Der neunundzwanzigste Fall ist es bereits und irgendwie lässt sich die Jahreszeit am Erscheinen jedes neuen Brunetti-Krimis verlässlich ablesen. Schon wieder ist es Sommer, Zeit für eine Geschichte aus der Lagunenstadt: ein bisschen Verbrechen, ein bisschen Familiengeschichte, Büroklatsch, gewürzt mit unüberhörbarer Kritik an Strukturen der Stadt, dem Massentourismus, der Mafia und dem überall nützlichen Mittel der Beziehungen. Die Welt von Commissario Brunetti, seiner Familie, Vize-Questore Patta und Signorina Elletra. Eine Welt, in der man sich als Leser so richtig zu Hause fühlt, meint BARBARA WEGMANN
»Wie konnte man nur die Stadt im Juli oder August besuchen?« Heiß ist es in Venedig, sehr heiß. Es herrsche, so beschreibt Donna Leon es, ein Gedränge, wie man es nur aus Kriegsfilmen kenne, wenn die Bewohner einer befestigten Stadt zu den Toren hinaus fliehen. Eine schier unerträgliche Hitze, die über der Stadt liegt und dem Leser geradezu Durst bereitet, auf Wasser, jenem kostbaren Stoff.
Ein Anruf der behandelnden Ärztin führt Commissario Brunetti in ein Hospiz. Die sterbenskranke Benedetta Toso wolle, so Cecilia Donata, mit dem Commissario sprechen. Mit Brunetti und nicht mit der Polizei. Ihm erzählt sie mit letzter Kraft, ihr Mann sei vor kurzem nicht einfach bei einem Motorrad- Unfall ums Leben gekommen, sondern ermordet worden. Von »denen«, sagt sie, wer immer das ist. Und »schlechtes Geld« habe er gehabt, das wolle sie nicht.
Alles führt zum Wasser
»Ich werde tun, was ich kann«, verspricht Brunetti ihr auf dem Sterbebett, wohl wissend, dass er weder Anhaltspunkte für einen Mord, noch potentielle Täter oder gar Motive hat. Aber, selbstverständlich, wird der Commissario dem Fall nachgehen, zusammen mit seiner Kollegin Claudia Griffoni.
Vittorio Fadalto, der verstorbene Motorradfahrer, arbeitete für ein Trinkwasser- Unternehmen im Veneto, eine Firma, die die Qualität von Trink-, Fluss- und Grundwasser kontrolliert und regelmäßig überprüft. Der studierte Chemiker war ein Experte auf seinem Gebiet, »gnadenlos ehrlich« und sei bei einigen Leuten sehr unbeliebt gewesen.
»Mir ist nie wohl, wenn diese zwei Wörter, Tod und Geld, im selben Satz vorkommen.«
Lange stochert Brunetti im Nebel, Recherchen in der Firma, Gespräche mit Kollegen, Nachforschungen im Familienkreis, »viel Klatsch und Unterstellungen, die venezianischen Zwillinge der Wahrheit.« Zunehmend führt der Weg zum Wasser, der Diskussion um Privatisierung und Vermarktung von Wasser, die Qualität, den Schutz , die Verschmutzung, die Belastung durch Schadstoffe für Gesundheit und Leben. Wasser, was für ein Thema, nicht nur für eine Stadt, die mit so vielen Problemen vom Wasser umschlossen ist.
Donna Leon versprüht viel, viel venezianisches Flair, schreibt mit Charme und sehr atmosphärisch, fast scheint es, als kenne man jede Gasse in Venedig, aber ihr Thema, das ist global und alles andere als ein regionales oder ein typisch italienisches. Und das macht die Romane der heute in der Schweiz lebenden Donna Leon so attraktiv. Ach ja, der Commissario scheint bei seinem neunundzwanzigsten Fall an die Rente zu denken. »Auch er würde eines Tages aufhören; ein anderer würde seinen Patz einnehmen; und die Leute würden einander weiter verletzen, betrügen und töten.« Brunetti und aufhören? Ach was. Nein. Noch nicht.
Titelangaben
Donna Leon: Geheime Quellen
Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Zürich: Diogenes 2020
320 Seiten, 24 Euro
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