Kleines Wesen mit großer Neugier

Kinderbuch | Torben Kuhlmann: Einstein

Mit Zeitreisen hat sich Hollywood schon öfter höchst erfolgreich befasst, »Zurück in die Zukunft«, ›12 Monkeys‹ oder ›Die Zeitmaschine‹ sind Beispiele. Aber, wenn ich ehrlich bin, selbst wenn es auch Kultfilme sind, gegen dieses umwerfend schöne Kinderbuch kommen sie für mich nicht an. Kaum aufgeschlagen werden hier 128 Seiten zu einer liebevollen und lebendigen Geschichte um eine bezaubernde kleine Maus, die auf der Suche nach dem Geheimnis der Zeit ist. Von BARBARA WEGMANN

EinsteinDa will ein kleines Wesen doch nur zum »weltgrößten Käsefest«, mit »feinsten Käsespezialitäten aus aller Welt«. »Camembert, Brie, Gouda, Emmentaler, Cheddar, Pecorino…« Der kleinen Maus läuft das Wasser im Mund zusammen, aber, was passiert? Sie kommt einen Tag zu spät in Bern an. »Einstein«, sagt eine andere Maus zu ihr, »na, dann dreh doch einfach die Zeit zurück!« Wieso sagt sie »Einstein« zu ihr? Und so unbeirrbar wie ein Schweizer Uhrwerk beginnt es nun in dem kleinen Wesen zu arbeiten und als sie per Zufall bei einem Uhrmacher landet und dort auch noch ganz im Verborgenen ein Maus-Uhrmacher tätig ist, beginnt ein wahrhaft großes Abenteuer.

Kindgerecht kommen erste Versuche: Steht die Zeit still, wenn man den Sekundenzeiger anhält, oder die Zeiger gar in die falsche Richtung zurückdreht? »Egal, wie viele Uhren ich hier zurückdrehe, die Zeit läuft trotzdem immer weiter.« Aber Aufgeben kommt für das kleine Pelztier nicht infrage. Schließlich ist da immer die Frage: was wird mit dem Käsefest in Bern?

In der winzigen Mäuse-Uhrmacher-Werkstatt lernt die kleine Maus viel über Zeit, die Zeitmessung, die Erde, den Lauf von Sonne und Mond, wie die Zeitmessung überhaupt entstand. Ihr Lehrmeister erinnert sich an jenen Mann, der vor vielen Jahren in Bern lebte und »ein paar ziemlich revolutionäre Ideen über die Zeit« hatte. Im Berner Patentamt wird die Maus fündig, liest alles, was sie über und von Albert Einstein findet. »Zeit ließ sich verlangsamen, beschleunigen, vielleicht sogar anhalten, aber eben nicht zurückdrehen.« Aber was wird mit dem Käsefest in Bern?

Ein paar Seiten weiter steht man da als Leser: ja, wer denn nun hat die Theorien über Zeit und Raum und Gravitation eigentlich entdeckt, Einstein oder die kleine Maus, die es nämlich schafft, ein altes Uhrengehäuse derart umzubauen, dass es sie aus der Zeit trägt. Sie landet in jener Zeit, als Pferdekutschen fuhren, die Frauen lange Rücke und alle Männer Hüte trugen.

Und natürlich lernt sie eben in dieser Zeit Einstein kennen, längst noch nicht so alt, wie er auf den meisten Bildern aussieht. »Bald würde er seine berühmte Relativitätstheorie verfassen, in der das Licht eine bedeutende Rolle spielen sollte.« Einstein arbeitet damals im Berner Patentamt, ist studierter Physiker, aber längst noch nicht so bekannt wie Jahre später. Dann erst wird er für seine Forschungen den Nobelpreis erhalten. Aber davon abgesehen, was wird denn nun mit dem Käsefest?

Torben Kuhlmann, Ende 30, ist irgendwie ein großer Junge geblieben, mit soviel zauberhafter Fantasie und Erzählfreude. Aber vor allem: seine Illustrationen sind zum Verlieben, ausdrucksstark und atmosphärisch, charmant bis ins kleinste Detail und die Bilder, meist aus der Perspektive der kleinen Maus, wechseln sich mit dem Text ab: mal erzählen die Worte, mal die Zeichnungen. Dieses Buch, wie auch schon seine Bestseller-Vorgänger »Armstrong« und »Edison« schließt man umgehend ins Herz, schnell erliegt man diesem Reiz, dass ein so kleines Wesen jene so große Neugier entwickelt, dass sie mutig und selbstbewusst auch vor großen Forschern und Erfindern nicht haltmacht. Es verstehen, Zusammenhänge lernen und spielerisch an Großes herangeführt zu werden, das ist Kuhlmanns Anliegen. Dabei muss man nicht alles bis ins Letzte verstehen.

Es wäre vermessen, von Kindern zu erwarten, dass sie Einsteins Relativitätstheorie durchschauen. Dass Kinder aber beginnen, über die Zeit nachzudenken, zu hinterfragen, warum man die Sonne jeden Morgen wieder an dergleichen Stelle entdecken kann, dass sie verstehen, dass Licht eine sehr hohe Geschwindigkeit hat und man sonst keine Sterne leuchten sehen könnte, und dass die Zeit relativ ist, das alles ist ein toller Anfang. Das ausgesprochen schöne Buch jongliert mit Wissen und Spiel, mit Tatsächlichem und mit Märchenhaftem, es spielt im Heute und in der Zeit vor 80 Jahren.

Aber, was ist schon Zeit? »Zeit ist relativ«. Und was wird nun mit dem Käsefest? Das Ende der Geschichte könnt ihr euch ja jetzt schon einmal ausmalen. Und immer dran denken, wie sagte Einstein: »Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Torben Kuhlmann: Einstein
Die fantastische Reise einer Maus durch Raum und Zeit
Zürich: Nord-Süd Verlag 2020
128 Seiten, 22 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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