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Von Engeln

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Von Engeln

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer, die Ojo de Liebre lud ein zu bleiben, der Walfang war eh eine Weile ausgesetzt.

Der Mensch solle sich nicht wichtigtun, sagte Sanctus, er sei ein befristeter Aufenthaltsort, den Engel aufsuchten, um sich zu bewähren, die Menschen würden ihnen anvertraut und durch Höhen und Tiefen begleitet.

Die Männer waren überrascht. Sanctus ergriff selten das Wort, was wußte er über Engel.

Pirelli räusperte sich.

Der Ausguck stand behutsam auf, Engel, Schutzengel gar, das war nicht sein Thema, nach wenigen Schritten verschluckte ihn die Dunkelheit.

Der Ozean rauschte von ferne.

Skurril, sagte Thimbleman.

Sie hörten einen kurzen Anlauf und nahmen an, daß der Ausguck einen Salto schlug.

Zu einem Praktikum auf die Erde, spottete Rostock.

So könne man es sehen, konzedierte Sanctus, als eine Etappe ihrer Reifung gewissermaßen, sie würden zu einem Menschen abgeordnet.

Ein Leben lang, fragte LaBelle.

Sanctus nickte. Sie stünden ihren Menschen zur Seite, sagte er, und  hätten den Auftrag, die aggressive Gier einzudämmen und so weit wie möglich das Gegenteil zu fördern.

Da hätten sie viel zu tun, sagte Crockeye.

Die Begierde des Fleisches lindern, die Begierde der Augen und den Übermut des Lebens, dozierte Gramner.

Manchmal gelinge ihnen das, sagte Sanctus, doch oft genug ginge es nicht einen einzigen Schritt voran, entfesselte Gier sei ein hartnäckiger Widerpart.

Vermutlich, sagte LaBelle, hätten diese Engel nicht genügend Befugnisse.

Auch Engel können irren, sagte London und blickte auf.

Eldin faßte sich an die Schulter.

Thursday nahm einen Schluck aus der Flasche.

Engel, stöhnte Crockeye.

Touste hörte nicht zu, er schlug Akkorde auf seiner Gitarre an und summte eine Melodie, die  Abende in der Ojo de Liebre fühlten sich gut an.

Bildoon legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Es tobe ein erbittertes Gefecht um die Seele, nicht wahr, fragte London.

Ach, sagte Sanctus, man dürfe das nicht überbewerten, ein Menschenleben sei kurz und schnell wieder vergessen, der Aufenthalt gelte unter den Engeln als ein wenig erfreulicher Abschnitt ihrer Laufbahn, es sei kräftezehrend, sich gegen dämonische Energien zu behaupten.

Er lachte.

Im Gegenteil, sagte er, der Mensch nämlich halte seine Lebenszeit für außerordentlich bedeutsam, er verfasse Geschichtsbücher und Biografien, er nenne sich Homo Sapiens und rufe ein Anthropozän aus, er verkenne die Tatsachen und stelle wunder was an mit seiner Sprache, automatengesteuerte Abläufe etikettiere er als Intelligenz, er töne davon, er werde den Mars besiedeln und was alles noch, Luftschlösser eins wie das andere, er sei ein Phantast, ein Prahlhans, ein Glücksritter, die meisten Engel nähmen ihn nicht ernst, nicht im geringsten, hinter seinem Rücken werde gespottet, sie hätten jedoch ihren Auftrag gewissenhaft zu erfüllen.

Ob seine überbordende Betriebsamkeit nicht bereits aggressive Gier sei, wollte LaBelle wissen.

Exakt, sagte Sanctus, das seien die Anfänge, unerträglich die Gier nach Applaus, das beharrliche Bestreben, im Mittelpunkt zu stehen, sich vor einer Kamera zu präsentieren, einen teuren Boliden zu lenken, all das verbreite die Aura aggressiver Begierde.

Wie solle man da eine Grenze ziehen, fragte London.

Da hätten es die Engel nicht leicht, sagte Pirelli.

Der Aufenthalt auf der Erde sei ein kompliziertes Unterfangen, sagte Rostock, der Mensch sei widerspenstig.

Ob nicht die Voraussetzungen auch von Mensch zu Mensch verschieden seien, fragte Thursday, und wann die Engel ihren Aufenthalt erfolgreich nennen würden.

Er nehme nicht an, sagte Sanctus, daß es für die Engel um Leistungen ginge, das wäre menschlich gedacht, nein, es handle sich nicht um eine Prüfung.

Wir verstehen kaum etwas, sagte LaBelle, mag sein ihnen sei daran gelegen, das Leben kennenzulernen und versuchsweise eigenen Einfluß auszuüben, selbst zu gestalten, sich durchzusetzen gegen widerstreitende Kräfte, die Schwierigkeiten einer irrlichternden Zivilisation auszuloten, Hemmnisse auszuräumen, eine Feldstudie gewissermaßen, vielleicht verfassen sie Erfahrungsberichte, gestalten eine Präsentation, und als Nebeneffekt komme das dem Menschen zugute, der sich verändere, ungewollt, reiner Zufall.

Höheren Mächten ausgeliefert, spottete London.

Ob sie den Menschen verachten, fragte Bildoon.

Gut möglich, sagte LaBelle, doch ihr Aufenthalt sei als eine Hilfe zu verstehen, als ein Angebot.

Sofern es nicht zu spät sei, wandte Pirelli ein, die Industrialisierung schreite  voran, je länger sie zögern würden, schier unaufhaltsam, und besser daß sie jetzt eingriffen, um den wild tobenden Goldrausch in der Stadt einzudämmen und die Gier nach Mammon, oder daß sie sich dem Umbruch zur Dampfschiffahrt entgegenstellten, denn die Industrialisierung sei der Natur des Menschen fremd, sie werde vom Maschinenwesen vorangetrieben, von dämonischen Kräften.

Ob Schutzengel nicht letzten Endes hilflos seien, fragte Bildoon, oder in ihren Mitteln begrenzt.

Wer könne das wissen, sagte LaBelle, und es werde verschieden mächtige Engel geben, eine Hierarchie gewissermaßen.

Beyond the horizon, sagte Touste und schlug einen Akkord an.

Gut möglich, sagte Pirelli.

Das mache die Dinge nicht einfach, sagte Rostock.

Nutzlose Debatten, sagte LaBelle.

Am besten wäre, wir gingen wieder auf Walfang, sagte Eldin.

Der Ausguck schälte sich aus der Dunkelheit und setzte sich neben Thimbleman.

| WOLF SENFF

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