Beschriftungen

Lyrik | Wolfgang Denkel: Beschriftungen

Ein Sturm beginnt so plötzlich, dass Vögel, die sich in der Luft befinden, hin und her getrieben werden wie welke Blätter.

Für den, der nichts ändern will, gibt es immer noch das Gewissen, als bequeme Lösung. Nicht nur das gute Gewissen ist ein Ruhekissen, sondern das Gewissen überhaupt. Es bietet die Möglichkeit, Notwendiges zu unterlassen, es nimmt gerne auf sich.

Die Gewöhnung an die Liebe ist eine Zerstörung.

Aus dem Baum hell der Laut des kleinen Vogels.
Aus der Luft dunkel der Laut des großen Vogels.

Braune, durchblutete Sommerhände und blasse, trockene Winterhände.

Ein Land, in dem die Wahrheit in Dezibel gemessen wird.

Romantik: Mach mich glücklich, sonst kannst du was erleben.

Die meisten verlassen sich beim Rechnen zu sehr auf die Mathematik.

Eine geistige Immobilie, aber mit Garten und kiesbestreutem Anweg.

Ein durch seine Geschicklichkeit verdorbener Mensch.

Es lebe das Haus des müden Feuers, die tägliche Liebe, die wie Brot riecht vom Vortag.

Die meisten Details wenden sich an die Faulheit der Vorstellungskraft. Sie wirken verflachend, nicht vertiefend.

Auf die Heilsamkeit des Unbekömmlichen achten.

Lesen. Nach spätestens zwei Seiten muss ich das Herz des Autors schlagen hören, sonst verlier ich das Interesse.

| WOLFGANG DENKEL

Wolfgang Denkel, Jahrgang 1958, lebt nach einem Studium der Germanistik und Philosophie als Schriftsteller, Maler und Bildhauer in Hamburg. Sein Romandebut ›Ja. Nein. Ja‹ erschien 2008 beim Grazer Literaturverlag Droschl, sein erster Lyrikband ›Schulterblatt‹ 2018 bei Hammer + Veilchen. Zur Zeit arbeitet Wolfgang Denkel an ›Beschriftungen‹ bzw. Kürzesttexten, von denen wir Auszüge vorab veröffentlichen.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

So viel Leidenschaft zwischen zwei Buchdeckeln

Nächster Artikel

Laura

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Ein Totentänzchen geschafft

Lyrik | Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiß Paradiesvogelschiß heißt der letzte Gedichtband Peter Rühmkorfs. Kurz nach der Publikation ist der Achtundsiebzigjährige im Juni gestorben. Als seine lyrische Abschiedsvorstellung war das Buch wohl auch gedacht. Neben letzten Gedichten enthält es vornehmlich gereimte und ungereimte Selbstgespräche und Merkverse, Sentenzen und Aphorismen aus dem Nachlass zu Lebzeiten des Dichters von ihm selbst seiner Werkstatt entnommen. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Zu Papier gebracht

Lyrik | Peter Engel: Gedichte Zu Papier gebracht Was durch den Kopf geht, flüchtig ist und davon will wie im Nu, auch was in den Fingerspitzen kribbelt und nicht weiß warum, was wie ein Einfall von Licht durch den Raum stiebt ohne Ziel oder die wirbelnden Flocken von allerlei Stäuben im Eck, was vielleicht ein Gedanke ist, der gerade erst entsteht und sich selbst noch nicht ganz kennt, gleichfalls ein kaum zu hörender Ton, der noch nicht durchgeformt ist, und meine unvollkommenen Zeilen mit dunklem Gehalt, alles wird hier zu Papier gebracht.

Heimat in der Kunst

Menschen | Zum 90. Geburtstag von Günter Kunert Der bedeutende Lyriker Günter Kunert ist eher selten als Erzähler in Erscheinung getreten. Umso größer war die Überraschung, als ein (längst vergessenes) Romanmanuskript aus den 1970er Jahren auftauchte und nun – unbearbeitet – veröffentlicht wurde. Von PETER MOHR

Wintergedichte

TITEL-Textfeld | Peter Engel: Drei Gedichte

Meinen Tag lesen

Wie er jeden Morgen anders
hereinbricht mit oder ohne
Einfall für mich, dem eine Zeile
entspringt direkt aufs leere Blatt.

Lyrik und Barbarei

Lyrik | Paul Celan: Gedichte Adorno und Celan zur Lyrik nach dem Holocaust. Von PHILIP J. DINGELDEY