Eichhörnchen erobern erfahrungsgemäß schnell das Herz von kleinen Lesern, aber, zugegeben, dieses hat auch mein Herz erobert. Seine Lebendigkeit, seine fast trotzige Art auf etwas zu bestehen, sein Einsatz für etwas und schließlich eine ganz unerwartete Erkenntnis. Von BARBARA WEGMANN
Erwachsene werden sich gut daran erinnern, wie schwer es dem Nachwuchs als Kleinkind fiel, das Spielzeug vielleicht einmal mit einem anderen Kind zu teilen, das Förmchen im Sandkasten einmal abzugeben, sich von einem Keks zu trennen. Sozialverhalten will eben auch gelernt sein, das Miteinander, das Abgeben, das Teilen. Diesem Phänomen widmet sich die so liebevoll und herrlich treffend illustrierte Geschichte und Fabel von Olivier Tallec.
Beeindruckender Hauptdarsteller: Ein Eichhörnchen, mit großen, wachsamen Augen, langen Vorderpfoten, die den ergatterten Tannenzapfen so richtig demonstrativ festhalten können, damit bloß niemand anderer ihn stibitzen kann. Kritisch beäugt es die anderen Tiere rund um »seinen« Baum. »Ich liebe es, meine Kiefernzapfen im Schatten meines Baumes zu essen … Alle sollen es wissen: Das hier sind meine Zapfen, das hier ist mein Baum«.
Mein, mein, mein. Ein Tor will es aufstellen vor dem Baum mit den Zapfen, ein hohes Tor. »Es zeigt, dass hier jemand wohnt,« so denkt das kleine flinke Wesen mit dem buschigen Schwanz. Oder einen Lattenzaun, und wenn alles nicht reicht, dann eben eine Mauer, so hoch, »dass man nicht hinaufkommt.« Diese Pläne haben ja selbst große Staatsmänner, für den vermeintlichen Schutz ihres Landes, warum also nicht ein kleines Eichhörnchen.
Olivier Tallec stammt aus der Bretagne, studierte in Paris und arbeitet für Zeitungen, Magazine, aber sein Herz gehört offenbar ganz besonders dem Bilderbuch. Plakativ sind seine Bilder, sparsam in den Farben spiegelt er die wichtigsten Dinge des Textes großformatig wider. Der Star seiner Geschichte, das Eichhörnchen, überzeugt dabei perfekt in Mimik und Körpersprache, fast so sehr, dass der Text stellenweise überflüssig wird.
Und was, wenn die Mauer fertig ist? So lang und so hoch, bis sie auf eine andere Mauer stößt? »Vielleicht befindet sich hinter dieser Mauer ein ganzer Wald mit Bäumen voller Zapfen. Ein Wald, der mein Wald sein könnte, und Zapfen nur für mich.«
Die letzten Seiten, die Tallec ohne Worte illustriert bringen eine unerwartete Erkenntnis für das sprachlos wirkende Eichhörnchen, aber: Ganz sicher eine Lehre fürs Leben.
Titelangaben
Olivier Tallec: Das ist mein Baum
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
Hildesheim: Gerstenberg 2020
36 Seiten, 13 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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