten Brutalität, der optischen Steifheit der Protagonisten und einem Mangel an Mimik in den Gesichtern von Wayne, Alfred Pennyworth und Commissioner Jim Gordon.

Diese neuen Batman-Comics scheinen getrennt voneinander weitgehend kongruente Ziele zu haben: erstens, die Vermischung der Persönlichkeit von Wayne und Batman – was den früher eher schattenhaft dargestellten Wayne aufwertet und Batman menschlicher macht –; zweitens, die Neuinterpretation von Schurken, denen damit entweder eine gewisse Tiefe (wie bei Marini) und Nachvollziehbarkeit ihrer Motive (wie bei Gage und Ienco) oder einen (in Relation zu anderen Superheldencomics) höheren Realismusgrad verliehen werden; und drittens, das Aufwerfen der Frage, ob der Mythos des übermenschlichen Helden, der sich über das Recht stellt, noch tragfähig ist. Das lässt die Protagonisten reifen und schafft neue Superheldencomics für Erwachsene, die nicht mehr immer nur im Schwarz-Weiß-Schema vorgehen. Und welcher Superheld wäre geeigneter, um einen solchen durchwachsenen Übermenschen zum Anfassen abzugeben als der dunkle Ritter?

Insgesamt geht dabei aber Marinis ›Der dunkle Prinz‹ weiter, und das Werk ist vielschichtiger, doppeldeutiger und kunstvoller gemacht als Gages und Iencos ›Die Sünden des Vaters‹. Denn letzteres versucht sich teilweise vom Alten zu lösen, aber bleibt doch weitgehend in konventionellen Batman-Narrativen zu sehr gefangen, und reproduziert Klischees, alte (ausgediente?) Handlungsformate sowie zeichnerische Darstellungen. Dadurch ist ›Der dunkle Prinz‹ bereits jetzt ein Comic für Erwachsene Batman-Liebhaber, wo ›Die Sünden des Vaters‹ wohl eher als durchschnittliches Nebenprodukt des Videospiels ›Batman: The Telltale Series‹ gehandelt werden kann.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Enrico Marini (Text und Zeichnung): Batman: Der dunkle Prinz
Stuttgart: Panini 2018
Softcover, 148 S., 16,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Christos N. Gage (Text)/ Raffaele Ienco (Zeichnung): Batman: Die Sünden des Vaters
Stuttgart: Panini 2018
Softcover, 140 S., 16,99 Euro
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