Pretty Pharaonic Projects in Music

Musik | Dina El Wedidi: ambient Electronics – Sun Ra: intergalactic Jazz

Von einer Zeit in die andere. Von einer Welt in die andere. Habe ich als Westlerin die Kultur Afrikas und Arabiens meist nur von Weitem wahrgenommen, beamte mich Dina El Wedidi doch für eine halbe Stunde mal mit hin als Zuhörerin. Von TINA KAROLINA STAUNER

Mit dem Song ›Dance‹ aus dem Jahr 2017 der Filmproduktion ›Egyptian Jeanne d’Arc‹ und ›collected sound of railways, train stations, train whistles and rails in Egypt‹ der Tracks des Electronic-Albums ›Slumber‹ aus dem Jahr 2018.


El Wedidi – Dance

Gripping Combinations

Das Nildelta, die Stadt Kairo, die Pharaonen und Pyramiden fokussierte ich, anders als die meisten anderen Kulturorte, in islamischen Gebieten doch immer mal wieder ziemlich interessiert. Als eine Musik-Pharaonin hat auch Dina El Wedidi meine Aufmerksamkeit. Bei den Strukturen, Texturen und Elementen des ambientartigen Sounds der ägyptischen Sängerin und Liedermacherin wird von meditativen Frequenzen, sonischer Atmosphäre und glitchy Beats gesprochen im Kontext der amerikanischen und europäischen Musikszene. Der Sound kann definiert sein als »gripping combination of aggressive darkness, rhythmic hypnosis, and emotive chords« in halluzinatorischen ägyptischen Geschichten der Sängerin, Gitarristin, Komponistin, Daf-Spielerin und Schauspielerin.


El Wedidi – Slumber

Hypnotic Railwaysounds

Die Klangcollage mit Samplings und Fieldrecordings von ›Slumber‹ stammt aus Kairo. Inspirierend war eine Zugreise von Alexandria nach Kairo. Dann von Kairo nach Luxor und Aswan. Züge und Geräusche wurden als Instrumente neben Musikinstrumenten eingesetzt. Und die Zeit, die vergeht, als ein Konzept.

Die CD lässt sich als »30-minute short nap« bezeichnen. Eine musikalische Zugerfahrung und ein Traum zwischen Realität und Surrealismus, zwischen Irrationalität und Wirklichkeit, zwischen Alexandria und Kairo, zwischen Westlichem, Afrikanischem, Arabischem, Östlichem, zwischen Muslimen, Christen, Juden und zwischen Kairo, Paris, Berlin. »Her decision to make the album inside this mindset was conscious; a deliberate metaphysicalseparation from the image that has defined her in the mind of her audience«, berichtet das Magazin ›Scenenoise‹ über Wedidi. Und weiter wird sie zitiert: »For me, I made the album inside of a dream, because I am very afraid – people have an image of me and my work, and I need to be free from all of these images. This is why I wanted to make this album when I’m asleep, not awake.«

Im wachen Hier und Jetzt gilt als ihr Mentor immerhin Gilberto Gil. In Zeiten von Globalisierungsthemen und Migrationsproblematiken sind Spiritualität und ägyptische Folklore die Quellen für Dina El Wedidi und ihre Rhythmizität, Vokalität und Improvisationsfreude. Die Musikerin taucht mit mehreren Musikproduktionen und dem aktuellen ›Slumber‹ in für ihren Kulturkreis innovativen Musikexperimenten hier in Europa auf. Für den Film ›Egyptian Jeanne d’Arc‹ arbeitete Wedidi unter anderem mit Iman Kamel und Frieder Butzmann zusammen. Die CD ›Slumber‹ wurde aufgenommen mit mehreren Freunden und Kollegen ihrer Heimatregion.

Nile Gatherings: The Nile Project – The Sun Ra Arkestra


The Nile Project – Jinja

Movements, Mood, Mystizism

Dina El Wadidi ist eine der ausgesuchten Partizipienten von The Nile Project, das schon in Europa und Amerika tourte. Aus sieben Ländern des Nilbeckens versammeln sich die Musiker des über Unis, Workshops und Konzerte bekannt werdenden Projekts. Seine Mitstreiter sagen von sich: »We inspire, inform, and connect Nile citizens to help them collaborate on cultivating the sustainability of their river.« Gatherings am Nil … Dazu ein kleiner Zeitsprung zum Sun Ra Arkestra Afrofuturism Movement: Afrozentrismus mit Science-Fiction und Ancient Spirituality.

Der Jazzer und Okkultist Sun Ra tauchte 1971 erstmals in Ägypten auf mit seinem kulturellen Geschichtsforschertum und exzentrischen Mystizismus: »His equations stemmed from astronomy, numerology, Egyptology, Freemasonry, Black Nationalism, and various other spiritual belief systems that were beyond obscure at the time, and many of which were derived from ancient Egypt.«
Auch der deutsche Musiker, Komponist, Autor, Hörspiel- und Filmemacher Hartmut Geerken beteiligte sich daran. Seltsame Geschichten rankten sich seit den 70er Jahren um Spiritualisten, Free Jazzer und Events am Nil.


The Sun Ra Arkestra – Egypt Strut

Avantgardes, Afrozentric, Americanism

Erstmals sollen um 1964 amerikanische Jazzer in Ägypten gespielt haben. Zu Beginn einer dortigen Jazz Agenda. Instrumentalisten mit Kenntnissen in Marching Bands und Jazz formierten sich als The Cairo Jazz Band. Auch 1983 and 1984 hielt sich Sun Ra in Ägypten auf mit Sessions seines Arkestra. Benachbart zu Hartmut Geerken, Mac X. Spears, Salah Ragab, Eduard »Edu« Vizvari, Randy Weston, die zu dieser Zeit in Ägypten weilten, kreierte sich auch The Cairo Free Jazz Ensemble. In den Vierteln Heliopolis und Zamalek entstanden Aufnahmen und islamischer Afrozentrismus und amerikanischer Jazz wurden zusammengebracht. In Deutschland wurde ein ähnliches Musikschaffen adaptiert von dem aktuell von Marja Burchard geleiteten Krautrock-, Jazzrock- und Weltmusik-Kollektiv Embryo. In Afrika und Europa von Abdullah Ibrahim, früher genannt Dollar Brand. Und in Amerika von Yusef Lateef und Pharoah Sanders in spirituellen und musikalischen Domänen von Independent-Musikern und artifiziellen Kleopatraträumen von Jazz-Elitisten.


The Cairo Jazz Band – Kleopatra

›Space is the Place‹

Der Pianist, Poet und Philosoph Sun Ra, auch Herman »Sonny« Poole Blount, lebte von 1914 bis 1993. Er wurde vielen mit dem Science-Fiction-Filmtitel ›Space is the Place‹ bekannt. Im Gestern, Heute und Morgen der schwarzen Musik wird »Interplanetary music! Interplanetary melodies! Interplanetary harmonies!« der Sternenreisen des noch existierenden Sun Ra Arkestra auch jetzt noch gefeiert. Einer der jetzigen Macher Marshall Allen ist mittlerweile über 90 Jahre alt und der Altsaxofonist hat mit seinen Mitmusikern in langen Afromustergewändern auf der Bühne weiter Sun Ra’s Kompositionen und Ideen zelebriert, die aus Amerika, Afrika, vom Saturn und sonst woher stammten und zu Hunderten von Plattenaufnahmen führten.

In der Musikgeschichte verschafften sich Gatherings im Nildelta immer wieder mit ausgefallenen Projekten und Musikern Aufmerksamkeit. Es tut sich auf ein vielfältiger Musikkosmos für Neuentdeckungen und Geschichtsforschungen, für Traditionsverbundenes und Experimentelles dieses Landstrichs des Folk, der World-Music und des Jazz im Land der Pyramiden.

In Zeiten der inter- und transkulturellen, afro-euro-amerikanischen Kollaborationen und Wechselbeziehungen im Diskurs der weltweiten Musikgemeinde. Dina El Wedidi ist hier exemplarisch für The Nile Project und als eigenständige Künstlerin erwähnt. The Sun Ra Arkestra spielt am 3. Mai in Wuppertal, am 4. Mai in Mannheim, am 5. Mai in Kassel und am 17. Mai 2019 in Mainz.


›Monument‹ 1 for Sun Ra (2014, Tom Bogaert)

Sun Ra To Go Today

Der Künstler, Rechtswissenschaftler und Philosoph Tom Bogaert, der auch bei Amnesty International ist, arbeitet derzeit am Research Project ›Sun Ra‹ mit Performances, Lectures, Installations, Videos, Art Objects über das Leben und die Arbeit des Musikers.

Bei den nächsten Sun Ra Arkestra Shows auf der Bühne ist wieder Marshall Allen und zur Besetzung gehören die Violinistin und Vokalistin Tara Middleton und der Tenorsaxofonist James Stewart. Pianist Farid Barron ist Sun Ra’s derzeitiger Stellvertreter und Repräsentant.
Am 21./22.05.19 beim Jazzfest in Passau gibt es ›THE SUN RA CENTENNIAL DREAM ARKESTRA UNDER THE DIRECTION OF MARSHALL ALLEN – CD-PRÄSENTATION: LIVE AT THE BABYLON‹.

| TINA KAROLINA STAUNER

Titelangaben
Dina El Wedidi
›Slumber‹
(2018, Kirkelig Kulturverksted)

Sun Ra Arkestra
›Thunder of the Gods‹
(recorded 1966/71, released 2017, Modern Harmonic)

Tom Bogaert
›Monument 1 for Sun Ra‹
(Video, 2014)

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