Ein sehr gewichtiges Buch ist es, ein schwerer Bildband, der mit nimmt auf eine besondere Reise: Besucht werden jene Orte Europas, an denen Land auf Atlantik trifft. Auf jenes zweitgrößte Meer, das 20 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, und »die Alte von der Neuen Welt trennt«. BARBARA WEGMANN hat darin geblättert.
Die Gewaltigkeit, das Bizarre der Küsten, das Zerklüftete, das Romantische, kurzum, das immer wieder Beeindruckende dieser Natur gibt der Bildband in großformatigen Fotografien wieder. Los geht die Reise im Nördlichen Eismeer und dem Europäischen Nordmeer. Hier sinkt das vom Goldstrom erwärmte Wasser ab und kaltes steigt auf, eine Region mit ‚enormer Bedeutung‘ für das Weltklima.
Gletscher und Fjorde, die in beeindruckender Weise zeigen, welche Kräfte in der Natur regieren und welche Ausmaße sie haben. »Durch die sich abwärts bewegenden Taggletscher, die das Gestein unter sich Jahrtausende lang zerklüfteten, sind im gesamten Gebiet von Spitzbergen Meeresarme entstanden, die teilweise Hunderte Kilometer ins Land reichen: die typischen Fjorde.«
Fotos, die diese Natur-Schöpfung aus der Luft noch einmal dokumentieren, die gibt es leider nicht. Auch ist bei den allermeisten Fotos auf dieser Reise das Wetter arg schlecht, der Himmel bedrohlich dunkel, die Wolken geballt, die Aussichten trüb. Das macht zwar manche Küstenlinien und Felsformationen noch gewaltiger, lässt sie rau, wild und bedrohlich zerklüftet erscheinen, die Schönheit der Natur hebt ein dunkler Himmel allerdings nicht gerade hervor. Düster also wirken die meisten Bilder, nur selten mal ein Abendrot, ein wolkenfreier Himmel oder gar Sonnenschein.
Kleine Texte begleiten ganz unauffällig die Bilderreise, sie geben Auskunft zu Lage und Beschaffenheit des jeweiligen Küstenabschnitts und weisen auf Besonderheiten hin, lassen auch Flora und Fauna nicht außer Acht. Wie zum Beispiel der See Leitisvatin, der größte See der Färöer-Inseln. Direkt am Atlantik liegt der See, nur 40 Meter über dem Meeresspiegel. »Von einer bestimmten Perspektive aus spielt die Natur dem Betrachter mithilfe einer optischen Täuschung einen Streich: Die 40 Meter Höhe wirken plötzlich wie mehrere hundert Meter- ein Phänomen, das es so nur einmal auf der Welt gibt.«
Die Skandinavische Halbinsel, die Britischen Inseln, Dänemark, Deutschland, die Niederlande und Belgien, Frankreich, Nord- und Südspanien, sowie Portugal sind Stationen, eindrucksvoll und imposant, Orte, bei denen das Tosen des Atlantiks geradezu zwischen den Seiten liegt.
Auf den ersten Blick ähneln sich manche vom Atlantik geformten Küstenregionen, gleichen sich Buchten und gewaltige Felsformationen, die sich gegen die Kraft des Meeres aufzubäumen scheinen, nicht selten in mystisch anmutenden Steingebilden und doch: Irgendwie hat jede Region ihre Besonderheit, etwas Typisches, ein anderes Klima, eine andere Strandbeschaffenheit, ein anderes Hinterland. Alle Orte erzählen ihre eigene Geschichte. Wie die an der »Costa Da Morte«, der »Küste des Todes«, im spanischen Galicien: Hier, so heißt es, wurden im 20. Jahrhundert 140 Schiffsunglücke gezählt, die Strömungen sind tückisch, die Küste gefährlich. »Obwohl es hier mit die schönsten Sonnenuntergänge Spaniens geben soll, ist die Küste kein Touristenmagnet.«
Monsterwellen, gewaltige Brandungen, dann wieder ruhige See und stille Wasseroberflächen, gigantische Ausmaße und Weiten, ungeahnte und so unerforschte Tiefen: Der Atlantik hat viele Gesichter.
Titelangaben
Wilder Atlantik
Europas spektakulärste Küstenlandschaften
München: Kunth Verlag 2020
360 Seiten, 49,95 Euro
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