/

Ramses XI

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ramses XI

Welch friedfertiger Ort, sagte Ramses XI., stellte sich vor: Ramses XI., und setzte sich ohne weitere Umstände in den warmen Sand.

Angenehm, sagte der Ausguck und faßte sich.

Thimbleman brachte kein Wort heraus.

Ramses XI. lächelte. Wo bin ich gestrandet, fragte er, es sei so still, und ob er träume.

Ramses XIWir legen seit einigen Tagen eine Fangpause ein, erklärte nun Thimbleman, verletzungsbedingt, sagte er, der Obermaat habe sich die Schulter verrenkt, Schulter sei schmerzhaft, eine Genesung sei noch nicht absehbar, und Scammon, der Kapitän, brüte achtern in seiner Kajüte über seinen Aufzeichnungen – Vermessungen von Meeressäugern, die er in einigen Jahren zu publizieren gedenke.

Aha, sagte Ramses XI. und lächelte.

Wir sind Walfänger, ergänzte Thimbleman, drehte sich um und zeigte zum Meer. Dort, sagte er, sind unsere Gerätschaften aufgebaut, mit denen wir das Walfett flensen und zu Öl ausbrennen, das sich in der Stadt pro Faß zu einem guten Preis werde verkaufen lassen.

Oh er habe davon vernommen, sagte Ramses XI. und lächelte milde: Es gebe diverse zurückgebliebene Zivilisationen, in denen Geld als Zahlungsmittel diene, und er wünsche sehr, daß diese primitiven Gesellschaften ein höheres Niveau erreichten. Das Geld, nicht wahr, werde bei ihnen verehrt, als ob es eine Gottheit wäre, der Konsum werde bei ihnen als heilig verehrt.

Für die Goldgräber lasse er das gelten, sagte Thimbleman, sie seien von Sinnen.

Die gesamte Stadt sei außer Rand und Band, ergänzte der Ausguck.

Es sei ein verhängnisvoller Rausch, sagte Thimbleman.

Primitive Zivilisationen, sagte Ramses XI., würden jeglichen Sinnes entbehren. Der reine Mammon, sagte er, liefere keinen Sinn, er rechtfertige nicht, sondern stimuliere noch die niedersten Impulse, in seiner heimischen Zivilisation sei das anders.

Ägypten?, fragte der Ausguck.

Ägypten, sagte Ramses XI., dort sei die Zivilisation über Jahrtausende gewachsen, wir kennen ein Totengericht, sagte er, vor dem sich der Verstorbene für einen moralischen Lebenswandel zu verantworten habe, um nicht in die Abgründe des Nichts gestoßen zu werden, sondern in den vertrauten sozialen Zusammenhängen existent zu bleiben. Eine primitive Zivilisation kenne diesen sozialen Zusammenhalt nicht.

Der Ausguck lächelte. In San Francisco, sagte er, herrsche Chaos. Vigilantenkomitees würden die Regeln setzen.

Korruption, ergänzte Thimbleman verächtlich, Nepotismus.

Die Vorstellung von Gott, sagte Ramses XI., sei in Ägypten während der zahllosen Jahrhunderte gereift, wir wissen nun, daß der Eine Gott existiert und sich in die Welt und als Welt entfaltet und verkörpert. Er erschuf den Himmel, um den Umlauf seines Ba, der Sonne, zu ermöglichen, er breitete die Erde aus, damit sie seine Tempel und seine Kultobjekte trage, und er errichtete das Totenreich in der geheimnisvollen Tiefe.

Eine geordnete Welt, fragte Thimbleman.

Das hört sich so an, sagte der Ausguck.

Man wisse es nicht, sagte Thimbleman, letzten Endes, doch zumindest, bekannte er, seien die Ramessiden entschlossen, der Welt einen Sinn zu verleihen. Er wandte sich mit einem fragenden Blick an Gramner, der sich zu ihnen gesetzt hatte.

Gramner räusperte sich. Ramses XI. sah ihn verwundert an.

Gramner, sagte er, ich bin der Koch auf der ›Boston‹.

Angenehm, sagte Ramses XI., mich hat es unversehens hierher verschlagen. Von Theben.

Ich kenne das Tote Meer, sagte Gramner.

Meine Vorfahren führten Kriege in Palästina, und Ramses II. schloß einen Vertrag mit den Hethitern, einen Friedensvertrag.

Er muß ein kluger Mann gewesen sein, sagte Gramner, wie überhaupt Ihre Zivilisation in mancherlei Hinsicht als Vorbild dienen kann, sie war sinnerfüllt – was sich leider von den Industriegesellschaften der westlichen Moderne, als meinen Nachfahren, nicht in gleicher Weise sagen läßt, ihr einziges Ziel ist die klingende Münze.

Mammon ist ein Dämon der übelsten Couleur, nicht wahr?

Er wird den Menschen zugrunde richten.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sadness With A Dash Of Beats: An Interview With Emika

Nächster Artikel

Drachen auf Schäferhundgröße und Ghulacamole

Weitere Artikel der Kategorie »Prosa«

Not

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Not

Was sie nicht länger verbergen können, Anne, ist ihre Ratlosigkeit, denn wer mit offenen Augen durch den Tag gehe, könne das Menetekel nicht übersehen.

Manche Worte haben sich aus der Alltagswelt verabschiedet, die Sprache schaltet auf Schwundstufe.

Tilman rückte ein Stück näher an den Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Dämonische Kräfte?

Mehr, weit mehr, Anne, ihr Tun hat radikal destruktive Konsequenzen, schon dem äußeren Anschein nach wendet der Planet sich gegen den Menschen, du siehst es überall, sei es in den lodernden Flächenbränden oder den lebensfeindlichen Veränderungen des Klimas, der Planet entzieht uns das Aufenthaltsrecht, Mutter Gaia hatte Geduld gehabt und einen langen Atem, nun war es genug, ein Tropfen bringt das Faß zum Überlaufen.

Kulturen

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Kulturen

Dreitausend Jahre sind eine lange Zeit. Selbstverständlich gab es Umbrüche, Fremdherrschaft, wechselnde Dynastien, neue religiöse Akzente, Siege und Niederlagen, keine Frage, aber die Kontinuität der altägyptischen Kultur blieb unverändert.

Eskalation

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Eskalation

Weshalb im März ein Ventilator in Betrieb war, das sollte einmal jemand erklären. Erst im Mai würde es heiß, so viel stand fest, die auch preislich noch einmal angehobene Saison begann im Mai, und wenn überhaupt, wäre das die geeignete Zeit für Ventilatoren. Die Abläufe im Lager, kein Zweifel, waren lückenhaft organisiert.

Oder waren Ventilatoren neuerdings schick? War ein Boom angesagt? Sollte man Aktien kaufen? War der Bürokrat aus Uelzen eingetroffen?

Aggressivität

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Aggressivität

Wichtig wäre, sagte Tilman, die aggressiven Anteile zu reduzieren.

Ob sie nicht tief in der menschlichen Natur verankert seien, fragte Susanne, stand auf und ging in die Küche, Tee aufzugießen, während Tilman das Service mit dem zierlichen lindgrünen Drachen aufdeckte, dazu ein Schälchen mit Hafergebäck.

Deshalb sei der Mensch mit Vernunft ausgestattet, auszugleichen, sagte Tilman, den aggressiven Anteilen Zügel anzulegen, den eigenen wie denen der umgebenden Natur, daß sie im Zaum zu halten seien.

Kontrovers

TITEL-TExtfeld | Wolf Senff: Kontrovers

Die Erschaffung der Welt sei beileibe kein einmaliges Ereignis, sie bedürfe der ständigen Wiederholung und Erneuerung. Tilman schmunzelte. Täglich, fügte er hinzu.

Ist das so?, fragte Anne: Wer sagt das? Deine Ägypter?

Immer auf der Höhe der Zeit, spottete Farb.

Wir befinden uns in der dreieinhalbtausendjährigen Kultur des Alten Ägypten, das sei gar kein abwegiges Gedankenspiel, sagte Tilman, keineswegs, sagte er, angesichts einer Gegenwart, die daran arbeite, die Abläufe des Lebens und ihre Grundlagen zu schädigen.